Hallo ihr Lieben!
Der folgende Text könnte eventuell sehr lang werden, nur mal so als Vorwarnung :-D (es gibt sicherlich viele Diskussionen zu diesem Thema, doch ich möchte exakt meine Situation schildern)
Also erstmal ein paar Infos zu mir: Ich bin 19 Jahre alt, eine in Deutschland geborene Türkin und alles in allem zufrieden mit meinem Leben.
Doch seit geraumer Zeit -eigentlich seitdem der Prozess des Erwachsen- Werdens eingetreten ist- fällt mir immer mehr auf, dass es unglaublich schwierig ist, die türkische Kultur mit der westlichen zu vereinen oder unter einen Hut zu kriegen. Es ist so, als würden die Probleme an jeder Ecke lauern.
Zu meinen Eltern hatte ich schon immer ein sehr gutes Verhältnis, das sich jedoch im Laufe der letzten Jahre zu einem eher komplizierten Verhältnis gewandelt hat.
Ich weiß, dass meine Eltern mich über alles lieben und seit meiner Geburt wirklich alles gegeben haben, damit es mir (und seit 8 Jahren auch meinem kleinen Bruder) gut geht- ob finanziell oder seelisch usw. Mein Vater ist selbstständig mit seiner Firma und arbeitet dadurch eigentlich Tag und Nacht, die Trennung von Arbeits- und Privatleben ist nicht gegeben- und all das nur, damit es uns hier zuhause immer gut geht. Meine Mutter ist die fürsorglichste Mutter dieser Welt. Sie hat sich immer rührend um mich gekümmert, hat immer dafür gesorgt, dass ich alles hatte, hat immer sehr viel Wert auf Bildung gelegt (mir immer vorgelesen als kleines Kind, mich sprachlich gefördert etc) und mich zu einer vernünftigen, jungen Frau erzogen. Ihr habe ich auch zu verdanken, dass ich ein akzentfreies deutsch spreche, dass ich ein empathiefähiger Mensch bin und in unseren Kreisen als intelligentes und vernünftiges Mädchen bekannt bin (das soll alles keinesfalls eingebildet klingen!)- alles in allem liebe ich meine Eltern wirklich unglaublich sehr und bin ihnen dankbar für all das, was sie für mich getan haben.
Doch wir ecken immer mehr an. Es fängt bei Kleinigkeiten wie "Bis wann darf ich ausgehen?" an. Sowas ist bei meinen deutschen Freundinnen und bei meiner einzigen, richtig guten, türkischen Freundin eigentlich gar kein Thema mehr; es wird gesagt um die und die Uhrzeit bin ich weg und gut ist. Teilweise ist das bei mir auch so, aber meistens läuft es so ab, dass ich weg bin, dass es vorher noch Streit gab weil ich natürlich länger als nur 12 wegbleiben möchte oder spontan vor Ort mit meinen Freunden entscheide möchte, wohin es geht und dass ich, während ich aus dem Haus bin, angerufen werde und mir gesagt wird ich soll sofort nach Hause kommen etc. Diese kleine Einschränkung nimmt mir so viel an Spontaneität und eigentlich bin ich der spontanste Mensch auf der Welt. Ich würde einfach in meinem Alter (in drei Monaten werde ich 20) auch gerne sagen können, dass ich mal ohne Stress weggehen kann. Ich war bis jetzt auch immer die erste die von irgendwelchen Partys nach Hause musste. Grundsätzlich darf ich sowieso nur auf private Geburtstage und auf Abifeten, Discos/Clubs sind tabu, wobei es vor jeder Fete auch immer mega Stress gab. Letztendlich darf ich dann (meistens) weg, doch der Spaß ist mir dann schon oft vergangen. Die Abende habe ich immer geliebt, beim Tanzen schalte ich einfach komplett ab und an sich ist es meine große Leidenschaft zu tanzen. Doch seit Oktober (!) letzten Jahres durfte ich dann auch nicht mehr auf diese Feten, weil ich wegen eines Vorfalls auf unbegrenzte Zeit Hausarrest bekommen habe. Mit 19.
Das längste war bis jetzt 3 oder halb 4 und das auch nur einmal und danach hat es richtig gekracht..
Es macht mich teilweise schon richtig fertig, wegen jeder Kleinigkeit immer zu fragen und auch mal betteln zu müssen und nichts richtig stressfrei machen zu können.
Was noch dazu kommt ist, dass ich seit knapp 7 Monaten einen deutschen Freund habe. Mein Vater darf nichts davon wissen, meine Mutter weiß es und terrorisiert mich regelmäßig damit und fängt ständig Streit an. Ich kann absolut nachvollziehen, dass es eine große Belastung für sie ist. Sobald die ganzen Türken aus unserem Umkreis davon Wind bekommen, wird sie die Schuld von allen Seiten dafür bekommen, mich mit einem Deutschen "zusammen gelassen" zu haben. Ich hasse dieses Denken wirklich abgrundtief, aber es ist nahezu unmöglich, sich dagegen zu stellen- die Menschen werden sich da einfach nicht ändern. Aber ich bin glücklich mit ihm, er behandelt mich wie eine Prinzessin und steht immer hinter mir- wie kann das falsch sein? Ja, die Religion sagt da etwas anderes, aber sollte ich nicht selber entscheiden dürfen, wer für mich als Partner gut ist?
Zudem darf ich bezüglich meiner Zukunft kaum noch was richtig selber entscheiden. Mein Abi habe ich grade mit einem 2er Schnitt bestanden und mein Plan war ein Zahnmedizinstudium. Dem stimmen sie auch zu und sind zufrieden damit, es hieß sowieso immer, dass ich die Wahl hätte. Pusteblume. Denn die Schauspielerei, vor allem im Theater hat mir auch schon immer großen Spaß gemacht und nach immer äußerst positivem Feedback zu meinem Schauspiel und meiner 15-Punkte- Abiturprüfung in diesem Bereich könnte ich mir die Ausbildung an einer Schauspielschule auch sehr gut vorstellen. Die erste Reaktion meiner Eltern: "Das kannst du vergessen! Sowas lassen wir niemals zu! Wenn du dich gegen unseren Willen da bewirbst bist du nicht mehr unsere Tochter". Solche Sprüche sind mittlerweile der Horror für mich und mir brennen alle Sicherungen durch, weil ich Angst habe, nichts frei entscheiden zu dürfen in den nächsten Jahren.
Wir hatten die Abmachung, dass ich während des Studiums wegziehen dürfte, doch jetzt heißt es plötzlich auch noch "Nein, du wirst zuhause bleiben. Keine Diskussion!". Ich könnte heulen bei der Vorstellung daran, noch einige Jahre hier zu bleiben. Ich fühle mich teilweise richtig meiner Freiheit und meines Glücks beraubt, war letztens sogar an dem Punkt, an dem ich mich selbst verletzt habe um etwas zu spüren. Ich war voller Wut, Enttäuschung, Verzweiflung und Ohnmacht, was anderes habe ich nicht mehr gespürt. Alles wird immer damit gerechtfertigt, dass sich türkische Mädchen nicht so zu verhalten haben wie ich es tue und dass ich mich unterordnen müsste und alles kommentarlos hinnehmen soll. Schon beim scheiben grade werde ich wieder wütend..
Außerdem mischt sich meine Mutter in wirklich jede Kleinigkeit meines Lebens ein, sei es das T-Shirt das ich trage oder wie ich mir meinen Kartoffelbrei auf dem Teller platziere oder wie ich den Staubsauger halte. Es sind diese unnötigen Kleinigkeiten, die jeden einzelnen Tag zum Streit führen und langsam fehlt mir wirklich nur noch die Kraft. Ich könnte tagelang schlafen und kriege manchmal schon Angst und schlimme Beklemmungen, wenn ich nur ihre genervte oder wütende Stimme höre. Ständig geht es um dieses unnötige Zeug und aufräumen blablabla. Ich weine regelmäßig und bin öfter lieber draußen als zuhause, wenn mal wieder so eine schlimme Phase ist. Sie durchsucht auch oft mein ganzes Zimmer nach wasweißich und reißt alle Schubläden und Schränke auf mit dem Argument "Ich bin deine Mutter, ich darf das, deine Privatsphäre ist mir egal!".
Andauernd wird von mir erwartet, mich wie eine Mustertürkin zu verhalten. Ich bin aber nun mal hier und nicht in der Türkei großgeworden! Ständig, jeden Tag und jede Stunde steht mir dieser Konflikt im Weg. Ausziehen ist die einzige Lösung, das weiß ich nach unzähligen Streits und nach viel Geschreie. Doch selbst wenn ich mich für das Zahnmedizinstudium bewerben würde, würde ich nicht direkt angenommen werden und müsste in der Zeit zur Überbrückung eine Ausbildung zur Zahntechnikerin machen- wie soll ich weitere drei Jahr hier zuhause verbringen, ohne psychisch komplett kaputt zu gehen?!
Ständig höre ich, dass ich keine Türkin sei, dass nur Sch****** sich so verhalten würden wie ich, dass ich keine Ehre hätte usw. Wobei doch alles was ich will ganz normale Freiheit und vor allem Entscheidungsfreiheit ist. Unser Verhältnis wäre so viel entspannter, wenn ich nicht mehr zuhause wohnen würde..
Hat jemand von euch ähnliche Erfahrungen gemacht und kann mir Tipps geben, wie ich das Ganze überstehen/lösen kann? Vielleicht mag manch einer denken, dass ich übertreibe und manchmal denke sogar ich das, weil es mir sonst ja sehr gut hier geht und ich meine Familie trotz allem unfassbar sehr liebe, aber wenn wieder diese unnötigen Situationen eintreten, halte ich es kaum noch eine Sekunde hier aus.
Über ernst gemeinte und hilfreiche Antworten würde ich mich freuen :-)