Genozid an den Kurden in der Türkei ?
Der Krieg der Türkei
gegen die Kurden
Die Geschichte muß aufgearbeitet werden
Das ist der Satz der Unruhe in der heutigen Kultur. Ein verbrieftes Recht soll daraus werden.
Die planvoll ermordeten Juden verlangen das. Die Lesenden Arbeiter (Brecht) machen
das erforderlich. Die Frauen. Die Kolonisierten und Unterdrückten. Alle die an den
Rand getriebenen Marginalisierten. Auch die Kurdinnen und Kurden.
Die Thematisierung der Wiederkehr des Verdrängten ist zu einer allgemeinen kulturellen
Beschäftigung geworden. Keine UN-Konferenz, kein Symposion, keine einzige
Menschenrechtsorganisation, Film und Schule, Politik und Netzwerke, der Papst und die
Bundeswehrführung, es gibt keinen, der nicht vollauf damit beschäftigt wäre, an irgendeiner
Stelle der ganzen langen Leidensgeschichte der Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen
anzuknüpfen, um dem Jargon der Aufarbeitung zu genügen. Bei der Tätigkeit
der vorwurfsvollen Durchleuchtung der Geschichte erwächst aus der Bemühung der Beteiligten
die Form der Ritualisierung und in ihrer Konkurrenz die der Hierarchisierung.
Kaum ein dunkles Ereignis der früheren oder auch der jüngsten Geschichte, das nicht mit
dem der Vernichtung der Juden verglichen und möglichst in eine gleichrangige Qualität
mit jenem bisher singulären Trauma gerückt werden soll. Wem es dabei gelingt, mittels
einigermaßen geschickter Anwendung von Analogien und Vergleichen in die Nähe der
Megaverbrechen der Geschichte zu gelangen, der hat auch Aussicht auf Gehör: in den
Medien, in der Politik, vor internationalen Gerichten, die zunehmend auch darüber entscheiden,
ob Reparationen und Entschädigungen zu gewähren sind.
Die beliebige Übertragung des Völkermordbegriffs an die moralischen Patentämter
macht das, worum es geht, nicht nur zur Mode oder zum Kampfbegriff, sondern vernichtet
durch solche Oberflächlichkeit zugleich alle feineren und triftigeren Analysen, die
der Ernsthaftigkeit und der Schwere des rechtlichen und historischen Gehalts entsprechen
würden.
Die vollzogene Fahrlässigkeit ist häufig dem Eifer der miteinander und auch gegeneinander
konkurrierenden Gruppen der Aufklärer und Demontierer geschuldet, weil sie parteilich
operieren, aber auch dem Umstand, daß nur der Erfolg mit seiner Sache hat und
darin Anerkennung erfährt, wenn die Anklage so vorgetragen wird, wie das von den neu
geschaffenen Gerichtshöfen und den von staatlichen Gruppierungen gelenkten internationalen
Gremien erwünscht ist. Nichts beweist dies krasser als die willkürliche, dabei aber
stets strikt menschenrechtlich-neutral betonte Umgangsweise mit den Verbrechen und
Umständen, die sich aus dem Golfkrieg, dem Jugoslawien-Desaster, der Maya-Vernichtung
in Guatemala und dem Massaker in Rwanda ergeben.
Kollektivverbrechen, Menschenrechtsverletzungen, Verstöße gegen das Menschenrecht
sind zwar stets in allen diesen Fällen nachweisbar aber Völkermord?
Mehr lesen
1
Im Jahre 1994 hat medico international eine Strafanzeige Beihilfe zum Völkermord an
den Kurden in der Türkei in der Bundesrepublik erstattet. Im wesentlichen fußte die
Anzeige auf der Tatsache von Waffenlieferungen durch die Bonner Regierung an Ankara,
die nachweisbar im Krieg der offiziellen Türkei gegen die Kurden und die PKK eingesetzt
wurden. Diese Strafanzeige war ihrerseits sehr wohl politisch-moralisch motiviert: vor dem
Hintergrund der Verhaftung und Verfolgung von Funktionären der kurdischen Bewegung
in Deutschland und des Verbots wie der Zerschlagung ihrer Einrichtungen, indem
die Betroffenen als terroristisch stigmatisiert wurden sollte erkennbar werden,
daß die politische Führung Deutschlands Beihilfe leistet bei der Vertreibung kurdischer
Menschen und der Zerstörung ganzer Landstriche im Osten der Türkei. Die Anzeige war
schließlich auch präventiv begründet: weil einiges dafür sprach, daß im Zuge wahrscheinlich
folgender Eskalationen, sich in Kurdistan-Türkei weitere schwere Massaker ereignen
werden (Martin van Bruinessen), die es abzuwehren galt.
Von daher ist diese Strafanzeige, die selbstverständlich von der Bundesanwaltschaft
umstandslos abgelehnt wurde, auch heute nicht zurückzunehmen oder gar zu bedauern.
Im Sinne der UN-Konvention zur Bestrafung und Verhütung von Völkermord (UNCG)
war sie jedoch unzutreffend: Der Kernsatz dieser Konvention, der in dem folgenden Beitrag
von Ronald Ofteringer zur Richtschnur werden soll, enthält als Unterscheidungskriterium
den zwingenden Hinweis auf die feste Absicht, eine Gruppe von Menschen
zu vernichten, und zwar die Gruppe als solche, auch wenn dies dann nur an einem Teil
der Gruppe praktiziert wird. Es ist aber zu bezweifeln, daß die mörderische Politik der
türkischen Offiziellen und ihrer Militärs absolut darauf gerichtet war, alle Kurden ausnahmslos
(im Westen wie im Osten des Landes) zu eliminieren. Unter den Bedingungen
der besseren Urteilsmöglichkeiten vom heutigen Tage aus, fällt es ohnehin immer schwerer,
die Zerstörungswut der türkischen Machtelite als eine im ethnischen Sinne gegen die
Kurden gerichtete zu betrachten, die attackiert worden wären einzig, weil sie Kurden waren.
Daß dieses Motiv durchaus eine Rolle spielte in den unzähligen dokumentierten Angriffen,
den extralegalen Tötungen, den Vernichtungen von ganzen Dorfeinheiten und
Landstrichen, ist sicher anzunehmen und abzulesen an den wütend-rassistischen Äußerungen
und Begründungen der Supergouverneure und der befehlshabenden Militärs, die
sie ausführten. Das politische Kalkül des türkischen Establishments zielte aber wohl viel
eher darauf, die gesamte türkische Bevölkerung in allen ihren Teilen und Herkunftsgruppen
in die Zwangseinheit einer nachkemalistisch formierten Gesellschaft zu pressen, die sich
auf die Lösung der Aufgaben der weiteren Transformierung der Türkei in die westliche
Moderne zu konzentrieren hatte, wobei jegliche Disparität am Beispiel von Abweichlern
und Separatisten im Sinne eines blutigen pädagogischen Exempels niederzuschlagen war.
Die kurdische Bevölkerung in der Türkei wurde so zum staatlichen-militärischen Trainingsobjekt
zur Niederringung jeglichen inneren Feindes auf dem heute immer deutlicher werdenden
Weg Ankaras in Richtung auf den Status einer regionalen Großmacht.
Die dabei exekutierten ungeheuerlichen Verbrechen, die von der internationalen politischen
Öffentlichkeit überhört und im übrigen gebilligt wurden, sollen im folgenden Text
nicht um ein Jota kleingeschrieben werden. Im Gegenteil: gerade um sie rechtsförmig zu
Protest bringen zu können, um Forderungen auf Reparationen und Entschädigungsleistungen
an Einzelne und Gruppen einklagbar zu formulieren, um die Rehabilitation der
Opfer zu erreichen und um vor allem die notwendigen Schritte für demokratische
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1
Im Jahre 1994 hat medico international eine Strafanzeige Beihilfe zum Völkermord an
den Kurden in der Türkei in der Bundesrepublik erstattet. Im wesentlichen fußte die
Anzeige auf der Tatsache von Waffenlieferungen durch die Bonner Regierung an Ankara,
die nachweisbar im Krieg der offiziellen Türkei gegen die Kurden und die PKK eingesetzt
wurden. Diese Strafanzeige war ihrerseits sehr wohl politisch-moralisch motiviert: vor dem
Hintergrund der Verhaftung und Verfolgung von Funktionären der kurdischen Bewegung
in Deutschland und des Verbots wie der Zerschlagung ihrer Einrichtungen, indem
die Betroffenen als terroristisch stigmatisiert wurden sollte erkennbar werden,
daß die politische Führung Deutschlands Beihilfe leistet bei der Vertreibung kurdischer
Menschen und der Zerstörung ganzer Landstriche im Osten der Türkei. Die Anzeige war
schließlich auch präventiv begründet: weil einiges dafür sprach, daß im Zuge wahrscheinlich
folgender Eskalationen, sich in Kurdistan-Türkei weitere schwere Massaker ereignen
werden (Martin van Bruinessen), die es abzuwehren galt.
Von daher ist diese Strafanzeige, die selbstverständlich von der Bundesanwaltschaft
umstandslos abgelehnt wurde, auch heute nicht zurückzunehmen oder gar zu bedauern.
Im Sinne der UN-Konvention zur Bestrafung und Verhütung von Völkermord (UNCG)
war sie jedoch unzutreffend: Der Kernsatz dieser Konvention, der in dem folgenden Beitrag
von Ronald Ofteringer zur Richtschnur werden soll, enthält als Unterscheidungskriterium
den zwingenden Hinweis auf die feste Absicht, eine Gruppe von Menschen
zu vernichten, und zwar die Gruppe als solche, auch wenn dies dann nur an einem Teil
der Gruppe praktiziert wird. Es ist aber zu bezweifeln, daß die mörderische Politik der
türkischen Offiziellen und ihrer Militärs absolut darauf gerichtet war, alle Kurden ausnahmslos
(im Westen wie im Osten des Landes) zu eliminieren. Unter den Bedingungen
der besseren Urteilsmöglichkeiten vom heutigen Tage aus, fällt es ohnehin immer schwerer,
die Zerstörungswut der türkischen Machtelite als eine im ethnischen Sinne gegen die
Kurden gerichtete zu betrachten, die attackiert worden wären einzig, weil sie Kurden waren.
Daß dieses Motiv durchaus eine Rolle spielte in den unzähligen dokumentierten Angriffen,
den extralegalen Tötungen, den Vernichtungen von ganzen Dorfeinheiten und
Landstrichen, ist sicher anzunehmen und abzulesen an den wütend-rassistischen Äußerungen
und Begründungen der Supergouverneure und der befehlshabenden Militärs, die
sie ausführten. Das politische Kalkül des türkischen Establishments zielte aber wohl viel
eher darauf, die gesamte türkische Bevölkerung in allen ihren Teilen und Herkunftsgruppen
in die Zwangseinheit einer nachkemalistisch formierten Gesellschaft zu pressen, die sich
auf die Lösung der Aufgaben der weiteren Transformierung der Türkei in die westliche
Moderne zu konzentrieren hatte, wobei jegliche Disparität am Beispiel von Abweichlern
und Separatisten im Sinne eines blutigen pädagogischen Exempels niederzuschlagen war.
Die kurdische Bevölkerung in der Türkei wurde so zum staatlichen-militärischen Trainingsobjekt
zur Niederringung jeglichen inneren Feindes auf dem heute immer deutlicher werdenden
Weg Ankaras in Richtung auf den Status einer regionalen Großmacht.
Die dabei exekutierten ungeheuerlichen Verbrechen, die von der internationalen politischen
Öffentlichkeit überhört und im übrigen gebilligt wurden, sollen im folgenden Text
nicht um ein Jota kleingeschrieben werden. Im Gegenteil: gerade um sie rechtsförmig zu
Protest bringen zu können, um Forderungen auf Reparationen und Entschädigungsleistungen
an Einzelne und Gruppen einklagbar zu formulieren, um die Rehabilitation der
Opfer zu erreichen und um vor allem die notwendigen Schritte für demokratische
2
Transformationen in Anatolien begründet stimulieren zu können, sollen die Ereignisse so
behandelt werden, daß sie praktischer Menschenrechtsarbeit dienen und den Erfordernissen
internationaler Rechtskriterien entsprechend endlich Behandlung finden können. Es
geht dabei um durchaus unter staatlicher Choreographie vollzogene Menschenrechtsverbrechen,
deren Untersuchung und Tribunalisierung vor jedem Vollanschluß der Türkei
an die Europäische Union auf dem Programm zu stehen hat und die deshalb unverzüglich
Behandlung erfahren müssen in den begleitenden Prozeduren und rechtlichen Angleichungsstrategien
des Europarates und der OSZE. Sie sollten schließlich Inhalt werden
und Grund sein zu der wagemutigen Unternehmung einer Internationalen Wahrheitskonferenz
Türkei (Kurdistan), zu deren Durchführung im Anhang dieser Broschüre einige
skizzenhafte Hinweise vorgestellt werden.
Es geht um Genugtuung für die Opfer auf kurdischer Seite. Die spezifische antikurdische
Ausrichtung der Verfolgung der Kurden durch die Türkei darf dabei nicht übersehen werden,
die sich gegen eine große und deshalb um so gefährlichere Minderheit richtete.
Täte man dies, würde man auch den Charakter der Verfolgung im Irak nicht begreifen
können, der ebenfalls ausgezeichnet war durch eine dezidiert antikurdische Orientierung.
Es geht auf der Grundlage bestehender Erkenntnis und gesicherten Wissens politisch um
die strukturelle Demokratisierung der Türkei. Es geht um die offene Verständigung über
deren Möglichkeiten, Umstände und Bedingungen. Es geht am Ende um Versöhnung und
die Entwicklung einer demokratischen Vorstellung des gleichberechtigten Zusammenlebens
aller Beteiligten in einer Vielvölkerregion.
Die Menschen kurdischer Abstammung in den verschiedenen Gebieten des Nahen
Ostens erinnern den Angriff mit chemischen Waffen auf ihre Bevölkerung, sie erinnern
die Vernichtung von 4000 Dörfern und Städten, sie haben vor Augen die weitere Vertreibung
von Menschen und andere gefährliche Auswirkungen der aktuellen Staudammbauten
im Rahmen des türkischen GAP-Projektes, durch die in Kurdistan ein Gebiet fast von der
Größe der Schweiz überflutet wird: Was ihnen geschah, erfüllt zusammengenommen sicherlich
den Tatbestand quasi genozidaler Handlungen und von schrecklichen Bedrohungen,
die auch noch immer kein Ende gefunden haben. Die vorliegende Kritik von Ronald
Ofteringer an der Untersuchung von Desmond Fernandes hat den elementaren Sinn, vorzuschlagen
und zu eröffnen, wie und in welche Richtung die kurdische Tragödie untersucht
werden soll.
Dabei verweigert sich der Inhalt der vorliegenden Broschüre jeder vorschnellen, auf
Endgültigkeit insistierenden Bewertung oder Schlußfolgerung. Alles muß erst noch genauer
untersucht werden, und das, was bisher jedenfalls bekannt ist, rechtfertigt eine solche
Untersuchung. Und selbst das mögliche Ergebnis, daß es sich nicht um Völkermord
handeln könnte, bedeutet keinen Freispruch für Täter und Verantwortliche, sondern eine
berechtigte und zu leistende Verfolgung nach anderen, geeigneteren Kriterien.
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Transformationen in Anatolien begründet stimulieren zu können, sollen die Ereignisse so
behandelt werden, daß sie praktischer Menschenrechtsarbeit dienen und den Erfordernissen
internationaler Rechtskriterien entsprechend endlich Behandlung finden können. Es
geht dabei um durchaus unter staatlicher Choreographie vollzogene Menschenrechtsverbrechen,
deren Untersuchung und Tribunalisierung vor jedem Vollanschluß der Türkei
an die Europäische Union auf dem Programm zu stehen hat und die deshalb unverzüglich
Behandlung erfahren müssen in den begleitenden Prozeduren und rechtlichen Angleichungsstrategien
des Europarates und der OSZE. Sie sollten schließlich Inhalt werden
und Grund sein zu der wagemutigen Unternehmung einer Internationalen Wahrheitskonferenz
Türkei (Kurdistan), zu deren Durchführung im Anhang dieser Broschüre einige
skizzenhafte Hinweise vorgestellt werden.
Es geht um Genugtuung für die Opfer auf kurdischer Seite. Die spezifische antikurdische
Ausrichtung der Verfolgung der Kurden durch die Türkei darf dabei nicht übersehen werden,
die sich gegen eine große und deshalb um so gefährlichere Minderheit richtete.
Täte man dies, würde man auch den Charakter der Verfolgung im Irak nicht begreifen
können, der ebenfalls ausgezeichnet war durch eine dezidiert antikurdische Orientierung.
Es geht auf der Grundlage bestehender Erkenntnis und gesicherten Wissens politisch um
die strukturelle Demokratisierung der Türkei. Es geht um die offene Verständigung über
deren Möglichkeiten, Umstände und Bedingungen. Es geht am Ende um Versöhnung und
die Entwicklung einer demokratischen Vorstellung des gleichberechtigten Zusammenlebens
aller Beteiligten in einer Vielvölkerregion.
Die Menschen kurdischer Abstammung in den verschiedenen Gebieten des Nahen
Ostens erinnern den Angriff mit chemischen Waffen auf ihre Bevölkerung, sie erinnern
die Vernichtung von 4000 Dörfern und Städten, sie haben vor Augen die weitere Vertreibung
von Menschen und andere gefährliche Auswirkungen der aktuellen Staudammbauten
im Rahmen des türkischen GAP-Projektes, durch die in Kurdistan ein Gebiet fast von der
Größe der Schweiz überflutet wird: Was ihnen geschah, erfüllt zusammengenommen sicherlich
den Tatbestand quasi genozidaler Handlungen und von schrecklichen Bedrohungen,
die auch noch immer kein Ende gefunden haben. Die vorliegende Kritik von Ronald
Ofteringer an der Untersuchung von Desmond Fernandes hat den elementaren Sinn, vorzuschlagen
und zu eröffnen, wie und in welche Richtung die kurdische Tragödie untersucht
werden soll.
Dabei verweigert sich der Inhalt der vorliegenden Broschüre jeder vorschnellen, auf
Endgültigkeit insistierenden Bewertung oder Schlußfolgerung. Alles muß erst noch genauer
untersucht werden, und das, was bisher jedenfalls bekannt ist, rechtfertigt eine solche
Untersuchung. Und selbst das mögliche Ergebnis, daß es sich nicht um Völkermord
handeln könnte, bedeutet keinen Freispruch für Täter und Verantwortliche, sondern eine
berechtigte und zu leistende Verfolgung nach anderen, geeigneteren Kriterien.
3
Desmond Fernandes
Der Völkermord an den Kurden
in der Türkei, 1924-1998
Als die türkische Regierung den 75. Jahrestag der Republik feierte, wurde wiederholt die
Forderung gestellt, daß der türkische Staat den Völkermord an den Armeniern und den
Kurden anerkennen solle. Der Völkermord an den Kurden, um den es in dieser Studie
geht, begann wenige Monate nach der Gründung der türkischen Republik und dauert bis
heute an. Angesichts dieser alarmierenden Entwicklung ist es erschütternd, daß die großen
Medien und wissenschaftlichen Publikationen in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien
es im allgemeinen vorgezogen haben, über diesen Völkermord Stillschweigen
zu bewahren. Nur wenige haben versucht, zumindest anzuerkennen, daß ein Völkermord
stattgefunden hat.
Die türkische Regierung fährt ihrerseits fort, den Völkermord an den Armeniern und
an den Kurden zu leugnen. Auch westliche Regierungen haben im großen und ganzen
versagt. Sie haben es nicht geschafft, eine überzeugende diplomatische Handlungsstrategie
zu entwickeln, die diesen Völkermord benennt, ihn beendet oder den türkischen Staat
und die Täter zur Verantwortung zieht. Darüber hinaus kann in vielen Fällen ein direkter
Zusammenhang zwischen diesem unterlassenen Handeln und der Unterstützung konstatiert
werden, die bestimmte Regierungen der Türkei zuteil werden ließen. In dieser Studie
wird der Versuch unternommen, nachzuweisen, daß in einigen Phasen dieses Völkermords
die NATO und die Regierung der Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle
gespielt haben. Bevor untersucht wird, wie gravierend der Einfluß der NATO und der
US-Regierung gewesen ist, soll zunächst definiert werden, was unter dem Begriff Völkermord
(Genozid) zu verstehen ist. Aus einer Reihe von Gründen, das sei vorab klargestellt,
wurden bestimmte Definitionen anderen vorgezogen. Daran anschließend wird die ideologische
Orientierung des türkischen Nationalstaates untersucht und eine rationale Erklärung
für den Völkermord evaluiert.
Definitionen von Völkermord
Die für diese Studie gewählte Definition von Völkermord basiert auf den Richtlinien
von Raphael Lemkin,1 der Resolution 96(1) der Generalversammlung der Vereinten Nationen,
dem Entwurf des Sekretariats der Vereinten Nationen, den Schriften Ward Churchills2
und dem Internationalen Abkommen über die Rechte von indigenen Völkern.
Lemkin, der 1944 in seiner grundlegenden Arbeit Axis Rule in Occupied Europe3 , den
Begriff Genozid bzw. Völkermord geprägt hat, definiert ihn folgendermaßen:
Unter Genozid verstehen wir die Zerstörung eines Volkes oder einer ethnischen
Gruppe ... Im Allgemeinen bedeutet Genozid nicht unbedingt die unmittelbare Vernichtung
eines Volkes, außer wenn er durch Massenmord aller Mitglieder eines Volkes
erfolgt, sondern die planmäßige Koordinierung verschiedener Aktionen, die darauf
12
abzielen die unentbehrlichen Lebensgrundlagen von Volksgruppen zu zerstören, um
diese Gruppe selbst zu vernichten.
Ziele eines solchen Plans wäre das Zerschlagung der politischen und sozialen Institutionen,
der Kultur, der Sprache, des Nationalgefühls, der Religion und des Wirtschaftslebens
von Volksgruppen, die Vernichtung der persönlichen Sicherheit, Freiheit, Gesundheit
und Würde des Einzelnen ...
Genozid tritt in zwei Phasen auf: die eine, besteht darin, die nationalen Merkmale der
unterdrückten Gruppe zu zerstören; in der anderen werden der Gruppe die nationalen
Merkmale des Unterdrückers aufgezwungen. Dies wiederum betrifft die Gruppe, in
dem Fall, daß sie ihre Heimat nicht verlassen muß, es kann sich aber auch nur auf das
Gebiet beziehen, wenn die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben und das Gebiet von
den Bürgern der Nation des Unterdrückers kolonisiert wurde. ... Zudem sollten wir
nicht übersehen, daß Völkermord nicht nur ein Problem von Kriegs[zeiten], sondern
auch von Friedens[zeiten] ist.4
Die Resolution 96(1) der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die am 11.
Dezember 1946 verabschiedet wurde, beinhaltete, daß die zielgerichtete Verfolgung
(targeting) und die ganze oder teilweise Vernichtung politischer Gruppen ebenfalls
genozidale Handlungen darstellen.5 Darüber hinaus wird nicht unterschieden zwischen
genozidalen Akten oder Strategien, die im Ausland ausgeführt werden und solchen gegenüber
Gruppen innerhalb des beanspruchten Territorialgebiets des jeweiligen Staates, auf
die mit bestimmten Maßnahmen abgezielt wird. Es wird auch kein Unterschied gemacht,
ob sich diese Vorfälle in Friedens- oder in Kriegszeiten ereignen. Genauso verhält es sich
mit der Schwere des Verbrechens. Es wird nicht differenziert zwischen der Verwirklichung
genozidaler Zielsetzung durch tödliche Mittel und dem Verfolgen solcher Ziele durch
einen Prozeß der vorsätzlichen kulturellen Ausrottung.6
In dem Konventions-Entwurf des Sekretariats der Vereinten Nationen, der dem Council
of Progressive Development of International Law im Juni 1947 vorgelegt wurde, hieß es
ebenfalls, daß Völkermord ein Verbrechen ist, das ... auf drei verschiedene Arten verübt
wird (physisch, biologisch und kulturell), die jedoch oft in einer Wechselbeziehung zu
einander stehen ... Die vorsätzliche Vernichtung kultureller Existenz mit der gleichen
juristischen Ernsthaftigkeit behandelt werden wie der Akt der totalen physischen Vernichtung.
7
Kultureller Völkermord, wie er im Entwurf des Sekretariats definiert wird, bezieht sich
auf die Zerstörung der spezifischen Charakteristiken einer Gruppe. Zu den hier näher
bestimmten Maßnahmen gehören: die gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe
in eine andere Gruppe; die gewalttätige und systematische Verbannung von Menschen,
die die Kultur eine Gruppe vertreten, das Verbot, die Nationalsprache zu sprechen
oder die jeweilige Religion zu praktizieren, das Verbot Neues zu publizieren, die systematische
Verwüstung historischer und religiöser Denkmäler oder ihr Mißbrauch, die Vernichtung
oder der Mißbrauch von Dokumenten und Objekten von historischem künstlerischen
oder religiösen Wert sowie von religiösen Kultgegenständen.8 Die vorsätzliche
Zerstörung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Strukturen einer Gruppe, eines
Volkes oder einer Nation wurden eindeutig als Handlungen identifiziert, die das Verbrechen
des Völkermords ausmachen.
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3
Desmond Fernandes
Der Völkermord an den Kurden
in der Türkei, 1924-1998
Als die türkische Regierung den 75. Jahrestag der Republik feierte, wurde wiederholt die
Forderung gestellt, daß der türkische Staat den Völkermord an den Armeniern und den
Kurden anerkennen solle. Der Völkermord an den Kurden, um den es in dieser Studie
geht, begann wenige Monate nach der Gründung der türkischen Republik und dauert bis
heute an. Angesichts dieser alarmierenden Entwicklung ist es erschütternd, daß die großen
Medien und wissenschaftlichen Publikationen in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien
es im allgemeinen vorgezogen haben, über diesen Völkermord Stillschweigen
zu bewahren. Nur wenige haben versucht, zumindest anzuerkennen, daß ein Völkermord
stattgefunden hat.
Die türkische Regierung fährt ihrerseits fort, den Völkermord an den Armeniern und
an den Kurden zu leugnen. Auch westliche Regierungen haben im großen und ganzen
versagt. Sie haben es nicht geschafft, eine überzeugende diplomatische Handlungsstrategie
zu entwickeln, die diesen Völkermord benennt, ihn beendet oder den türkischen Staat
und die Täter zur Verantwortung zieht. Darüber hinaus kann in vielen Fällen ein direkter
Zusammenhang zwischen diesem unterlassenen Handeln und der Unterstützung konstatiert
werden, die bestimmte Regierungen der Türkei zuteil werden ließen. In dieser Studie
wird der Versuch unternommen, nachzuweisen, daß in einigen Phasen dieses Völkermords
die NATO und die Regierung der Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle
gespielt haben. Bevor untersucht wird, wie gravierend der Einfluß der NATO und der
US-Regierung gewesen ist, soll zunächst definiert werden, was unter dem Begriff Völkermord
(Genozid) zu verstehen ist. Aus einer Reihe von Gründen, das sei vorab klargestellt,
wurden bestimmte Definitionen anderen vorgezogen. Daran anschließend wird die ideologische
Orientierung des türkischen Nationalstaates untersucht und eine rationale Erklärung
für den Völkermord evaluiert.
Definitionen von Völkermord
Die für diese Studie gewählte Definition von Völkermord basiert auf den Richtlinien
von Raphael Lemkin,1 der Resolution 96(1) der Generalversammlung der Vereinten Nationen,
dem Entwurf des Sekretariats der Vereinten Nationen, den Schriften Ward Churchills2
und dem Internationalen Abkommen über die Rechte von indigenen Völkern.
Lemkin, der 1944 in seiner grundlegenden Arbeit Axis Rule in Occupied Europe3 , den
Begriff Genozid bzw. Völkermord geprägt hat, definiert ihn folgendermaßen:
Unter Genozid verstehen wir die Zerstörung eines Volkes oder einer ethnischen
Gruppe ... Im Allgemeinen bedeutet Genozid nicht unbedingt die unmittelbare Vernichtung
eines Volkes, außer wenn er durch Massenmord aller Mitglieder eines Volkes
erfolgt, sondern die planmäßige Koordinierung verschiedener Aktionen, die darauf
12
abzielen die unentbehrlichen Lebensgrundlagen von Volksgruppen zu zerstören, um
diese Gruppe selbst zu vernichten.
Ziele eines solchen Plans wäre das Zerschlagung der politischen und sozialen Institutionen,
der Kultur, der Sprache, des Nationalgefühls, der Religion und des Wirtschaftslebens
von Volksgruppen, die Vernichtung der persönlichen Sicherheit, Freiheit, Gesundheit
und Würde des Einzelnen ...
Genozid tritt in zwei Phasen auf: die eine, besteht darin, die nationalen Merkmale der
unterdrückten Gruppe zu zerstören; in der anderen werden der Gruppe die nationalen
Merkmale des Unterdrückers aufgezwungen. Dies wiederum betrifft die Gruppe, in
dem Fall, daß sie ihre Heimat nicht verlassen muß, es kann sich aber auch nur auf das
Gebiet beziehen, wenn die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben und das Gebiet von
den Bürgern der Nation des Unterdrückers kolonisiert wurde. ... Zudem sollten wir
nicht übersehen, daß Völkermord nicht nur ein Problem von Kriegs[zeiten], sondern
auch von Friedens[zeiten] ist.4
Die Resolution 96(1) der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die am 11.
Dezember 1946 verabschiedet wurde, beinhaltete, daß die zielgerichtete Verfolgung
(targeting) und die ganze oder teilweise Vernichtung politischer Gruppen ebenfalls
genozidale Handlungen darstellen.5 Darüber hinaus wird nicht unterschieden zwischen
genozidalen Akten oder Strategien, die im Ausland ausgeführt werden und solchen gegenüber
Gruppen innerhalb des beanspruchten Territorialgebiets des jeweiligen Staates, auf
die mit bestimmten Maßnahmen abgezielt wird. Es wird auch kein Unterschied gemacht,
ob sich diese Vorfälle in Friedens- oder in Kriegszeiten ereignen. Genauso verhält es sich
mit der Schwere des Verbrechens. Es wird nicht differenziert zwischen der Verwirklichung
genozidaler Zielsetzung durch tödliche Mittel und dem Verfolgen solcher Ziele durch
einen Prozeß der vorsätzlichen kulturellen Ausrottung.6
In dem Konventions-Entwurf des Sekretariats der Vereinten Nationen, der dem Council
of Progressive Development of International Law im Juni 1947 vorgelegt wurde, hieß es
ebenfalls, daß Völkermord ein Verbrechen ist, das ... auf drei verschiedene Arten verübt
wird (physisch, biologisch und kulturell), die jedoch oft in einer Wechselbeziehung zu
einander stehen ... Die vorsätzliche Vernichtung kultureller Existenz mit der gleichen
juristischen Ernsthaftigkeit behandelt werden wie der Akt der totalen physischen Vernichtung.
7
Kultureller Völkermord, wie er im Entwurf des Sekretariats definiert wird, bezieht sich
auf die Zerstörung der spezifischen Charakteristiken einer Gruppe. Zu den hier näher
bestimmten Maßnahmen gehören: die gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe
in eine andere Gruppe; die gewalttätige und systematische Verbannung von Menschen,
die die Kultur eine Gruppe vertreten, das Verbot, die Nationalsprache zu sprechen
oder die jeweilige Religion zu praktizieren, das Verbot Neues zu publizieren, die systematische
Verwüstung historischer und religiöser Denkmäler oder ihr Mißbrauch, die Vernichtung
oder der Mißbrauch von Dokumenten und Objekten von historischem künstlerischen
oder religiösen Wert sowie von religiösen Kultgegenständen.8 Die vorsätzliche
Zerstörung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Strukturen einer Gruppe, eines
Volkes oder einer Nation wurden eindeutig als Handlungen identifiziert, die das Verbrechen
des Völkermords ausmachen.
4
Diese kulturelle Begriffsbestimmung von Völkermord, auf deren Grundlage der Begriff
in dieser Studie verwendet wird, bezieht sich u.a. auf die Definitionen von Richard Arens,
Robert Davis, Mark Zannis, Ward Churchill und das Internationale Abkommen über die
Rechte von indigenen Völkern. Darin wird kultureller Völkermord wie folgt definiert:
a.) Jede Maßnahme, die indigene Völker ihrer Rechte (Integrität) als eigenständige
Gesellschaft oder ihrer kulturellen oder ethnischen Identität beraubt,
b.) Jede Form gewalttätiger Assimilierung oder Integration durch das Aufzwingen
anderer kultureller Verhaltens- oder Lebensweisen durch Medien, Religion, Bildungsstätten,
staatliche Gesetzgebung, Verwaltung sowie anderer Organisationen oder Mittel.
10
Nach Arens kann Völkermord in einer Form auftreten, die Anthropologen als
deculturation [der Kultur berauben] bezeichnen. Dies kann die Zerstörung aller oder einiger
der folgenden Fundamente bedeuten: politische und soziale Institutionen, Kultur,
Sprache, Nationalgefühl, Religion, ökonomische Stabilität, persönliche Sicherheit, Freiheit,
Gesundheit und Würde. Man braucht kein besonderes Vorstellungsvermögen zu
besitzen, um zu erkennen, daß die Zerstörung der Gesundheit und ökonomischen Stabilität
einer Bevölkerungsgruppe auch deren Tod bedeutet. Über deculturation wird seit
Jahrzehnten geforscht und es hat sich gezeigt, daß die tödlichen Folgen außer Zweifel
stehen.11
Davis und Zannis schreiben darüber hinaus: Man sollte nicht leichtfertig mit dem
Begriff kultureller Völkermord umgehen, so als handle es sich um eine imaginäre Erfindung
... die Zerstörung einer Kultur ist Völkermord, ein Verbrechen ... Menschen und ihr
gemeinsames Leben zu zerstören ist ein Verbrechen und es kann auch anders als durch
Massenmord begangen werden.12
Für Churchill ist es entscheidend, daß ganze Kulturen, ganze Völker gezwungenermaßen
als solche nicht weiter existieren können. Das Ergebnis ist Völkermord, ob nun diese
Auslöschung im Namen von rassisch/kultureller Überlegenheit geschieht oder auf der
Grundlage von technologisch/ökonomischer Entwicklung ... Das Wesen des Völkermordes
wird sichtbar in der Ausrottung von menschlichen Gemeinschaften per se, mit welchen
Mitteln und unter welcher Kategorie auch immer.13
In dieser Studie werden o.g. Begriffsbestimmungen anderen vorgezogen. Dafür gibt es
eine Reihe von Gründen.14 Die in der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung
von Völkermord von 1948 enthaltene Definition wurde hier nicht verwendet, weil sie
ihre eigenen Grundlagen Lemkins ursprüngliches Konzept, den ersten Konventionsentwurf
und die Resolution 96 (1) nicht nur verwässert, sondern auch verfälscht
hat.15 Die mangelhafte Definition, die letzen Endes in der Konvention angenommen
wurde, stellt für Churchill einen inakzeptablen ethischen Kompromiß dar, der zwischen
den USA und der UdSSR inmitten der Auseinandersetzungen des beginnenden Kalten
Krieges geschlossen wurde. Um ihre eigenen Rechte zu schützen, an eine Variante der
genozidalen Inhalte des Dritten Reichs anzuknüpfen ... wurde eine quid pro quo erwirkt,
bei der die Sowjets einwilligten, daß Sprachgruppen aus dem Konzept geschützter Kategorien
(in der Konvention) gestrichen wurden. Gleichzeitig erklärten sie sich nach anfänglichem
Widerstand bereit, Lemkins zweiten Artikel wegzulassen, der sich mit der Frage des
kulturellen Völkermords auseinandersetzt.16 Die Autoren Drost, Kuper und Churchill
14
haben zu Recht kritisiert, daß politische und wirtschaftliche Gruppen in der Völkermord
Konvention nicht aufgelistet werden.17 Der Genozid-Forscher Israel Charny hat bemerkt,
daß die verabschiedete Definition das Thema Massenmord am eigenen Volk
empörenderweise umgeht.18
Exklusivistische Begriffsbestimmungen von Völkermord, wie sie zum Beispiel Steven
Katz, Deborah Lipstadt und Yehuda Bauer liefern, wurden für diese Studie ebenso nicht
berücksichtigt, da sie fragwürdiger Weise versuchen Völkermord auf der Grundlage von
Erfahrungen zu definieren, die ihrer Ansicht nach ausschließlich Juden gemacht haben.19
Diese Begriffsbestimmungen haben die Tendenz, anderen Gruppen die Anerkennung als
Völkermordopfer zu versagen. Die Befürworter der Einzigartigkeit des Holocaust reproduzieren
bei dem Versuch, Völkermorde zu untersuchen, die an politischen Gruppen
oder Klassen verübt wurden, in fast unveränderter Form ein Muster von Behauptungen,
auf das sich antisemitische Revisionisten stützen, die das Leiden der Juden im Holocaust
leugnen.20 Für Churchill sind Katz Definitionen auch in anderer Hinsicht problematisch:
Katz, der Lemkins Namen benutzt, um sich für eine Idee zu legitimieren, schlägt
jedoch eine völlig andere Richtung ein als Lemkin in Axis Rule. Es handelt sich hier um eine
Übung in intellektueller Doppelzüngigkeit der simpelsten Art.21
Türkische Staatsideologie und die Beweggründe für den Völkermord an den Kurden
Die Beweggründe für den Völkermord an den Kurden liegen in der ultranationalistischen
ideologischen Ausrichtung des türkischen Staates und seines Gründungsvaters Mustafa
Kemal Atatürk. Kendal22 und Sadiq zufolge ist Atatürks ideologische Ausrichtung auf
intellektueller Ebene ... tief von der Ideologie der Jungtürken durchdrungen.23 Schließlich
war er bis 1919 Mitglied des innersten Kreises des Komitees für Einheit und Fortschritt
(Ittihad ve teraqqi cemiyeti)24 , der Partei der Jungtürken.25 Elemente ihrer Ideologie,
besonders wie sie sich nach 1909 gestaltete, wurden eindeutig instrumentalisiert, um
den Völkermord an den Armeniern einzuleiten und zu rechtfertigen.26
Simpson zufolge nahm Atatürk ungeachtet der klaren Kenntnis dieser Sachlage
Ittihadisten, die direkt mit dem Völkermord an den Armeniern zu tun hatten, in die
Reihen seiner Unabhängigkeitsbewegung auf.27 Darüber hinaus hatte er dafür gesorgt,
daß seine Sympathisanten den Strafprozeß gegen jene Ittihadisten, die wegen Massenmords
an den Armeniern angeklagt waren, systematisch verzögerten und behinderten.
Sie zerstörten Beweise, die gegen sie verwandt werden könnten, organisierten Ausbrüche
für die, gegen die Klage erhoben wurde und zettelten große Demonstrationen und öffentliche
Proteste gegen Gerichtsverhandlungen an.28 Während seines Unabhängigkeitskrieges
trug Kemals Aufnahme der Ittihadisten zu einem eskalierenden Zyklus von ... Tötungen
und erneuten Massakern an den Armeniern bei.29
Vahakn Dadrian bestätigt Simpsons Feststellungen: Die übrig gebliebenen Führer der
Spezial Organisation (tesktilat-I-mahsusa), die eine zentrale Rolle in den Kampagnen für
die Ausrottung des armenischen Volkes in der Zeit des Krieges spielten, wurden von
Kemal aufgenommen und eingesetzt, um seinen Befreiungskrieg in Gang zu bringen und
ihm einen organisatorischen Kern zu verschaffen.30 In der Tat wurde Kemals Bewegung
zum großen Teil von einer ansehnlichen Zahl Ittihadisten unterstützt, unter ihnen Zivilisten
und Militärs. Darüber hinaus halfen ihm Vertreter der Spezial Organisation, die
während des Krieges prima facie des Völkermords an den Armeniern angeklagt wurden ...
15
Kemalismus wurde für sie zum Schutz- und Zufluchtsort ... Und noch wichtiger, die
obersten Führer der Kemalisten waren durch die selben nationalistischen Impulse motiviert,
die die Ittihadisten dazu gebracht hatten, Völkermord zu begehen.31
Darüber hinaus gelang es Kemal durch den Vertrag von Lausanne, eine Amnestie für
alle Ittihadisten auszuhandeln, die in früheren Strafverfahren32 des Massenmordes an
den Armeniern angeklagt worden waren. Dadrian zufolge hat die später für Atatürk so
motivierende Ideologie und Bewegung der Ittihadisten dafür gesorgt, daß diese letzten
osmanisch-türkischen Herrscher unter dem fast ständig wirkenden Bann des Selbstverständnisses
der herrschenden Nation einer Art Herrenrasse , unfähig und unwillig
blieben, mit einer unterworfenen Nationalität ein Auskommen zu finden, wie berechtigt
deren Bitten und Forderungen auch gewesen sein mögen.33
Bereits 1924 schloß Kemals hypernationalistische und rassistische Vision eines neuen
türkischen Staates diese Ideen ein: Die Kemalisten hatten das Erbe der antiarmenischen
Politik der Jungtürken angetreten.34 Die kurdische unterworfene Nationalität sollte von
nun an durch genozidale Handlungen (wie im vorhergehenden Teil definiert) zusätzlich
verfolgt und entwurzelt werden. Diese gegen die Kurden gerichtete genozidale Absicht
hatte sich bei Kemal bereits 1921 herauskristalliert, als er kurdische Aufstände niederschlagen
ließ, die diesen Unterworfenen-Status in Frage gestellt hatten. Als damals Nuri
Dersimi und andere kurdische Führer in einem Memorandum gegen diesen Unterworfenen-
Status35 Stellung bezogen, wurden auf Kemals Weisung die gefürchtetsten Einheiten
der türkischen Armee nach Kurdistan versetzt.36 Sie verübten Grausamkeiten, brannten
Dörfer nieder und massakrierten die Einwohner. Beispiele dafür finden sich in den
Memoiren von Ebubekir Hazim Tepeyran, dem damaligen Gouverneur von Sivas; Einwohner
verließen, aus Furcht vor der Deportation, ihre Dörfer und ihren Besitz und
flüchteten in die Berge. Diese Menschen, die ihr Leben retten wollten, wurden als Banditen
bezeichnet, und so verbrannte man ihre Häuser und beschlagnahmte ihren Besitz. 76
Dörfer in der Gegend von Umraniye und Zara, 57 in der Gegend von Divrigi, insgesamt
wurden 133 Dörfer verwüstet. Es war, als ob Krieg gegen einen Feind geführt worden
wäre. Hunderte von Menschen waren ermordet, ihre Habe und ihr Vieh waren zerstört
und getötet worden. Tausende starben in den Bergen durch Hunger und Kälte.37
Chaliand legt dar, daß durch der Art und Weise, wie Atatürk der Türkei ab nihilio eine
mysteriöse Vergangenheit andichtete, um seinen Plan zur Schaffung einer Nation zu verwirklichen,
schon in der Entstehungsphase der neuen Republik eine genozidale Absicht
erkennbar war. Die Türken, die ursprünglich aus dem zentralasiatischen Raum stammen,
wurden darin zu Gründern der großen sumerischen, babylonischen und hittitischen
Zivilisationen von Klein Asien und Mesopotamien. In dieser ultranationalistischen Vision,
existierten die Kurden einfach gar nicht.38 Laut Besikci wurde diese ultranationalistische
Vision noch zusätzlich durch den Vertrag von Lausanne genährt, der 1923 auf institutioneller
Ebene und mit internationaler Zustimmung der Großmächte zum Wegbereiter
für die Degradierung und tatsächliche Versklavung der Kurden wurde ... Es steht eindeutig
fest, daß der Vertrag von Lausanne die Kurden auf empörende Weise unterdrückt und
ihnen bis heute das Recht auf Freiheit verwehrt. Der türkische Staat sah darin ein Startsignal,
die Identität, die Sprache und das Vermächtnis der Kurden von der Erdoberfläche
und aus den Geschichtsbüchern zu tilgen. Darüber hinaus ist es strittig, ob der türkische
Staat die Unterzeichnung des Vertrags nicht als internationale Garantie und Bestätigung
dafür sah, Politik und Praxis aus der Zeit des Komitees für Einheit und Fortschritt fortzu16
setzen.
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4
Diese kulturelle Begriffsbestimmung von Völkermord, auf deren Grundlage der Begriff
in dieser Studie verwendet wird, bezieht sich u.a. auf die Definitionen von Richard Arens,
Robert Davis, Mark Zannis, Ward Churchill und das Internationale Abkommen über die
Rechte von indigenen Völkern. Darin wird kultureller Völkermord wie folgt definiert:
a.) Jede Maßnahme, die indigene Völker ihrer Rechte (Integrität) als eigenständige
Gesellschaft oder ihrer kulturellen oder ethnischen Identität beraubt,
b.) Jede Form gewalttätiger Assimilierung oder Integration durch das Aufzwingen
anderer kultureller Verhaltens- oder Lebensweisen durch Medien, Religion, Bildungsstätten,
staatliche Gesetzgebung, Verwaltung sowie anderer Organisationen oder Mittel.
10
Nach Arens kann Völkermord in einer Form auftreten, die Anthropologen als
deculturation [der Kultur berauben] bezeichnen. Dies kann die Zerstörung aller oder einiger
der folgenden Fundamente bedeuten: politische und soziale Institutionen, Kultur,
Sprache, Nationalgefühl, Religion, ökonomische Stabilität, persönliche Sicherheit, Freiheit,
Gesundheit und Würde. Man braucht kein besonderes Vorstellungsvermögen zu
besitzen, um zu erkennen, daß die Zerstörung der Gesundheit und ökonomischen Stabilität
einer Bevölkerungsgruppe auch deren Tod bedeutet. Über deculturation wird seit
Jahrzehnten geforscht und es hat sich gezeigt, daß die tödlichen Folgen außer Zweifel
stehen.11
Davis und Zannis schreiben darüber hinaus: Man sollte nicht leichtfertig mit dem
Begriff kultureller Völkermord umgehen, so als handle es sich um eine imaginäre Erfindung
... die Zerstörung einer Kultur ist Völkermord, ein Verbrechen ... Menschen und ihr
gemeinsames Leben zu zerstören ist ein Verbrechen und es kann auch anders als durch
Massenmord begangen werden.12
Für Churchill ist es entscheidend, daß ganze Kulturen, ganze Völker gezwungenermaßen
als solche nicht weiter existieren können. Das Ergebnis ist Völkermord, ob nun diese
Auslöschung im Namen von rassisch/kultureller Überlegenheit geschieht oder auf der
Grundlage von technologisch/ökonomischer Entwicklung ... Das Wesen des Völkermordes
wird sichtbar in der Ausrottung von menschlichen Gemeinschaften per se, mit welchen
Mitteln und unter welcher Kategorie auch immer.13
In dieser Studie werden o.g. Begriffsbestimmungen anderen vorgezogen. Dafür gibt es
eine Reihe von Gründen.14 Die in der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung
von Völkermord von 1948 enthaltene Definition wurde hier nicht verwendet, weil sie
ihre eigenen Grundlagen Lemkins ursprüngliches Konzept, den ersten Konventionsentwurf
und die Resolution 96 (1) nicht nur verwässert, sondern auch verfälscht
hat.15 Die mangelhafte Definition, die letzen Endes in der Konvention angenommen
wurde, stellt für Churchill einen inakzeptablen ethischen Kompromiß dar, der zwischen
den USA und der UdSSR inmitten der Auseinandersetzungen des beginnenden Kalten
Krieges geschlossen wurde. Um ihre eigenen Rechte zu schützen, an eine Variante der
genozidalen Inhalte des Dritten Reichs anzuknüpfen ... wurde eine quid pro quo erwirkt,
bei der die Sowjets einwilligten, daß Sprachgruppen aus dem Konzept geschützter Kategorien
(in der Konvention) gestrichen wurden. Gleichzeitig erklärten sie sich nach anfänglichem
Widerstand bereit, Lemkins zweiten Artikel wegzulassen, der sich mit der Frage des
kulturellen Völkermords auseinandersetzt.16 Die Autoren Drost, Kuper und Churchill
14
haben zu Recht kritisiert, daß politische und wirtschaftliche Gruppen in der Völkermord
Konvention nicht aufgelistet werden.17 Der Genozid-Forscher Israel Charny hat bemerkt,
daß die verabschiedete Definition das Thema Massenmord am eigenen Volk
empörenderweise umgeht.18
Exklusivistische Begriffsbestimmungen von Völkermord, wie sie zum Beispiel Steven
Katz, Deborah Lipstadt und Yehuda Bauer liefern, wurden für diese Studie ebenso nicht
berücksichtigt, da sie fragwürdiger Weise versuchen Völkermord auf der Grundlage von
Erfahrungen zu definieren, die ihrer Ansicht nach ausschließlich Juden gemacht haben.19
Diese Begriffsbestimmungen haben die Tendenz, anderen Gruppen die Anerkennung als
Völkermordopfer zu versagen. Die Befürworter der Einzigartigkeit des Holocaust reproduzieren
bei dem Versuch, Völkermorde zu untersuchen, die an politischen Gruppen
oder Klassen verübt wurden, in fast unveränderter Form ein Muster von Behauptungen,
auf das sich antisemitische Revisionisten stützen, die das Leiden der Juden im Holocaust
leugnen.20 Für Churchill sind Katz Definitionen auch in anderer Hinsicht problematisch:
Katz, der Lemkins Namen benutzt, um sich für eine Idee zu legitimieren, schlägt
jedoch eine völlig andere Richtung ein als Lemkin in Axis Rule. Es handelt sich hier um eine
Übung in intellektueller Doppelzüngigkeit der simpelsten Art.21
Türkische Staatsideologie und die Beweggründe für den Völkermord an den Kurden
Die Beweggründe für den Völkermord an den Kurden liegen in der ultranationalistischen
ideologischen Ausrichtung des türkischen Staates und seines Gründungsvaters Mustafa
Kemal Atatürk. Kendal22 und Sadiq zufolge ist Atatürks ideologische Ausrichtung auf
intellektueller Ebene ... tief von der Ideologie der Jungtürken durchdrungen.23 Schließlich
war er bis 1919 Mitglied des innersten Kreises des Komitees für Einheit und Fortschritt
(Ittihad ve teraqqi cemiyeti)24 , der Partei der Jungtürken.25 Elemente ihrer Ideologie,
besonders wie sie sich nach 1909 gestaltete, wurden eindeutig instrumentalisiert, um
den Völkermord an den Armeniern einzuleiten und zu rechtfertigen.26
Simpson zufolge nahm Atatürk ungeachtet der klaren Kenntnis dieser Sachlage
Ittihadisten, die direkt mit dem Völkermord an den Armeniern zu tun hatten, in die
Reihen seiner Unabhängigkeitsbewegung auf.27 Darüber hinaus hatte er dafür gesorgt,
daß seine Sympathisanten den Strafprozeß gegen jene Ittihadisten, die wegen Massenmords
an den Armeniern angeklagt waren, systematisch verzögerten und behinderten.
Sie zerstörten Beweise, die gegen sie verwandt werden könnten, organisierten Ausbrüche
für die, gegen die Klage erhoben wurde und zettelten große Demonstrationen und öffentliche
Proteste gegen Gerichtsverhandlungen an.28 Während seines Unabhängigkeitskrieges
trug Kemals Aufnahme der Ittihadisten zu einem eskalierenden Zyklus von ... Tötungen
und erneuten Massakern an den Armeniern bei.29
Vahakn Dadrian bestätigt Simpsons Feststellungen: Die übrig gebliebenen Führer der
Spezial Organisation (tesktilat-I-mahsusa), die eine zentrale Rolle in den Kampagnen für
die Ausrottung des armenischen Volkes in der Zeit des Krieges spielten, wurden von
Kemal aufgenommen und eingesetzt, um seinen Befreiungskrieg in Gang zu bringen und
ihm einen organisatorischen Kern zu verschaffen.30 In der Tat wurde Kemals Bewegung
zum großen Teil von einer ansehnlichen Zahl Ittihadisten unterstützt, unter ihnen Zivilisten
und Militärs. Darüber hinaus halfen ihm Vertreter der Spezial Organisation, die
während des Krieges prima facie des Völkermords an den Armeniern angeklagt wurden ...
15
Kemalismus wurde für sie zum Schutz- und Zufluchtsort ... Und noch wichtiger, die
obersten Führer der Kemalisten waren durch die selben nationalistischen Impulse motiviert,
die die Ittihadisten dazu gebracht hatten, Völkermord zu begehen.31
Darüber hinaus gelang es Kemal durch den Vertrag von Lausanne, eine Amnestie für
alle Ittihadisten auszuhandeln, die in früheren Strafverfahren32 des Massenmordes an
den Armeniern angeklagt worden waren. Dadrian zufolge hat die später für Atatürk so
motivierende Ideologie und Bewegung der Ittihadisten dafür gesorgt, daß diese letzten
osmanisch-türkischen Herrscher unter dem fast ständig wirkenden Bann des Selbstverständnisses
der herrschenden Nation einer Art Herrenrasse , unfähig und unwillig
blieben, mit einer unterworfenen Nationalität ein Auskommen zu finden, wie berechtigt
deren Bitten und Forderungen auch gewesen sein mögen.33
Bereits 1924 schloß Kemals hypernationalistische und rassistische Vision eines neuen
türkischen Staates diese Ideen ein: Die Kemalisten hatten das Erbe der antiarmenischen
Politik der Jungtürken angetreten.34 Die kurdische unterworfene Nationalität sollte von
nun an durch genozidale Handlungen (wie im vorhergehenden Teil definiert) zusätzlich
verfolgt und entwurzelt werden. Diese gegen die Kurden gerichtete genozidale Absicht
hatte sich bei Kemal bereits 1921 herauskristalliert, als er kurdische Aufstände niederschlagen
ließ, die diesen Unterworfenen-Status in Frage gestellt hatten. Als damals Nuri
Dersimi und andere kurdische Führer in einem Memorandum gegen diesen Unterworfenen-
Status35 Stellung bezogen, wurden auf Kemals Weisung die gefürchtetsten Einheiten
der türkischen Armee nach Kurdistan versetzt.36 Sie verübten Grausamkeiten, brannten
Dörfer nieder und massakrierten die Einwohner. Beispiele dafür finden sich in den
Memoiren von Ebubekir Hazim Tepeyran, dem damaligen Gouverneur von Sivas; Einwohner
verließen, aus Furcht vor der Deportation, ihre Dörfer und ihren Besitz und
flüchteten in die Berge. Diese Menschen, die ihr Leben retten wollten, wurden als Banditen
bezeichnet, und so verbrannte man ihre Häuser und beschlagnahmte ihren Besitz. 76
Dörfer in der Gegend von Umraniye und Zara, 57 in der Gegend von Divrigi, insgesamt
wurden 133 Dörfer verwüstet. Es war, als ob Krieg gegen einen Feind geführt worden
wäre. Hunderte von Menschen waren ermordet, ihre Habe und ihr Vieh waren zerstört
und getötet worden. Tausende starben in den Bergen durch Hunger und Kälte.37
Chaliand legt dar, daß durch der Art und Weise, wie Atatürk der Türkei ab nihilio eine
mysteriöse Vergangenheit andichtete, um seinen Plan zur Schaffung einer Nation zu verwirklichen,
schon in der Entstehungsphase der neuen Republik eine genozidale Absicht
erkennbar war. Die Türken, die ursprünglich aus dem zentralasiatischen Raum stammen,
wurden darin zu Gründern der großen sumerischen, babylonischen und hittitischen
Zivilisationen von Klein Asien und Mesopotamien. In dieser ultranationalistischen Vision,
existierten die Kurden einfach gar nicht.38 Laut Besikci wurde diese ultranationalistische
Vision noch zusätzlich durch den Vertrag von Lausanne genährt, der 1923 auf institutioneller
Ebene und mit internationaler Zustimmung der Großmächte zum Wegbereiter
für die Degradierung und tatsächliche Versklavung der Kurden wurde ... Es steht eindeutig
fest, daß der Vertrag von Lausanne die Kurden auf empörende Weise unterdrückt und
ihnen bis heute das Recht auf Freiheit verwehrt. Der türkische Staat sah darin ein Startsignal,
die Identität, die Sprache und das Vermächtnis der Kurden von der Erdoberfläche
und aus den Geschichtsbüchern zu tilgen. Darüber hinaus ist es strittig, ob der türkische
Staat die Unterzeichnung des Vertrags nicht als internationale Garantie und Bestätigung
dafür sah, Politik und Praxis aus der Zeit des Komitees für Einheit und Fortschritt fortzu16
setzen.
5
Diese genozidale Absicht scheint allerdings schon 1923 von einigen maßgebenden
kurdischen Intellektuellen, Scheichs und religiösen Führern erkannt worden zu sein.
Kendal berichtet, daß sie in das Komitee für kurdische Unabhängigkeit (Kürt Istiklal
Cemiyeti) eintraten, aus Angst, daß die neue türkische Regierung die unionistische [armenische]
Politik auch auf die Kurden anwenden würde.40
Wir erfahren sowohl von Imset als auch von Kendal,41 daß Mustafa Kemal als Staatschef
in ideologischer Hinsicht sehr schnell die Auffassung annahm, daß es für die Entstehung
eines türkischen Staates unbedingt erforderlich sei, den Hauptfeind, die Armenier,
zu liquidieren und die Kurden zu assimilieren.42 Nach dem Völkermord an den Armeniern
und den Maßnahmen gegen die Griechen,43 repräsentierten die Kurden die einzige
Gemeinschaft, die die Türkei in ihrer Existenz als einen quasi ethnisch homogenen Nationalstaat
bedrohen könnte.44 Kurden, die nicht auf die beschriebene Weise assimiliert
und turkifiziert werden wollten, betrachtete man einfach nicht weiter als Bestandteil
eines sich neu formenden Systems innerhalb des Misak-i Milli oder der allgewaltigen
türkischen Republik.45 Dementsprechend wurden sie auch behandelt. Sie wurden nicht
länger als Nicht-Kombattanten angesehen oder geschützt. Überall wo man Widerstand
gegen genozidale Maßnahmen wahrnahm ihn sich eingebildete, wurde sie als Verdächtige
und oftmals als Kombattanten eingestuft, genauso wie die Armenier [vor ihnen].46
Das Ausmaß, in welchem die Kurden sehr schnell zur Nicht-Entität in dem türkischen
politischen Vokabular47 und statt dessen zum Objekt einer Staatspolitik des geballten
physischen und kulturellen Völkermords wurden, ist den Äußerungen von Ismet
Inönu, Tevfik Rüstü und Mahmut Bozkurt vorgezeichnet. Diese drei Politiker hatten
Schlüsselpositionen inne und standen an der Spitze der aktiven türkischen Regierungspolitik.
Ismet Inönü, der 1938 Atatürks Nachfolger als Präsident der Republik wurde, bestätigte
in seiner Eigenschaft als Premier Minister (am 5. Mai 1925): wir sind, geradeheraus
gesprochen, Nationalisten ... und Nationalismus ist das einzige Element, das uns zusammenhält.
Gegenüber der türkischen Mehrheit haben andere Elemente keinen Einfluß.
Wir müssen die Bewohner unseres Landes um jeden Preis turkifizieren und wir werden
diejenigen vernichten, die gegen die Türkei und das Türkentum opponieren.48 Justizminister
Mahmut Esat Bozkurt verkündete fünf Jahre später, in einem ebenso bedrohlichen
Ton, daß diejenigen, die nicht von reinem türkischen Geblüt sind, nur ein Recht in
diesem Land haben das Recht Sklaven und Dienstboten zu sein.49
1930 hatte Inönü deutlich gemacht, daß auf jeden Versuch der Kurden nach 1923,
auf Gleichheit und auf andere nationale, politische oder kulturelle Rechte zu beharren
so wie es ihnen im Amasya Protokoll (1919), im Vertrag von Sevres (1920) und von
Kemal (erst 1923) selbst während des Unabhängigkeits-Kampfes versprochen wurde50
mit Gewalt durch Militär oder andere Mittel reagiert würde: Nur das türkische Volk,
betonte er, ist berechtigt, ethnische und nationale Rechte in diesem Land einzufordern.
Kein anderes Element besitzt ein solches Recht.51 Tevfik Rüstü, der türkische Außenminister,
der oft an der Seite Kemals52 zu sehen war, erklärte 1927, daß alle Kurden, die
weiterhin ihre kulturelle oder unterschiedliche Identität verteidigen und/oder behaupten
würden, unweigerlich zum Untergang bestimmt seien. Da, wie in ihrem Fall, das kulturelle
Niveau so niedrig, die Mentalität so rückständig sei, daß sie nicht einfach in das
allgemeine türkische Staatswesen integriert werden können ... Sie werden aussterben ...
ungeeignet für den Kampf ums Dasein im Wettbewerb mit den weiterentwickelten und
kultivierten Türken ... [Diejenigen, denen es nicht gelingt] nach Persien oder den Irak zu
17
emigrieren ... werden die Ausrottung der nicht Anpassungsfähigen erleiden müssen.53
Diese Strategien, bestätigte der türkische Außenminister in einem Gespräch mit Michael
Dobbs, dem britischen Hochkommissar für Irak, mußten notwendigerweise gegen
die Kurden angewandt werden, um die geplante Verwestlichung, die Bildung der türkischen
Nation und die koloniale Siedlungspolitik nicht zu gefährden: Die türkische Regierung
ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kurden, sich nicht assimilieren ließen
und verbannt werden müßten. Die Gründung der modernen Türkei hatte viele Menschenopfer
gefordert und es durfte auch weiterhin kein Erbarmen geben. Die Türkei hatte
sich der Griechen und Armenier entledigt und die Kurden kämen als nächste an die Reihe.
Man wollte sie nicht nur wegen ihrer hoffnungslosen Gesinnung loswerden, sondern weil
außer der Mittelmeer- und der Schwarzmeerküste die ostanatolischen Gebiete die fruchtbarsten
des Landes waren und somit für die Ansiedlung von Türken gebraucht wurden.
Außerdem sei es gefährlich, den Kurden die Grenzgebiete zu überlassen ... Ich fragte ihn,
ob es nicht schwierig sei, dieses Vorhaben auch umzusetzen und ob es dadurch nicht
Probleme an der türkischen Grenze geben würde. Er sagte nein. Sie rechneten damit, daß
... man mit den Kurden schon fertig würde. Auf jeden Fall seien sie entschlossen, diesen
Plan zum Ende zu bringen.54
Darüber hinaus erklärt Kendal, warum Kemal und die zukünftige türkische Regierungselite
sich so für genozidale Maßnahmen gegen die Kurden einsetzten. Weil sie moderne,
westliche und säkularistische Ideale in eine ultra-nationalistische, rassistische und zerbrechliche
republikanisch-koloniale Staatsstruktur einpflanzen wollten, haben Kemal und seine
Nachfolger sich bemüht, eine fiktive, rassisch überlegene, vereinigte nationale Identität zu
schaffen, die auf einem idealisierten und abstrakten Verständnis von dem was türkisch
und zivilisiert ist, basiert. Um seine Idee einer größeren türkischen Einheit zu verwirklichen,
seine autoritäre Machtbasis zu stärken und seine ultranationalen, kolonialistischen
und modernistischen Ambitionen zu befriedigen, war in Kemals Konzept der Völkermord
an den Kurden genauso wie in anderen Fällen der Völkermord an den jeweils anderen
55 ein fundamentales Triebwerk für die Bildung eines Imperiums und Nationalstaates.
56
Kendals detaillierte Einsichten in dieser Frage sind sehr aufschlußreich und werden
daher an dieser Stelle in voller Länge zitiert:
Was die Kurden angeht, die [von Kemalisten inspirierte, mythische] Geschichte hat
gezeigt, daß sie turanischer Abstammung sind und vor fünftausend Jahren aus Zentralasien
kamen. Wenn sie heute einen Dialekt sprechen, eine Mischung aus Alt-Türkisch,
Persisch, Arabisch und Armenisch, liegt es daran, daß sie fernab in ihren unzugänglichen
Bergen ihre Muttersprache vergessen haben und unter den Einfluß ihrer
persischen Nachbarn geraten sind. Tekin Alp, offizieller türkischer Ideologe, macht
deutlich, daß von Anfang an der türkische Nationalismus das einzige Ideal des
Kemalismus war. Es war dieser imaginäre, aggressive und übertriebene Nationalismus
mit dem die Kurden konfrontiert wurden. Seitdem die Kurden die einzige [sic] Minderheit
innerhalb der Grenzen der Türkei waren, lieferten sie als Angehörige einer
untergeordneten Rasse einen Gegenpol, gegen den sich ein großtürkischer Nationalismus
behaupten konnte.57
18
Welchen besseren Beweis für die Überlegenheit und die Herrlichkeit der großtürkischen
Nation hätte es geben können als diese glänzenden Siege? ... Wie hätte
man besser zeigen können, daß das türkische Volk groß, zivilisiert und mutig ist, als
mit der Konstruktion eines greifbaren Gegenpols, den wilden und rückständigen
Kurden ... Welches bessere Mittel konnte die Regierung in Ankara finden, sich bei
seinem Volk beliebt zu machen, als die militärischen Großtaten ihres Expeditions-
Korps in Kurdistan? Es waren ganz bestimmt nicht ihre Erfolge in Kunst und Wissenschaft
und auch mit ihrer ökonomischen Situation konnten sie kaum Eindruck machen.
Das Land wurde beherrscht von einer korrupten Bourgeoisie, die den Großteil
des türkischen Volkes dazu verdammte, in Elend und Armut sowie unter einer wachsenden
Belastung durch Steuern und Schulden zu leben.
In dieser Phase der Selbstsicherheit benötigte der türkische Nationalismus, seinen Militarismus
... Die nationalistischen türkischen Herrscher brauchten Kriege; doch die
benachbarten Länder standen entweder unter britischem oder französischen Protektorat
oder sie waren selbst zu mächtig, wie die Sowjetunion. So wurde statt dessen den
Kurden durch Provokation, Deportation oder versuchte Assimilation ein Krieg aufgezwungen.
Mit Hilfe dieser kolonialistischen Militäraktionen konnte die Regierung in
Ankara darüber hinaus, die kommunistische und die liberale Opposition eliminieren.
Die Großtaten der ruhmreichen türkischen Armee im barbarischen Kurdistan wurden
landesweit im Radio übertragen. Dies half, das türkische Volk einzuschüchtern
und jede mögliche Revolte gegen das Regime in Ankara im Keim zu ersticken. Diese
politischen Interessen und ideologischen Aspekte, waren, wie ich meine, verantwortlich
für den Leidensweg der Kurden von 1925 bis 1939.58
Ferner haben etliche Wissenschaftler, politische Kommentatoren, Kultur- und
Menschenrechtsorganisationen dokumentiert, daß die genozidalen Maßnahmen des türkischen
Staates nach 1939 weiterhin gegen die Kurden gerichtet waren.59 Obwohl seither
verschiedene Parteien und Militärregime an der Macht waren, hat sich an der kemalistischen,
ultranationalistischen und antikurdischen ideologischen Ausrichtung des Staates kaum
etwas geändert. Mc Dowall hat zum Beispiel festgestellt, daß die liberale Politik der
Demokratischen Partei nach 1950 versagt hat, weil sie nicht in der Lage war, den anerkannten
Werten des kemalistischen Staates die Stirn zu bieten oder sie zu ersetzten.60
Auch für die 80iger Jahre konstatiert Ismail Besikci, daß in der offiziellen Ideologie der
Türkei beharrlich darauf bestanden wird, daß es kein kurdisches Volk und auch keine
kurdische Sprache gibt. Ein primärer Aspekt dieser Ideologie, die wir verkürzt Kemalismus
nennen können, ist ihre impertinente antikurdische Haltung. Sie ist rassistisch und
kolonialistisch. Die Kurden in der Türkei haben nur das Recht Türken zu werden. Die
Alternative ist Repression, Grausamkeit, Gefängnis.61
Laut Besikci hatte sich auch achtzehn Jahre später kaum etwas geändert: Mit dem
Assimilierungsdruck hatte man darauf abgesehen, die Sprache, Kultur, Literatur und die
Existenz der Kurden auszuradieren. Die Kurden, die sich einer Assimilierung widersetzten,
die Gruppen, die die Rechte der kurdischen Gesellschaft verteidigten, werden physisch
eliminiert. Aus welcher Perspektive man das Problem auch betrachten mag, es läuft
auf kulturellen Völkermord hinaus.62 Studien von Yashar Kemal, Ismet Imset, des türkischen
Menschenrechtsvereins (IHD) und Selahattin Çelik, haben ebenso gezeigt, daß die
19
rassistische und kolonialistische ideologische Ausrichtung des Staates der Beweggrund für
den fortdauernden Völkermord an den Kurden ist.63 Der Präsident der türkischen Republik
hat diese Tatsache nicht etwa geleugnet sondern versichert, daß die Staatsideologie
einen Platz für ... Maßnahmen einräumt, die auf Sprache, Rasse, oder konfessionelle Unterschiede
in unserem Heimatland abzielen. Die Regierung wird die Krankheiten besiegen
und Köpfe werden zerschmettert werden.64
Der Völkermord an den Kurden in der türkischen Republik, 1924-46.
Im März 1924 wurden Maßnahmen ergriffen, die auf die Auslöschung kultureller und
politischer kurdischer Identität abzielten: Der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache
und ihr Unterricht in Schulen wurden untersagt. Einflußreiche kurdische Grundbesitzer
wurden in den Westen des Landes zwangsumgesiedelt.65 Kurdische Sprecher mußten
für jedes kurdische Wort eine Strafe zahlen.66 Gerichte lehnten Kurdisch ab. Jeder
Hinweis auf Kurdistan wurde aus der Öffentlichkeit verbannt und türkische Ortsnamen
ersetzten allmählich kurdische.67 Nach und nach wurden alle kurdischen Schulen, Vereine,
Medresen,68 religiöse Bruderschaften und Veröffentlichungen verboten.69 Die Abschaffung
des Kalifats, das Verbot der religiösen Bruderschaften70 und die Einführung
von einschneidenden Reformen, die den Islam auf den Privatbereich beschränkten71
wurden als definitive Bedrohungen der politischen und religiösen Identität aufgefaßt
insbesondere, sunnitische kurdische Gemeinden, die Zaza und Kurmanci sprachen.72
Wie Kemal selbst zugeben mußte, lag eine genozidale Absicht hinter den Maßnahmen des
Staates: Konnte eine zivilisierte Nation wie die Türkei es sich leisten, eine große Zahl von
Menschen zu tolerieren, die sich von einer Herde Scheichs, Dedes, Sayyids, Celebis, Babas
und Amiren an der Nase herumführen ließ?73
Einem zeitgenössischen kurdischen Bericht zufolge begann das kemalistische Programm
mit einer Kampagne der gewaltsamen Turkifizierung der unterlegenen Mächte in
ihrer Reichweite. Sie beschlagnahmten nicht nur den Besitz sondern verübten auch Massaker.
Zu denen, auf die diese Maßnahmen abzielten, gehörten Nichtmuslime und auch
Kurden ... alle moralischen Beziehungen zu den Türken sind seither vollkommen zerbrochen.
Die Kurden verlangten nationale Unabhängigkeit oder Privilegien.74 Die Verfassung,
die im selben Jahr entworfen wurde, ebnete darüber hinaus den Weg für einen
fortdauernden Genozid an den Kurden, indem sie Mustafa Kemals Gedanken absegnete,
dem zufolge die Türkei strikt türkisch sein sollte.75
Laut Çelik und Kendal versuchte Kemal jede kurdische politische Fraktion und Bewegung
zu eliminieren, die mit militärischen Mitteln oder auf anderem Wege ihre Autonomie
verteidigte und nationale- oder einfach nur nicht-türkische Rechte einforderte und
dies im Angesicht seiner ultranationalistischen und Assimilierung anstrebenden Politik.76
Es gab zwischen 1924 und 1938 sechzehn große Aufstände.77 Kemal bediente sich
medizinischer Fachausdrücke, wenn er seine Befehle gab. In bezug auf die Mobilmachung
gegen Dersim, erteilte er seiner Nationalversammlung und der Armee den Rat, das bedrohliche
Geschwür operativ zu entfernen und auszurotten.78
Der Scheich Said Aufstand, dessen Speerspitze das Komitee für kurdische Unabhängigkeit
und Scheich Said aus Piran waren, wurde 1925 im Keim erstickt.79 Poulton zufolge
starben zwischen 40.000 und 250.000 Menschen während dieses Befriedungsprozesses.
80 Sehr viele Kurden wurden aus der Region Kurdistan deportiert und mindestens
20
210 kurdische Dörfer niedergebrannt und dies durch eine Luftwaffe und eine Armee, die
circa 80.000 Mann stark war.
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Diese genozidale Absicht scheint allerdings schon 1923 von einigen maßgebenden
kurdischen Intellektuellen, Scheichs und religiösen Führern erkannt worden zu sein.
Kendal berichtet, daß sie in das Komitee für kurdische Unabhängigkeit (Kürt Istiklal
Cemiyeti) eintraten, aus Angst, daß die neue türkische Regierung die unionistische [armenische]
Politik auch auf die Kurden anwenden würde.40
Wir erfahren sowohl von Imset als auch von Kendal,41 daß Mustafa Kemal als Staatschef
in ideologischer Hinsicht sehr schnell die Auffassung annahm, daß es für die Entstehung
eines türkischen Staates unbedingt erforderlich sei, den Hauptfeind, die Armenier,
zu liquidieren und die Kurden zu assimilieren.42 Nach dem Völkermord an den Armeniern
und den Maßnahmen gegen die Griechen,43 repräsentierten die Kurden die einzige
Gemeinschaft, die die Türkei in ihrer Existenz als einen quasi ethnisch homogenen Nationalstaat
bedrohen könnte.44 Kurden, die nicht auf die beschriebene Weise assimiliert
und turkifiziert werden wollten, betrachtete man einfach nicht weiter als Bestandteil
eines sich neu formenden Systems innerhalb des Misak-i Milli oder der allgewaltigen
türkischen Republik.45 Dementsprechend wurden sie auch behandelt. Sie wurden nicht
länger als Nicht-Kombattanten angesehen oder geschützt. Überall wo man Widerstand
gegen genozidale Maßnahmen wahrnahm ihn sich eingebildete, wurde sie als Verdächtige
und oftmals als Kombattanten eingestuft, genauso wie die Armenier [vor ihnen].46
Das Ausmaß, in welchem die Kurden sehr schnell zur Nicht-Entität in dem türkischen
politischen Vokabular47 und statt dessen zum Objekt einer Staatspolitik des geballten
physischen und kulturellen Völkermords wurden, ist den Äußerungen von Ismet
Inönu, Tevfik Rüstü und Mahmut Bozkurt vorgezeichnet. Diese drei Politiker hatten
Schlüsselpositionen inne und standen an der Spitze der aktiven türkischen Regierungspolitik.
Ismet Inönü, der 1938 Atatürks Nachfolger als Präsident der Republik wurde, bestätigte
in seiner Eigenschaft als Premier Minister (am 5. Mai 1925): wir sind, geradeheraus
gesprochen, Nationalisten ... und Nationalismus ist das einzige Element, das uns zusammenhält.
Gegenüber der türkischen Mehrheit haben andere Elemente keinen Einfluß.
Wir müssen die Bewohner unseres Landes um jeden Preis turkifizieren und wir werden
diejenigen vernichten, die gegen die Türkei und das Türkentum opponieren.48 Justizminister
Mahmut Esat Bozkurt verkündete fünf Jahre später, in einem ebenso bedrohlichen
Ton, daß diejenigen, die nicht von reinem türkischen Geblüt sind, nur ein Recht in
diesem Land haben das Recht Sklaven und Dienstboten zu sein.49
1930 hatte Inönü deutlich gemacht, daß auf jeden Versuch der Kurden nach 1923,
auf Gleichheit und auf andere nationale, politische oder kulturelle Rechte zu beharren
so wie es ihnen im Amasya Protokoll (1919), im Vertrag von Sevres (1920) und von
Kemal (erst 1923) selbst während des Unabhängigkeits-Kampfes versprochen wurde50
mit Gewalt durch Militär oder andere Mittel reagiert würde: Nur das türkische Volk,
betonte er, ist berechtigt, ethnische und nationale Rechte in diesem Land einzufordern.
Kein anderes Element besitzt ein solches Recht.51 Tevfik Rüstü, der türkische Außenminister,
der oft an der Seite Kemals52 zu sehen war, erklärte 1927, daß alle Kurden, die
weiterhin ihre kulturelle oder unterschiedliche Identität verteidigen und/oder behaupten
würden, unweigerlich zum Untergang bestimmt seien. Da, wie in ihrem Fall, das kulturelle
Niveau so niedrig, die Mentalität so rückständig sei, daß sie nicht einfach in das
allgemeine türkische Staatswesen integriert werden können ... Sie werden aussterben ...
ungeeignet für den Kampf ums Dasein im Wettbewerb mit den weiterentwickelten und
kultivierten Türken ... [Diejenigen, denen es nicht gelingt] nach Persien oder den Irak zu
17
emigrieren ... werden die Ausrottung der nicht Anpassungsfähigen erleiden müssen.53
Diese Strategien, bestätigte der türkische Außenminister in einem Gespräch mit Michael
Dobbs, dem britischen Hochkommissar für Irak, mußten notwendigerweise gegen
die Kurden angewandt werden, um die geplante Verwestlichung, die Bildung der türkischen
Nation und die koloniale Siedlungspolitik nicht zu gefährden: Die türkische Regierung
ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kurden, sich nicht assimilieren ließen
und verbannt werden müßten. Die Gründung der modernen Türkei hatte viele Menschenopfer
gefordert und es durfte auch weiterhin kein Erbarmen geben. Die Türkei hatte
sich der Griechen und Armenier entledigt und die Kurden kämen als nächste an die Reihe.
Man wollte sie nicht nur wegen ihrer hoffnungslosen Gesinnung loswerden, sondern weil
außer der Mittelmeer- und der Schwarzmeerküste die ostanatolischen Gebiete die fruchtbarsten
des Landes waren und somit für die Ansiedlung von Türken gebraucht wurden.
Außerdem sei es gefährlich, den Kurden die Grenzgebiete zu überlassen ... Ich fragte ihn,
ob es nicht schwierig sei, dieses Vorhaben auch umzusetzen und ob es dadurch nicht
Probleme an der türkischen Grenze geben würde. Er sagte nein. Sie rechneten damit, daß
... man mit den Kurden schon fertig würde. Auf jeden Fall seien sie entschlossen, diesen
Plan zum Ende zu bringen.54
Darüber hinaus erklärt Kendal, warum Kemal und die zukünftige türkische Regierungselite
sich so für genozidale Maßnahmen gegen die Kurden einsetzten. Weil sie moderne,
westliche und säkularistische Ideale in eine ultra-nationalistische, rassistische und zerbrechliche
republikanisch-koloniale Staatsstruktur einpflanzen wollten, haben Kemal und seine
Nachfolger sich bemüht, eine fiktive, rassisch überlegene, vereinigte nationale Identität zu
schaffen, die auf einem idealisierten und abstrakten Verständnis von dem was türkisch
und zivilisiert ist, basiert. Um seine Idee einer größeren türkischen Einheit zu verwirklichen,
seine autoritäre Machtbasis zu stärken und seine ultranationalen, kolonialistischen
und modernistischen Ambitionen zu befriedigen, war in Kemals Konzept der Völkermord
an den Kurden genauso wie in anderen Fällen der Völkermord an den jeweils anderen
55 ein fundamentales Triebwerk für die Bildung eines Imperiums und Nationalstaates.
56
Kendals detaillierte Einsichten in dieser Frage sind sehr aufschlußreich und werden
daher an dieser Stelle in voller Länge zitiert:
Was die Kurden angeht, die [von Kemalisten inspirierte, mythische] Geschichte hat
gezeigt, daß sie turanischer Abstammung sind und vor fünftausend Jahren aus Zentralasien
kamen. Wenn sie heute einen Dialekt sprechen, eine Mischung aus Alt-Türkisch,
Persisch, Arabisch und Armenisch, liegt es daran, daß sie fernab in ihren unzugänglichen
Bergen ihre Muttersprache vergessen haben und unter den Einfluß ihrer
persischen Nachbarn geraten sind. Tekin Alp, offizieller türkischer Ideologe, macht
deutlich, daß von Anfang an der türkische Nationalismus das einzige Ideal des
Kemalismus war. Es war dieser imaginäre, aggressive und übertriebene Nationalismus
mit dem die Kurden konfrontiert wurden. Seitdem die Kurden die einzige [sic] Minderheit
innerhalb der Grenzen der Türkei waren, lieferten sie als Angehörige einer
untergeordneten Rasse einen Gegenpol, gegen den sich ein großtürkischer Nationalismus
behaupten konnte.57
18
Welchen besseren Beweis für die Überlegenheit und die Herrlichkeit der großtürkischen
Nation hätte es geben können als diese glänzenden Siege? ... Wie hätte
man besser zeigen können, daß das türkische Volk groß, zivilisiert und mutig ist, als
mit der Konstruktion eines greifbaren Gegenpols, den wilden und rückständigen
Kurden ... Welches bessere Mittel konnte die Regierung in Ankara finden, sich bei
seinem Volk beliebt zu machen, als die militärischen Großtaten ihres Expeditions-
Korps in Kurdistan? Es waren ganz bestimmt nicht ihre Erfolge in Kunst und Wissenschaft
und auch mit ihrer ökonomischen Situation konnten sie kaum Eindruck machen.
Das Land wurde beherrscht von einer korrupten Bourgeoisie, die den Großteil
des türkischen Volkes dazu verdammte, in Elend und Armut sowie unter einer wachsenden
Belastung durch Steuern und Schulden zu leben.
In dieser Phase der Selbstsicherheit benötigte der türkische Nationalismus, seinen Militarismus
... Die nationalistischen türkischen Herrscher brauchten Kriege; doch die
benachbarten Länder standen entweder unter britischem oder französischen Protektorat
oder sie waren selbst zu mächtig, wie die Sowjetunion. So wurde statt dessen den
Kurden durch Provokation, Deportation oder versuchte Assimilation ein Krieg aufgezwungen.
Mit Hilfe dieser kolonialistischen Militäraktionen konnte die Regierung in
Ankara darüber hinaus, die kommunistische und die liberale Opposition eliminieren.
Die Großtaten der ruhmreichen türkischen Armee im barbarischen Kurdistan wurden
landesweit im Radio übertragen. Dies half, das türkische Volk einzuschüchtern
und jede mögliche Revolte gegen das Regime in Ankara im Keim zu ersticken. Diese
politischen Interessen und ideologischen Aspekte, waren, wie ich meine, verantwortlich
für den Leidensweg der Kurden von 1925 bis 1939.58
Ferner haben etliche Wissenschaftler, politische Kommentatoren, Kultur- und
Menschenrechtsorganisationen dokumentiert, daß die genozidalen Maßnahmen des türkischen
Staates nach 1939 weiterhin gegen die Kurden gerichtet waren.59 Obwohl seither
verschiedene Parteien und Militärregime an der Macht waren, hat sich an der kemalistischen,
ultranationalistischen und antikurdischen ideologischen Ausrichtung des Staates kaum
etwas geändert. Mc Dowall hat zum Beispiel festgestellt, daß die liberale Politik der
Demokratischen Partei nach 1950 versagt hat, weil sie nicht in der Lage war, den anerkannten
Werten des kemalistischen Staates die Stirn zu bieten oder sie zu ersetzten.60
Auch für die 80iger Jahre konstatiert Ismail Besikci, daß in der offiziellen Ideologie der
Türkei beharrlich darauf bestanden wird, daß es kein kurdisches Volk und auch keine
kurdische Sprache gibt. Ein primärer Aspekt dieser Ideologie, die wir verkürzt Kemalismus
nennen können, ist ihre impertinente antikurdische Haltung. Sie ist rassistisch und
kolonialistisch. Die Kurden in der Türkei haben nur das Recht Türken zu werden. Die
Alternative ist Repression, Grausamkeit, Gefängnis.61
Laut Besikci hatte sich auch achtzehn Jahre später kaum etwas geändert: Mit dem
Assimilierungsdruck hatte man darauf abgesehen, die Sprache, Kultur, Literatur und die
Existenz der Kurden auszuradieren. Die Kurden, die sich einer Assimilierung widersetzten,
die Gruppen, die die Rechte der kurdischen Gesellschaft verteidigten, werden physisch
eliminiert. Aus welcher Perspektive man das Problem auch betrachten mag, es läuft
auf kulturellen Völkermord hinaus.62 Studien von Yashar Kemal, Ismet Imset, des türkischen
Menschenrechtsvereins (IHD) und Selahattin Çelik, haben ebenso gezeigt, daß die
19
rassistische und kolonialistische ideologische Ausrichtung des Staates der Beweggrund für
den fortdauernden Völkermord an den Kurden ist.63 Der Präsident der türkischen Republik
hat diese Tatsache nicht etwa geleugnet sondern versichert, daß die Staatsideologie
einen Platz für ... Maßnahmen einräumt, die auf Sprache, Rasse, oder konfessionelle Unterschiede
in unserem Heimatland abzielen. Die Regierung wird die Krankheiten besiegen
und Köpfe werden zerschmettert werden.64
Der Völkermord an den Kurden in der türkischen Republik, 1924-46.
Im März 1924 wurden Maßnahmen ergriffen, die auf die Auslöschung kultureller und
politischer kurdischer Identität abzielten: Der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache
und ihr Unterricht in Schulen wurden untersagt. Einflußreiche kurdische Grundbesitzer
wurden in den Westen des Landes zwangsumgesiedelt.65 Kurdische Sprecher mußten
für jedes kurdische Wort eine Strafe zahlen.66 Gerichte lehnten Kurdisch ab. Jeder
Hinweis auf Kurdistan wurde aus der Öffentlichkeit verbannt und türkische Ortsnamen
ersetzten allmählich kurdische.67 Nach und nach wurden alle kurdischen Schulen, Vereine,
Medresen,68 religiöse Bruderschaften und Veröffentlichungen verboten.69 Die Abschaffung
des Kalifats, das Verbot der religiösen Bruderschaften70 und die Einführung
von einschneidenden Reformen, die den Islam auf den Privatbereich beschränkten71
wurden als definitive Bedrohungen der politischen und religiösen Identität aufgefaßt
insbesondere, sunnitische kurdische Gemeinden, die Zaza und Kurmanci sprachen.72
Wie Kemal selbst zugeben mußte, lag eine genozidale Absicht hinter den Maßnahmen des
Staates: Konnte eine zivilisierte Nation wie die Türkei es sich leisten, eine große Zahl von
Menschen zu tolerieren, die sich von einer Herde Scheichs, Dedes, Sayyids, Celebis, Babas
und Amiren an der Nase herumführen ließ?73
Einem zeitgenössischen kurdischen Bericht zufolge begann das kemalistische Programm
mit einer Kampagne der gewaltsamen Turkifizierung der unterlegenen Mächte in
ihrer Reichweite. Sie beschlagnahmten nicht nur den Besitz sondern verübten auch Massaker.
Zu denen, auf die diese Maßnahmen abzielten, gehörten Nichtmuslime und auch
Kurden ... alle moralischen Beziehungen zu den Türken sind seither vollkommen zerbrochen.
Die Kurden verlangten nationale Unabhängigkeit oder Privilegien.74 Die Verfassung,
die im selben Jahr entworfen wurde, ebnete darüber hinaus den Weg für einen
fortdauernden Genozid an den Kurden, indem sie Mustafa Kemals Gedanken absegnete,
dem zufolge die Türkei strikt türkisch sein sollte.75
Laut Çelik und Kendal versuchte Kemal jede kurdische politische Fraktion und Bewegung
zu eliminieren, die mit militärischen Mitteln oder auf anderem Wege ihre Autonomie
verteidigte und nationale- oder einfach nur nicht-türkische Rechte einforderte und
dies im Angesicht seiner ultranationalistischen und Assimilierung anstrebenden Politik.76
Es gab zwischen 1924 und 1938 sechzehn große Aufstände.77 Kemal bediente sich
medizinischer Fachausdrücke, wenn er seine Befehle gab. In bezug auf die Mobilmachung
gegen Dersim, erteilte er seiner Nationalversammlung und der Armee den Rat, das bedrohliche
Geschwür operativ zu entfernen und auszurotten.78
Der Scheich Said Aufstand, dessen Speerspitze das Komitee für kurdische Unabhängigkeit
und Scheich Said aus Piran waren, wurde 1925 im Keim erstickt.79 Poulton zufolge
starben zwischen 40.000 und 250.000 Menschen während dieses Befriedungsprozesses.
80 Sehr viele Kurden wurden aus der Region Kurdistan deportiert und mindestens
20
210 kurdische Dörfer niedergebrannt und dies durch eine Luftwaffe und eine Armee, die
circa 80.000 Mann stark war.
6
Viele Kurden, die zu den Nicht-Kombattanten zählten,
wurden ermordet: Mehrere Tausend friedliche Dorfbewohner wurden umgebracht, darunter
auch Frauen und Kinder.82 Çelik hat viele Beweise zusammengetragen, die deutlich
machen, daß durch die Einführung des Gesetzes zur Wiederherstellung von Ruhe
und Ordnung (Takrir-i sükun kanunu) während der Befriedungs- und ethnischen
Säuberungsoperation 1925 das geltende Recht außer Kraft gesetzt wurde und dem Militärgouverneur
und den Kommandanten alle Vollmachten erteilt wurden, um grausam gegen
die kurdische Zivilbevölkerung vorzugehen:
Es dürfte nicht schwer sein sich vorzustellen, wozu sie diese Vollmachten benutzt
haben: zum willkürlichen Morden der Menschen, die sie als Separatisten und Banditen
bezeichneten, zur Zerstörung von Dörfern und zur Vertreibung. Die Methoden,
die unter dem Ausnahmegesetz angewandt wurden, beschreibt Kadir Cemil Pascha
(Zinar Silopi), der den Aufstand miterlebt hat: Die Methoden einiger gewissenloser
Kommandanten gab es weder bei Hülagü noch bei Nero. Diese brutalen Morde und
Grausamkeiten, die sich kein Mensch mit Gewissen ausdenken kann, wurden nach der
allgemeinen Niederschlagung des Aufstands von den Regimentern Ali Haydars und
Ali Baruts in Form von Rachefeldzügen im ehemaligen Aufstandsgebiet durchgeführt.
Als sie zum Beispiel die zur Stadt Lice gehörenden Dörfer Serdi, Comelan, Enher und
Derkan eroberten, fesselten sie 150 Menschen, darunter auch Greise, mit Stricken ganz
fest aneinander und mordeten sie mit Maschinengewehren hin. ... In Selmo, einem
Dorf des Stammes der Bekiran, haben sie eine 70köpfige Karawane von Greisen, Frauen
und Kindern in eine Scheune getrieben, eingesperrt und bei lebendigem Leibe
verbrannt. ... Dieses Beispiel zeigt, wie sich innerhalb der Armee des türkischen Staates
Massakereinheiten bildeten und daß die Armee eine dafür geeignete Struktur bot.83
S. Üstüngel, ein türkischer Kommentator, ist ein weiterer Augenzeuge dieses brutalen
Vorgehens:
Wir beobachten Dorfbewohner, die aus Polizeistationen und Gendarmerien kommen
... und mit Wunden übersät sind. Was die Gewalt gegen Menschen betrifft, darin
haben sich die Kemalisten selbst übertroffen. Die Brutalität, mit der sie gegen die
nationalen Minderheiten vorgehen, um sie zu turkifizieren ist außergewöhnlich. Sie
haben die Lazen aus ihren Gebieten verbannt und Massenmord an den Kurden begangen,
genauso wie damals an den Armeniern. Hunderttausend Kurden haben sie
schon umgebracht sowie kurdische Dörfer ... in Brand gesteckt und verwüstet. Diese
Dörfer, die dem Erdboden gleichgemacht wurden, erklärte man zum verbotenen
Territorium. Doch diese Verbote halfen der Regierung in Ankara nicht, die Spuren
ihrer blutigen Politik zu verwischen.84 Auch McDowall berichtet, daß Zazas ... in der
Nähe von Diyarbakir ... zusammengetrieben und niedergemetzelt wurden. Außerdem
wurden mehrere Tausend Schafe erbeutet und versteigert. In Diyarbakir waren es
beispielsweise mindestens 30.000. Damit nahm man den Stammesmitgliedern faktisch
ihre Nahrungsmittelgrundlage.85
21
Vergleichbare Maßnahmen wurden für Gebiete bezeugt, in denen die Kurden versucht
hatten, sich militärisch und politisch gegen die nationalistischen türkischen Unterdrücker
zu verteidigen oder zu behaupten. Zwischen 1926 und 1927 wurden die Gegend
von Hinis, Varto, Solhan, Bingol und Genc zur Zielscheibe türkischer Politik und
1928 unterzog man Sassoun, Kozlouk und Perwari einer Spezialbehandlung. Zwischen
1928 und 1932 war dann die Ararat- Region an der Reihe.86 1930 hatte sich die Gewalt,
die fünf Jahre vorher gegen Kurdistan entfesselt wurde, verdoppelt. L. Rambout berichtet,
daß man in Van hundert Intellektuelle in Säcke eingenäht und in den See geworfen
hatte. Noch mehrere Monate nach der Zerschlagung der Aufstände, wurden Flugzeuge
eingesetzt, die kurdische Dörfer in Brand steckten.87 Anderen Berichte zufolge wurden
im Ararat-Gebiet 40.000 türkische Truppen und 50 Kriegsflugzeuge eingesetzt, um die
Revolte niederzuschlagen. Mehrere hundert Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht.
88
Die Kemalisten versuchten mit Hilfe der Gesetzgebung Wege zu finden, jenen Türken
Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung zu gewähren, die Massenmord an Kurden in Gebieten
initiiert hatten, in denen es sowohl Aufstände als auch keine Aufstände gegeben
hatte. Das Dekret 1850 verfügte (im Artikel 1) daß:
Sowohl in Aufstandsgebieten als auch in Gebieten, in denen es keine Aufstände
gegeben hatte, Morde und andere Handlungen, die einzeln oder gemeinschaftlich
begangen wurden und zwar in der Zeit vom 20. Juni 1930 bis zum 10 Dezember
1930 von Vertretern des Staates oder der Provinzen, von militärischen oder zivilen
Instanzen, den lokalen Dienststellen, von Wachposten oder der Miliz oder anderen
Zivilisten, die o.g. geholfen oder in deren Auftrag gehandelt haben, während der
Verfolgung und Untersuchung der Aufstände, die in Ercis, Zilan, Agridag (Ararat)
und deren Umgebung, inklusive Pülümür in der Provinz Erzincan und der Gegend
des Ersten Inspektorats ausgebrochen sind, werden nicht als Verbrechen angesehen.89
Kendal kommentierte die Angelegenheit wie folgt: Das Gebiet des Ersten Inspektorats
umfaßt alle Provinzen Kurdistans ... Der Ararat-Aufstand ist nur auf eine bestimmte
Region beschränkt gewesen und bereits im Sommer 1930 völlig niedergeschlagen worden.
Gerade dieses Gesetz enthüllt doch die Barbarei, die sich hinter der Befriedung
Kurdistans verbirgt, einem Feldzug bei dem die Kemalisten die kurdischen Gebiete zerstört
und darüber hinaus mehrere tausend Einwohner getötet haben, die nicht einmal
etwas mit den Aufständen zu tun hatten.90 Eine Resolution der Sozialistischen Internationale
vom 30. August 1930 unterstreicht dieses Empfinden:
Der Vorsitzende der SI fordert die Welt auf, ihre Aufmerksamkeit auf die Massaker an
den Kurden zu richten, die von der türkischen Regierung begangen wurden. Friedliche
Kurden, die nicht an den Revolten beteiligt waren, wurden niedergemetzelt genauso
wie damals die Armenier. Der Grad der Repression geht weit über die Abwehr
des kurdischen Freiheitskampfes hinaus.91
Während dieser Zeit kamen weitere genozidale Praktiken zu Anwendung. In der kurdischen
Region von Anatolien wurden Unabhängigkeitsgerichte des Ostens92 (Sark
Istiklal Mahkemeleri) eingerichtet, die Todesurteile über kurdische Gemeindevorsteher
22
und mehrere tausend Zivilisten fällen sollten.93 Im Winter von 1925 und 1928 ließ die
türkische Regierung, Schätzungen zufolge, fast eine Millionen Kurden aus der Region
deportieren.94 Diese Deportationen, die dazu dienten, das kurdische Zusammengehörigkeitsgefühl
zu zerstören, wurden unter der Berufung auf das Gesetz zu Wiederherstellung
von Ruhe und Ordnung und die Statuten des Obersten Gerichts durchgeführt.
Man zwang die Kurden gruppenweise in den Westen zu emigrieren. Dort durften sie aber
keine neuen Mehrheiten bilden. Ihre Häuser gab man den Türken.95
Mit diesem wirtschaftlichen Anreiz wollte man loyale türkische Bürger dazu bewegen,
die kurdischen Gebiete zu kolonialisieren. Darüber hinaus brauchte man ihre Unterstützung
für die fortdauernden genozidalen Handlungen. Simpson erklärt, daß das Belohnen
der Mithelfer schon aus vergleichbaren Fällen bekannt sei: Während des
Völkermords an den Armeniern beispielsweise belohnte die Ittihad-Regierung jene Türken,
die sich an Deportation und Massenmord beteiligten. Im 19. Jahrhundert, verschaffte
die US-Regierung den Siedlern, die in indianisches Territorium vordringen wollten,
kostenloses Farmland sowie Handelsmöglichkeiten. Eine ähnlicher Prozeß findet insbesondere
in Zentral- und Südamerika auch heute noch statt.96
Während der kurdischen Deportationen von 1925-1928 starben unzählige Menschen
aufgrund von Nahrungsmittelmangel und wegen der enormen Entfernungen, die
sie inmitten des harten anatolischen Winters zurücklegen mußten.97 Tatsächlich kamen
einigen kurdischen Schätzungen zufolge 200.000 Menschen dabei ums Leben.98 Der
damalige britische Botschafter, Sir George Clerk, ist der Meinung, daß die Regierung
anfing die selbe Politik gegenüber den Kurden anzuwenden, mit der sie sich bereits 1915
so erfolgreich der armenischen Minderheit entledigt hatte.99
Darüber hinaus wurden Maßnahmen ergriffen, Kurden aus der Politik und anderen
Berufszweigen auszuschließen. Sowohl medizinische als auch juristische Tätigkeiten und
sogar das Wagenbauen waren einzig und allein den Türken vorbehalten.100 Ein Kurde,
der die Regierungspolitik in bezug auf Modernisierung und Aufbau des Staates nicht
unterstützen wollte oben beschriebenen konnte nicht an der Arbeit der Regierung und
des Kabinetts beteiligt werden.101 1930 hatte die türkische Regierung die Entlassung
aller Beamten kurdischer Abstammung verfügt.102 McDowall zufolge durften die Kurden
nicht einmal die niedrigsten wirtschaftlichen oder politischen Ämter bekleiden. Nehmen
wir zum Beispiel die Personalveränderungen der Osmanischen Bank: alle Nicht-
Türken wurden aus den Zweigstellen der östlichen [kurdischen] Provinzen entfernt.103
Es gab noch weitere Methoden, die kurdische Identität auszulöschen. Mit dem Erlaß
der Normierung von Familiennamen vom 24. Dezember 1931 wurden die Kurden gezwungen,
neue, türkische Nachnamen zu wählen.104 Die zuständigen Regierungsbehörden
versuchten systematisch alles, was auf eine kurdische Identität hinwies, auszuradieren.
Ein ganzes Gerüst von linguistischen und historischen Pseudotheorien wurde
aufgebaut, um den Beweis für das Türkischsein der Kurden zu erbringen und die Zerstörung
der kurdischen Entität zu rechtfertigen. Diese Theorien mündeten in eine offizielle
Doktrin, die in Schulen, Universitäten, Kasernen, Zeitungen, Radio sowie allen möglichen
Publikationen gelehrt und verbreitet wurde. Ankara verbot jede nichtamtliche Veröffentlichung,
die versuchte [diese Position zu hinterfragen]. Historische oder literarische
Arbeiten, ja selbst Reiseerzählungen, die früher auf Türkisch oder in anderen Sprachen
erschienen waren, wurden aus öffentlichen und privaten Bibliotheken entfernt und größtenteils
vernichtet, sofern sie einen Hinweis auf das kurdische Volk, ihre Geschichte und
23
ihr Land enthielten. Jeder Versuch, die offizielle Ideologie auch nur ein wenig in Frage zu
stellen, war streng verboten.105
Indem sie das drakonische Zwangsumsiedlungsgesetz Nr. 2510 verabschiedete machte
die türkische Regierung 1934 deutlich, daß sie entschlossen war, mit ihrer genozidalen
Politik fortzufahren. Dieses Gesetz, das 17 Jahre ohne Unterbrechung106 in kraft blieb,
sollte die kurdische Bevölkerung in Gebiete vertreiben helfen, in denen sie nicht mehr als
5% der Einwohnerschaft ausmachen würden. Auf diesem Wege versuchte man die kurdische
Identität auszulöschen. Man beabsichtigte sogar kurdische Kinder aus den Dörfern
in Internate zu schicken, in denen sie gezwungen wären nur Türkisch zu sprechen und
somit ihr Nationalgefühl verlieren würden. ... Niemand konnte die Absicht, die dahinter
steckte, das Zerstören der kurdischen Identität, völlig übersehen. ... Nur die Tatsache, daß
die Verlegung von bis zu drei Millionen Menschen praktisch undurchführbar war, verhinderte
die lückenlose Durchführung dieses Gesetzes.107
Von dem Türkischen Menschenrechtsverein (IHD) erfahren wir, daß es ein Bestandteil
einer entschlossen Politik war, die östliche- und südöstliche kurdische Region vollständig
zu räumen.108 Der gesamte Besitz der kurdischen Bevölkerung sollte beschlagnahmt werden
und es sollte versucht werden, die kurdische Identität zerstören. Abermals wurden
Ökonomische Vorzüge als Anreiz benutzt, um die genozidale Politik populär zu machen:
Es wurde mit staatlich garantierten Vorzügen geworben und mit Unterstützung des
Gesetzes siedelte man türkische Immigranten aus Jugoslawien, Rumänien und Rußland
in den geräumten Gebieten an ... Artikel 11 des selben Gesetzes verbietet den
exilierten Kurden ein Kollektiv zu bilden, dazu gehören dörfliche Gemeinschaften
und Bezirke sowie Arbeiter- und Künstlergruppen ... Gemäß Artikel 12e muß der
Staat jedes Mittel bereitstellen, um zu gewährleisten, daß türkische Bürger und auch
Regierungsbeamte aus Ägäis, Thrazien, dem schwarzen Meer, dem Mittelmeer und
Zentralanatolien ungehindert in kurdischen Ortschaften wohnen können. Auch Soldaten,
die in kurdischen Ortschaften ihren Militärdienst leisteten, sollten sich dort
anzusiedeln dürfen ... Es wurde besonders darauf geachtet, daß die kurdische Bevölkerung
keine Gemeinschaften in Dörfern, Bezirken oder Städten bildete. Artikel 13 sieht
vor, jede kurdische Gemeinschaft, bis hin zu Familienverbänden, auseinanderzureißen.
Eltern, verheiratete Söhne und Enkelsöhne sollten per Gesetz voneinander getrennt
und an verschiedene Ort verbannt werden ...
Im Artikel 39 heißt es, daß jede Hilfe, die der Staat türkischen Immigranten Familien
gibt, die sich in kurdischen Ortschaften niederlassen sowie türkischen Familien, die
durch die Regierung angesiedelt wurden, ehrenhalber ist und daß Land und Wohnung
unentgeltlich sind. Artikel 39 sagt auch, daß Land und Wohnung für Kurden,
die man aus ihren Gebieten in den Westen vertrieben hatte, als Kredit anzusehen sind,
und daß sogar die Transportkosten von den Verbannten selbst bezahlt werden müßten.
109
Aufgrund der Entbehrungen, die die genozidale Politik mit sich brachte, kam es in der
Gegend von Dersim zu verstärktem Widerstand der kurdischen Bevölkerung. Seyid Riza,
ein Kurdenführer, appellierte an die türkische Regierung, sich von ihrer Repressionspolitik
zu lösen: Drei Millionen Kurden sind in ihrem Land und wollen nichts weiter, als in
Frieden leben, indem sie ihre Art, Sprache, Tradition, Kultur und Zivilisation beibehal24
ten.110 Die türkische Regierung lehnte Sonderrechte für die Kurden ab und führte statt
dessen die Befriedung der Region auf zerstörerische und brutale Weise fort. Massive
Einsätze von Giftgas, Artillerie und Luftbombardement 111 gingen mit anderen Grausamkeiten
einher: Türkische Soldaten sperrten Menschen in Höhlen und Ställe ein und
verbrannten sie bei lebendigem Leib. Truppen umstellten Wälder und setzten sie in Brand,
um diejenigen zu töten, die darin Schutz gesucht hatten. Es gab auch kollektive Selbstmorde
... Dersim war völlig verwüstet worden.112 Beim britischen Außenministerium
gingen Berichte aus verschiedenen Quellen ein, die folgende Situation beschrieben:
Um die von den Kurden bewohnten Gebiete zu räumen, bedienten sich die [türkischen]
Militärs der Mittel, die sie auch gegen die Armenier während des Großen
Krieges eingesetzt hatten; mehrere Tausend Kurden, darunter Frauen und Kinder,
wurden abgeschlachtet, andere, meistens Kinder, warf man in den Euphrat. Indessen
wurden weitere Tausend aus friedlicheren Gebieten, denen man zuvor ihren Besitz
und ihr Vieh weggenommen hatte, in Vilayets nach Zentral Anatolien deportiert.113
Laut Izady war Dersim so schonungslos verwüstet worden, daß türkische Zeitungen
schrieben, Delenda est Dersim, oder Dersim gibt es nicht mehr, womit sie die Worte des
römischen Generals Scipio wiederholten, der dasselbe vor tausend Jahren, nach der Zerstörung
von Karthago, gesagt hatte.114 Bis 1946 wurde ein spezielles Krisenregime in dieser
Region eingerichtet. McDowall bestätigt weiter, daß sowohl die Deportationen als auch
die Ansiedlungen von Türken, mit dem Ziel das restliche Kurdistan zu turkifizieren,
weitergingen ... 1942 ... hieß es in einem Bericht des Generalinspektors des Ersten
Inspektorats ... daß weitere 3.000 Aghas und Scheichs in den Westen deportiert werden
sollen ... In dem Bericht wurden außerdem Internate für kurdische Kinder gefordert, an
denen nur Türkisch gesprochen wird, so daß die kurdische Kultur allmählich ausradiert
würde. Doch dieses Ansinnen war nur ein Widerhall der Ziele, die schon vor fast zehn
Jahren in der Großen Nationalversammlung formuliert worden waren. Die Türkei hat den
Völkermord an den Kurden eindeutig gewollt. In der Praxis wurde dieses Ansinnen angesichts
des schieren Ausmaßes dieser Aufgabe vereitelt.115
Die Rolle der Vereinigten Staaten und wie sie den Völkermord an den Kurden leichter
machten, 1924-46.
Die Regierung der Vereinigten Staaten (US) trägt gemeinsam mit anderen imperialistischen
Mächten die Verantwortung dafür, daß der Völkermord an den Kurden erleichtert
wurde und dies nicht nur in der Phase von 1947-98 sondern schon in der Phase von
1924-46. Die US-amerikanische Harding-Regierung, z.B. hatte sich seit 1929 um eine de
facto Allianz mit der neuen kemalistischen Regierung bemüht. Sie verfolgte damit sowohl
amerikanische Öl Interessen als auch geopolitische Belange in der Region.116 Diese Allianz
gewährleistete, das die USA, die international die wichtigsten Förderer der im Entstehen
begriffenen armenischen Republik waren, ihr Versprechen auf Hilfe und Schutz
zurückzogen.117 Außerdem konnten amerikanische Firmen davon profitieren: Der neue
türkische Führer Kemal willigte ein, alle Ansprüche auf ehemalige Hoheitsgebiete des
Osmanischen Reichs außerhalb der türkischen Grenzen fallen zu lassen. Auf diese Weise
25
wurde Tor und Tür für die anglo-amerikanische Kontrolle über die Ölvorkommen des
Mittleren Ostens geöffnet; ein Zustand der auch die nächsten fünfzig Jahre fast unverändert
bestehen blieb.118
Als Gegenleistung für diese Konzessionen sollten die USA nicht nur ihr Versprechen
brechen, das sie während des Krieges gegeben hatten, nämlich gegen die Ittihadisten, die
für den Völkermord an den Armeniern verantwortlich waren, vorzugehen, sondern darüber
hinaus aktiv a.) Die damaligen Forderungen von Präsident Woodrow Wilson, der
den Arabern, Armeniern und Kurden unabhängige Staaten zugesichert hatte, mißachten,
119 und b.) Stillschweigen über die Lage der Kurden in der Türkei wahren, in einer
Zeit, in der eine engagiertere, zwingendere, kritischere und weniger beschützende Haltung
gegenüber dem Bündnispartner dazu hätte führen können, daß Mustafa Kemal,
unter Druck gesetzt, den Völkermord gestoppt oder vermindert hätte. Besikci z.B. macht
deutlich, daß die USA und andere imperialistische Westmächte es versäumt hätten, ernsthaft
gegen die Konditionen des Vertrags von Lausanne zu protestieren, der wahrscheinlich
die Voraussetzungen für die Vernichtung der Kurden geschaffen hatte.120
Als klar wurde, daß die Westmächte weder darauf drängten, die zukünftige Einhaltung
der Artikel 38 und 39 des Vertrags von Lausanne zu überwachen und sich jeden Kommentars
enthielten, fühlte sich die Türkei Izady zufolge direkt ermutigt, ein knappes Jahr
später Maßnahmen gegen die Kurden zu ergreifen.121 Es sollte an dieser Stelle betont
werden, daß es keine bedeutenden Interventionen der US-Regierung oder öffentliche
Forderungen nach internationalen Solidaritätsaktionen gegeben hat, dem Völkermord an
den Kurden in der Zeit von 1924-46 Einhalt zu gebieten. Und dies obwohl die USA und
andere westliche diplomatische Vertretungen in der Türkei, Bescheid wußten über das,
was da vor sich ging.122
Außer den Berichten, die von den amerikanischen Vertretungen gesammelt werden
konnten, gab es noch weitere: Die Sozialistische Internationale forderte die Weltöffentlichkeit
mit Nachdruck auf, ihre Aufmerksamkeit auf die Massaker der türkischen Regierung
zu richten.123 Diese Appelle sollten die westlichen Regierungen darunter auch die
USA und die öffentliche Meinung der kapitalistischen Länder beschämen und zu Protest
und Aktion gegen diese blutige Barbarei veranlassen124 Schon 1927 hatten sich die
Khoyboun, eine nationale kurdische Liga, zusammengetan, um im Namen des kurdischen
Volkes und der Zivilisation die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens,
Frankreichs, Italiens also alle zivilisierten Regierungen einzuladen, eine Internationale
Kommission ins Leben zu rufen, die die grausamen Kampagnen der kemalistischen
Türkei in Kurdistan seit 1925 untersuchen sollte. Die Ergebnisse dieser Kommission
könnten sowohl über die Ansprüche der Kurden entscheiden, als auch über die Stellung
und die Arroganz der sogenannten kemalistischen Republik.125
Die US-Regierung zog es ebenso wie andere westliche Regierungen vor, solch einen
Appell, der die Art und das Ausmaß des Völkermords dokumentierte, ganz bewußt und
sogar mit Zynismus zu übergehen. Wahrscheinlich hätte eine ernsthafte Reaktion auf
diesen Appell Kemal dazu gezwungen, die Tragweite und Intensität des Völkermords an
den Kurden einzuschränken. Doch die amerikanische Politik wurde von der Angst bestimmt,
ihre geopolitischen und geschäftlichen Interessen durch eine humanitäre Intervention
zu gefährden. Seitens der US-Regierung wurden keine ernsthaften Initiativen
unternommen, eine internationale Kommission einzurichten oder die Türkei unter Druck
zu setzen, damit sie ihre genozidale Politik stoppt. Statt dessen versuchten amerikanische
26
Politiker und Planer skandalöserweise zu begründen, daß Kemals aufgeklärte Diktatur
das Modell darstelle, welches sie für alle Länder des Nahen und Mittleren Osten favorisierten126
und dies, obwohl sie sich über die genozidalen Praktiken und die Absichten der
türkischen Politik im klaren waren. Eine derartig lautstarke staatliche Unterstützung für
Kemal und den Kemalismus, in einer Zeit, in der eindeutig bekannt war, daß Völkermord
an den Kurden begangen wurde, sollte uns zutiefst betroffen machen.
Kemal und seine Nachfolger sahen in der Unterstützung und der Ermutigung der USRegierung
eine Legitimation und nicht ein Veto gegen ihre anti-kurdische Mission der
Modernisierung und Zivilisierung. Die Regierung der USA hat den Völkermord an den
Kurden auf indirekte Weise erleichtert. Das zeigt sich an der Art und Weise, wie sie über
einen unbedeutenden Fall von Genozid an den Kurden in der Türkei127 Stillschweigen
bewahrt hat, obwohl kurdische und andere Organisationen zur Intervention gegen die
türkische Republik aufgerufen hatten. In Roger Smiths Studie wird deutlich, daß die USRegierung
in ihrem Bemühen, die ökonomischen und geopolitischen Beziehungen zur
Türkei zu verstärken, gleichermaßen gewillt war, den Völkermord an den Armeniern zu
leugnen:
Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, daß die Türken einen Völkermord wirkungsvoll
leugnen konnten: Andere Regierungen standen der Türkei zur Seite und
unterstützten sie beim Umschreiben ihrer Geschichte. Im Bestreben ihre nationalen
Interessen zu wahren wurde jedes [öffentliche] Wissen um den Völkermord unterdrückt.
Um ein Beispiel zu nennen: Von 1920 an bis heute hat die Regierung der USA
den Türken geholfen den Völkermord an den Armeniern zu leugnen, obwohl es zahllose
Dokumente in den Akten des State Departement und den staatlichen Archiven
gibt, die darüber Zeugnis ablegen. Tatsächlich war es der [frühere] armenische Botschafter,
Henry Morgenthau, der beharrlich darauf drängte, daß die Jungtürken die
Deportationen und das Massaker am armenischen Volk stoppten.
Jedoch hat Politik oft mehr mit der Wahrung von Interessen als mit der Wahrheit zu
tun; wo es um Sicherheit, Zugang zu elementaren Ressourcen oder Profite geht, wird
die Vergangenheit, ja sogar die entsetzliche fortdauernde Vernichtung eines Volkes
stillgeschwiegen oder von der Regierung willentlich übergangen. In den Jahren nach
dem ersten Weltkrieg gehörten Erdöl, Handel und Missionieren zu den amerikanischen
Interessen, heute sind es sowohl die militärische Sicherheit im Nahen Osten und
in Europa als auch Geheimdienststrategien, die innere Stabilität und die Geschäftsbeziehungen
zur der Türkei.
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Viele Kurden, die zu den Nicht-Kombattanten zählten,
wurden ermordet: Mehrere Tausend friedliche Dorfbewohner wurden umgebracht, darunter
auch Frauen und Kinder.82 Çelik hat viele Beweise zusammengetragen, die deutlich
machen, daß durch die Einführung des Gesetzes zur Wiederherstellung von Ruhe
und Ordnung (Takrir-i sükun kanunu) während der Befriedungs- und ethnischen
Säuberungsoperation 1925 das geltende Recht außer Kraft gesetzt wurde und dem Militärgouverneur
und den Kommandanten alle Vollmachten erteilt wurden, um grausam gegen
die kurdische Zivilbevölkerung vorzugehen:
Es dürfte nicht schwer sein sich vorzustellen, wozu sie diese Vollmachten benutzt
haben: zum willkürlichen Morden der Menschen, die sie als Separatisten und Banditen
bezeichneten, zur Zerstörung von Dörfern und zur Vertreibung. Die Methoden,
die unter dem Ausnahmegesetz angewandt wurden, beschreibt Kadir Cemil Pascha
(Zinar Silopi), der den Aufstand miterlebt hat: Die Methoden einiger gewissenloser
Kommandanten gab es weder bei Hülagü noch bei Nero. Diese brutalen Morde und
Grausamkeiten, die sich kein Mensch mit Gewissen ausdenken kann, wurden nach der
allgemeinen Niederschlagung des Aufstands von den Regimentern Ali Haydars und
Ali Baruts in Form von Rachefeldzügen im ehemaligen Aufstandsgebiet durchgeführt.
Als sie zum Beispiel die zur Stadt Lice gehörenden Dörfer Serdi, Comelan, Enher und
Derkan eroberten, fesselten sie 150 Menschen, darunter auch Greise, mit Stricken ganz
fest aneinander und mordeten sie mit Maschinengewehren hin. ... In Selmo, einem
Dorf des Stammes der Bekiran, haben sie eine 70köpfige Karawane von Greisen, Frauen
und Kindern in eine Scheune getrieben, eingesperrt und bei lebendigem Leibe
verbrannt. ... Dieses Beispiel zeigt, wie sich innerhalb der Armee des türkischen Staates
Massakereinheiten bildeten und daß die Armee eine dafür geeignete Struktur bot.83
S. Üstüngel, ein türkischer Kommentator, ist ein weiterer Augenzeuge dieses brutalen
Vorgehens:
Wir beobachten Dorfbewohner, die aus Polizeistationen und Gendarmerien kommen
... und mit Wunden übersät sind. Was die Gewalt gegen Menschen betrifft, darin
haben sich die Kemalisten selbst übertroffen. Die Brutalität, mit der sie gegen die
nationalen Minderheiten vorgehen, um sie zu turkifizieren ist außergewöhnlich. Sie
haben die Lazen aus ihren Gebieten verbannt und Massenmord an den Kurden begangen,
genauso wie damals an den Armeniern. Hunderttausend Kurden haben sie
schon umgebracht sowie kurdische Dörfer ... in Brand gesteckt und verwüstet. Diese
Dörfer, die dem Erdboden gleichgemacht wurden, erklärte man zum verbotenen
Territorium. Doch diese Verbote halfen der Regierung in Ankara nicht, die Spuren
ihrer blutigen Politik zu verwischen.84 Auch McDowall berichtet, daß Zazas ... in der
Nähe von Diyarbakir ... zusammengetrieben und niedergemetzelt wurden. Außerdem
wurden mehrere Tausend Schafe erbeutet und versteigert. In Diyarbakir waren es
beispielsweise mindestens 30.000. Damit nahm man den Stammesmitgliedern faktisch
ihre Nahrungsmittelgrundlage.85
21
Vergleichbare Maßnahmen wurden für Gebiete bezeugt, in denen die Kurden versucht
hatten, sich militärisch und politisch gegen die nationalistischen türkischen Unterdrücker
zu verteidigen oder zu behaupten. Zwischen 1926 und 1927 wurden die Gegend
von Hinis, Varto, Solhan, Bingol und Genc zur Zielscheibe türkischer Politik und
1928 unterzog man Sassoun, Kozlouk und Perwari einer Spezialbehandlung. Zwischen
1928 und 1932 war dann die Ararat- Region an der Reihe.86 1930 hatte sich die Gewalt,
die fünf Jahre vorher gegen Kurdistan entfesselt wurde, verdoppelt. L. Rambout berichtet,
daß man in Van hundert Intellektuelle in Säcke eingenäht und in den See geworfen
hatte. Noch mehrere Monate nach der Zerschlagung der Aufstände, wurden Flugzeuge
eingesetzt, die kurdische Dörfer in Brand steckten.87 Anderen Berichte zufolge wurden
im Ararat-Gebiet 40.000 türkische Truppen und 50 Kriegsflugzeuge eingesetzt, um die
Revolte niederzuschlagen. Mehrere hundert Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht.
88
Die Kemalisten versuchten mit Hilfe der Gesetzgebung Wege zu finden, jenen Türken
Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung zu gewähren, die Massenmord an Kurden in Gebieten
initiiert hatten, in denen es sowohl Aufstände als auch keine Aufstände gegeben
hatte. Das Dekret 1850 verfügte (im Artikel 1) daß:
Sowohl in Aufstandsgebieten als auch in Gebieten, in denen es keine Aufstände
gegeben hatte, Morde und andere Handlungen, die einzeln oder gemeinschaftlich
begangen wurden und zwar in der Zeit vom 20. Juni 1930 bis zum 10 Dezember
1930 von Vertretern des Staates oder der Provinzen, von militärischen oder zivilen
Instanzen, den lokalen Dienststellen, von Wachposten oder der Miliz oder anderen
Zivilisten, die o.g. geholfen oder in deren Auftrag gehandelt haben, während der
Verfolgung und Untersuchung der Aufstände, die in Ercis, Zilan, Agridag (Ararat)
und deren Umgebung, inklusive Pülümür in der Provinz Erzincan und der Gegend
des Ersten Inspektorats ausgebrochen sind, werden nicht als Verbrechen angesehen.89
Kendal kommentierte die Angelegenheit wie folgt: Das Gebiet des Ersten Inspektorats
umfaßt alle Provinzen Kurdistans ... Der Ararat-Aufstand ist nur auf eine bestimmte
Region beschränkt gewesen und bereits im Sommer 1930 völlig niedergeschlagen worden.
Gerade dieses Gesetz enthüllt doch die Barbarei, die sich hinter der Befriedung
Kurdistans verbirgt, einem Feldzug bei dem die Kemalisten die kurdischen Gebiete zerstört
und darüber hinaus mehrere tausend Einwohner getötet haben, die nicht einmal
etwas mit den Aufständen zu tun hatten.90 Eine Resolution der Sozialistischen Internationale
vom 30. August 1930 unterstreicht dieses Empfinden:
Der Vorsitzende der SI fordert die Welt auf, ihre Aufmerksamkeit auf die Massaker an
den Kurden zu richten, die von der türkischen Regierung begangen wurden. Friedliche
Kurden, die nicht an den Revolten beteiligt waren, wurden niedergemetzelt genauso
wie damals die Armenier. Der Grad der Repression geht weit über die Abwehr
des kurdischen Freiheitskampfes hinaus.91
Während dieser Zeit kamen weitere genozidale Praktiken zu Anwendung. In der kurdischen
Region von Anatolien wurden Unabhängigkeitsgerichte des Ostens92 (Sark
Istiklal Mahkemeleri) eingerichtet, die Todesurteile über kurdische Gemeindevorsteher
22
und mehrere tausend Zivilisten fällen sollten.93 Im Winter von 1925 und 1928 ließ die
türkische Regierung, Schätzungen zufolge, fast eine Millionen Kurden aus der Region
deportieren.94 Diese Deportationen, die dazu dienten, das kurdische Zusammengehörigkeitsgefühl
zu zerstören, wurden unter der Berufung auf das Gesetz zu Wiederherstellung
von Ruhe und Ordnung und die Statuten des Obersten Gerichts durchgeführt.
Man zwang die Kurden gruppenweise in den Westen zu emigrieren. Dort durften sie aber
keine neuen Mehrheiten bilden. Ihre Häuser gab man den Türken.95
Mit diesem wirtschaftlichen Anreiz wollte man loyale türkische Bürger dazu bewegen,
die kurdischen Gebiete zu kolonialisieren. Darüber hinaus brauchte man ihre Unterstützung
für die fortdauernden genozidalen Handlungen. Simpson erklärt, daß das Belohnen
der Mithelfer schon aus vergleichbaren Fällen bekannt sei: Während des
Völkermords an den Armeniern beispielsweise belohnte die Ittihad-Regierung jene Türken,
die sich an Deportation und Massenmord beteiligten. Im 19. Jahrhundert, verschaffte
die US-Regierung den Siedlern, die in indianisches Territorium vordringen wollten,
kostenloses Farmland sowie Handelsmöglichkeiten. Eine ähnlicher Prozeß findet insbesondere
in Zentral- und Südamerika auch heute noch statt.96
Während der kurdischen Deportationen von 1925-1928 starben unzählige Menschen
aufgrund von Nahrungsmittelmangel und wegen der enormen Entfernungen, die
sie inmitten des harten anatolischen Winters zurücklegen mußten.97 Tatsächlich kamen
einigen kurdischen Schätzungen zufolge 200.000 Menschen dabei ums Leben.98 Der
damalige britische Botschafter, Sir George Clerk, ist der Meinung, daß die Regierung
anfing die selbe Politik gegenüber den Kurden anzuwenden, mit der sie sich bereits 1915
so erfolgreich der armenischen Minderheit entledigt hatte.99
Darüber hinaus wurden Maßnahmen ergriffen, Kurden aus der Politik und anderen
Berufszweigen auszuschließen. Sowohl medizinische als auch juristische Tätigkeiten und
sogar das Wagenbauen waren einzig und allein den Türken vorbehalten.100 Ein Kurde,
der die Regierungspolitik in bezug auf Modernisierung und Aufbau des Staates nicht
unterstützen wollte oben beschriebenen konnte nicht an der Arbeit der Regierung und
des Kabinetts beteiligt werden.101 1930 hatte die türkische Regierung die Entlassung
aller Beamten kurdischer Abstammung verfügt.102 McDowall zufolge durften die Kurden
nicht einmal die niedrigsten wirtschaftlichen oder politischen Ämter bekleiden. Nehmen
wir zum Beispiel die Personalveränderungen der Osmanischen Bank: alle Nicht-
Türken wurden aus den Zweigstellen der östlichen [kurdischen] Provinzen entfernt.103
Es gab noch weitere Methoden, die kurdische Identität auszulöschen. Mit dem Erlaß
der Normierung von Familiennamen vom 24. Dezember 1931 wurden die Kurden gezwungen,
neue, türkische Nachnamen zu wählen.104 Die zuständigen Regierungsbehörden
versuchten systematisch alles, was auf eine kurdische Identität hinwies, auszuradieren.
Ein ganzes Gerüst von linguistischen und historischen Pseudotheorien wurde
aufgebaut, um den Beweis für das Türkischsein der Kurden zu erbringen und die Zerstörung
der kurdischen Entität zu rechtfertigen. Diese Theorien mündeten in eine offizielle
Doktrin, die in Schulen, Universitäten, Kasernen, Zeitungen, Radio sowie allen möglichen
Publikationen gelehrt und verbreitet wurde. Ankara verbot jede nichtamtliche Veröffentlichung,
die versuchte [diese Position zu hinterfragen]. Historische oder literarische
Arbeiten, ja selbst Reiseerzählungen, die früher auf Türkisch oder in anderen Sprachen
erschienen waren, wurden aus öffentlichen und privaten Bibliotheken entfernt und größtenteils
vernichtet, sofern sie einen Hinweis auf das kurdische Volk, ihre Geschichte und
23
ihr Land enthielten. Jeder Versuch, die offizielle Ideologie auch nur ein wenig in Frage zu
stellen, war streng verboten.105
Indem sie das drakonische Zwangsumsiedlungsgesetz Nr. 2510 verabschiedete machte
die türkische Regierung 1934 deutlich, daß sie entschlossen war, mit ihrer genozidalen
Politik fortzufahren. Dieses Gesetz, das 17 Jahre ohne Unterbrechung106 in kraft blieb,
sollte die kurdische Bevölkerung in Gebiete vertreiben helfen, in denen sie nicht mehr als
5% der Einwohnerschaft ausmachen würden. Auf diesem Wege versuchte man die kurdische
Identität auszulöschen. Man beabsichtigte sogar kurdische Kinder aus den Dörfern
in Internate zu schicken, in denen sie gezwungen wären nur Türkisch zu sprechen und
somit ihr Nationalgefühl verlieren würden. ... Niemand konnte die Absicht, die dahinter
steckte, das Zerstören der kurdischen Identität, völlig übersehen. ... Nur die Tatsache, daß
die Verlegung von bis zu drei Millionen Menschen praktisch undurchführbar war, verhinderte
die lückenlose Durchführung dieses Gesetzes.107
Von dem Türkischen Menschenrechtsverein (IHD) erfahren wir, daß es ein Bestandteil
einer entschlossen Politik war, die östliche- und südöstliche kurdische Region vollständig
zu räumen.108 Der gesamte Besitz der kurdischen Bevölkerung sollte beschlagnahmt werden
und es sollte versucht werden, die kurdische Identität zerstören. Abermals wurden
Ökonomische Vorzüge als Anreiz benutzt, um die genozidale Politik populär zu machen:
Es wurde mit staatlich garantierten Vorzügen geworben und mit Unterstützung des
Gesetzes siedelte man türkische Immigranten aus Jugoslawien, Rumänien und Rußland
in den geräumten Gebieten an ... Artikel 11 des selben Gesetzes verbietet den
exilierten Kurden ein Kollektiv zu bilden, dazu gehören dörfliche Gemeinschaften
und Bezirke sowie Arbeiter- und Künstlergruppen ... Gemäß Artikel 12e muß der
Staat jedes Mittel bereitstellen, um zu gewährleisten, daß türkische Bürger und auch
Regierungsbeamte aus Ägäis, Thrazien, dem schwarzen Meer, dem Mittelmeer und
Zentralanatolien ungehindert in kurdischen Ortschaften wohnen können. Auch Soldaten,
die in kurdischen Ortschaften ihren Militärdienst leisteten, sollten sich dort
anzusiedeln dürfen ... Es wurde besonders darauf geachtet, daß die kurdische Bevölkerung
keine Gemeinschaften in Dörfern, Bezirken oder Städten bildete. Artikel 13 sieht
vor, jede kurdische Gemeinschaft, bis hin zu Familienverbänden, auseinanderzureißen.
Eltern, verheiratete Söhne und Enkelsöhne sollten per Gesetz voneinander getrennt
und an verschiedene Ort verbannt werden ...
Im Artikel 39 heißt es, daß jede Hilfe, die der Staat türkischen Immigranten Familien
gibt, die sich in kurdischen Ortschaften niederlassen sowie türkischen Familien, die
durch die Regierung angesiedelt wurden, ehrenhalber ist und daß Land und Wohnung
unentgeltlich sind. Artikel 39 sagt auch, daß Land und Wohnung für Kurden,
die man aus ihren Gebieten in den Westen vertrieben hatte, als Kredit anzusehen sind,
und daß sogar die Transportkosten von den Verbannten selbst bezahlt werden müßten.
109
Aufgrund der Entbehrungen, die die genozidale Politik mit sich brachte, kam es in der
Gegend von Dersim zu verstärktem Widerstand der kurdischen Bevölkerung. Seyid Riza,
ein Kurdenführer, appellierte an die türkische Regierung, sich von ihrer Repressionspolitik
zu lösen: Drei Millionen Kurden sind in ihrem Land und wollen nichts weiter, als in
Frieden leben, indem sie ihre Art, Sprache, Tradition, Kultur und Zivilisation beibehal24
ten.110 Die türkische Regierung lehnte Sonderrechte für die Kurden ab und führte statt
dessen die Befriedung der Region auf zerstörerische und brutale Weise fort. Massive
Einsätze von Giftgas, Artillerie und Luftbombardement 111 gingen mit anderen Grausamkeiten
einher: Türkische Soldaten sperrten Menschen in Höhlen und Ställe ein und
verbrannten sie bei lebendigem Leib. Truppen umstellten Wälder und setzten sie in Brand,
um diejenigen zu töten, die darin Schutz gesucht hatten. Es gab auch kollektive Selbstmorde
... Dersim war völlig verwüstet worden.112 Beim britischen Außenministerium
gingen Berichte aus verschiedenen Quellen ein, die folgende Situation beschrieben:
Um die von den Kurden bewohnten Gebiete zu räumen, bedienten sich die [türkischen]
Militärs der Mittel, die sie auch gegen die Armenier während des Großen
Krieges eingesetzt hatten; mehrere Tausend Kurden, darunter Frauen und Kinder,
wurden abgeschlachtet, andere, meistens Kinder, warf man in den Euphrat. Indessen
wurden weitere Tausend aus friedlicheren Gebieten, denen man zuvor ihren Besitz
und ihr Vieh weggenommen hatte, in Vilayets nach Zentral Anatolien deportiert.113
Laut Izady war Dersim so schonungslos verwüstet worden, daß türkische Zeitungen
schrieben, Delenda est Dersim, oder Dersim gibt es nicht mehr, womit sie die Worte des
römischen Generals Scipio wiederholten, der dasselbe vor tausend Jahren, nach der Zerstörung
von Karthago, gesagt hatte.114 Bis 1946 wurde ein spezielles Krisenregime in dieser
Region eingerichtet. McDowall bestätigt weiter, daß sowohl die Deportationen als auch
die Ansiedlungen von Türken, mit dem Ziel das restliche Kurdistan zu turkifizieren,
weitergingen ... 1942 ... hieß es in einem Bericht des Generalinspektors des Ersten
Inspektorats ... daß weitere 3.000 Aghas und Scheichs in den Westen deportiert werden
sollen ... In dem Bericht wurden außerdem Internate für kurdische Kinder gefordert, an
denen nur Türkisch gesprochen wird, so daß die kurdische Kultur allmählich ausradiert
würde. Doch dieses Ansinnen war nur ein Widerhall der Ziele, die schon vor fast zehn
Jahren in der Großen Nationalversammlung formuliert worden waren. Die Türkei hat den
Völkermord an den Kurden eindeutig gewollt. In der Praxis wurde dieses Ansinnen angesichts
des schieren Ausmaßes dieser Aufgabe vereitelt.115
Die Rolle der Vereinigten Staaten und wie sie den Völkermord an den Kurden leichter
machten, 1924-46.
Die Regierung der Vereinigten Staaten (US) trägt gemeinsam mit anderen imperialistischen
Mächten die Verantwortung dafür, daß der Völkermord an den Kurden erleichtert
wurde und dies nicht nur in der Phase von 1947-98 sondern schon in der Phase von
1924-46. Die US-amerikanische Harding-Regierung, z.B. hatte sich seit 1929 um eine de
facto Allianz mit der neuen kemalistischen Regierung bemüht. Sie verfolgte damit sowohl
amerikanische Öl Interessen als auch geopolitische Belange in der Region.116 Diese Allianz
gewährleistete, das die USA, die international die wichtigsten Förderer der im Entstehen
begriffenen armenischen Republik waren, ihr Versprechen auf Hilfe und Schutz
zurückzogen.117 Außerdem konnten amerikanische Firmen davon profitieren: Der neue
türkische Führer Kemal willigte ein, alle Ansprüche auf ehemalige Hoheitsgebiete des
Osmanischen Reichs außerhalb der türkischen Grenzen fallen zu lassen. Auf diese Weise
25
wurde Tor und Tür für die anglo-amerikanische Kontrolle über die Ölvorkommen des
Mittleren Ostens geöffnet; ein Zustand der auch die nächsten fünfzig Jahre fast unverändert
bestehen blieb.118
Als Gegenleistung für diese Konzessionen sollten die USA nicht nur ihr Versprechen
brechen, das sie während des Krieges gegeben hatten, nämlich gegen die Ittihadisten, die
für den Völkermord an den Armeniern verantwortlich waren, vorzugehen, sondern darüber
hinaus aktiv a.) Die damaligen Forderungen von Präsident Woodrow Wilson, der
den Arabern, Armeniern und Kurden unabhängige Staaten zugesichert hatte, mißachten,
119 und b.) Stillschweigen über die Lage der Kurden in der Türkei wahren, in einer
Zeit, in der eine engagiertere, zwingendere, kritischere und weniger beschützende Haltung
gegenüber dem Bündnispartner dazu hätte führen können, daß Mustafa Kemal,
unter Druck gesetzt, den Völkermord gestoppt oder vermindert hätte. Besikci z.B. macht
deutlich, daß die USA und andere imperialistische Westmächte es versäumt hätten, ernsthaft
gegen die Konditionen des Vertrags von Lausanne zu protestieren, der wahrscheinlich
die Voraussetzungen für die Vernichtung der Kurden geschaffen hatte.120
Als klar wurde, daß die Westmächte weder darauf drängten, die zukünftige Einhaltung
der Artikel 38 und 39 des Vertrags von Lausanne zu überwachen und sich jeden Kommentars
enthielten, fühlte sich die Türkei Izady zufolge direkt ermutigt, ein knappes Jahr
später Maßnahmen gegen die Kurden zu ergreifen.121 Es sollte an dieser Stelle betont
werden, daß es keine bedeutenden Interventionen der US-Regierung oder öffentliche
Forderungen nach internationalen Solidaritätsaktionen gegeben hat, dem Völkermord an
den Kurden in der Zeit von 1924-46 Einhalt zu gebieten. Und dies obwohl die USA und
andere westliche diplomatische Vertretungen in der Türkei, Bescheid wußten über das,
was da vor sich ging.122
Außer den Berichten, die von den amerikanischen Vertretungen gesammelt werden
konnten, gab es noch weitere: Die Sozialistische Internationale forderte die Weltöffentlichkeit
mit Nachdruck auf, ihre Aufmerksamkeit auf die Massaker der türkischen Regierung
zu richten.123 Diese Appelle sollten die westlichen Regierungen darunter auch die
USA und die öffentliche Meinung der kapitalistischen Länder beschämen und zu Protest
und Aktion gegen diese blutige Barbarei veranlassen124 Schon 1927 hatten sich die
Khoyboun, eine nationale kurdische Liga, zusammengetan, um im Namen des kurdischen
Volkes und der Zivilisation die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens,
Frankreichs, Italiens also alle zivilisierten Regierungen einzuladen, eine Internationale
Kommission ins Leben zu rufen, die die grausamen Kampagnen der kemalistischen
Türkei in Kurdistan seit 1925 untersuchen sollte. Die Ergebnisse dieser Kommission
könnten sowohl über die Ansprüche der Kurden entscheiden, als auch über die Stellung
und die Arroganz der sogenannten kemalistischen Republik.125
Die US-Regierung zog es ebenso wie andere westliche Regierungen vor, solch einen
Appell, der die Art und das Ausmaß des Völkermords dokumentierte, ganz bewußt und
sogar mit Zynismus zu übergehen. Wahrscheinlich hätte eine ernsthafte Reaktion auf
diesen Appell Kemal dazu gezwungen, die Tragweite und Intensität des Völkermords an
den Kurden einzuschränken. Doch die amerikanische Politik wurde von der Angst bestimmt,
ihre geopolitischen und geschäftlichen Interessen durch eine humanitäre Intervention
zu gefährden. Seitens der US-Regierung wurden keine ernsthaften Initiativen
unternommen, eine internationale Kommission einzurichten oder die Türkei unter Druck
zu setzen, damit sie ihre genozidale Politik stoppt. Statt dessen versuchten amerikanische
26
Politiker und Planer skandalöserweise zu begründen, daß Kemals aufgeklärte Diktatur
das Modell darstelle, welches sie für alle Länder des Nahen und Mittleren Osten favorisierten126
und dies, obwohl sie sich über die genozidalen Praktiken und die Absichten der
türkischen Politik im klaren waren. Eine derartig lautstarke staatliche Unterstützung für
Kemal und den Kemalismus, in einer Zeit, in der eindeutig bekannt war, daß Völkermord
an den Kurden begangen wurde, sollte uns zutiefst betroffen machen.
Kemal und seine Nachfolger sahen in der Unterstützung und der Ermutigung der USRegierung
eine Legitimation und nicht ein Veto gegen ihre anti-kurdische Mission der
Modernisierung und Zivilisierung. Die Regierung der USA hat den Völkermord an den
Kurden auf indirekte Weise erleichtert. Das zeigt sich an der Art und Weise, wie sie über
einen unbedeutenden Fall von Genozid an den Kurden in der Türkei127 Stillschweigen
bewahrt hat, obwohl kurdische und andere Organisationen zur Intervention gegen die
türkische Republik aufgerufen hatten. In Roger Smiths Studie wird deutlich, daß die USRegierung
in ihrem Bemühen, die ökonomischen und geopolitischen Beziehungen zur
Türkei zu verstärken, gleichermaßen gewillt war, den Völkermord an den Armeniern zu
leugnen:
Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, daß die Türken einen Völkermord wirkungsvoll
leugnen konnten: Andere Regierungen standen der Türkei zur Seite und
unterstützten sie beim Umschreiben ihrer Geschichte. Im Bestreben ihre nationalen
Interessen zu wahren wurde jedes [öffentliche] Wissen um den Völkermord unterdrückt.
Um ein Beispiel zu nennen: Von 1920 an bis heute hat die Regierung der USA
den Türken geholfen den Völkermord an den Armeniern zu leugnen, obwohl es zahllose
Dokumente in den Akten des State Departement und den staatlichen Archiven
gibt, die darüber Zeugnis ablegen. Tatsächlich war es der [frühere] armenische Botschafter,
Henry Morgenthau, der beharrlich darauf drängte, daß die Jungtürken die
Deportationen und das Massaker am armenischen Volk stoppten.
Jedoch hat Politik oft mehr mit der Wahrung von Interessen als mit der Wahrheit zu
tun; wo es um Sicherheit, Zugang zu elementaren Ressourcen oder Profite geht, wird
die Vergangenheit, ja sogar die entsetzliche fortdauernde Vernichtung eines Volkes
stillgeschwiegen oder von der Regierung willentlich übergangen. In den Jahren nach
dem ersten Weltkrieg gehörten Erdöl, Handel und Missionieren zu den amerikanischen
Interessen, heute sind es sowohl die militärische Sicherheit im Nahen Osten und
in Europa als auch Geheimdienststrategien, die innere Stabilität und die Geschäftsbeziehungen
zur der Türkei.
7
In den 30er Jahren waren die USA so erpicht auf eine harmonische Beziehung zu dem
türkischen Staat der daran interessiert war, den fortdauernden Völkermord an den Kurden
und frühere Verbrechen an den Armeniern zu leugnen daß das State Departement,
unter dem Druck der türkischen Regierung, wiederholt gegen die Produktion des Metro
Goldwyn Meyer Films intervenierte, der, basierend auf Franz Werfels Die vierzig Tage des
Musa Dagh, Aspekte des Völkermords an den Armeniern thematisierte.129 Laut Smith hat
die US-Regierung den vom türkischen Staat begangenen Völkermord in der Phase nach
dem Zweiten Weltkrieg genauso vertuscht und öffentlich geleugnet wie in der Zeit von
1923-39. Seine Einsichten hierzu sind sehr aufschlußreich:
27
Unter dem Druck der türkischen Regierung plädierten die USA in den 70er Jahren
dafür, den Artikel 30 aus dem Bericht des UN-Ausschusses für Minderheitenschutz
über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu streichen:
Beim Übergang in ein modernes Zeitalter, sollte man der Existenz von relativ vollständigen
Dokumenten über die Massaker an den Armeniern Aufmerksamkeit schenken,
die als der erste Fall von Völkermord im Zwanzigsten Jahrhundert gelten.
Die überarbeitete Version des Entwurfs, die 1978 vorgestellt wurde, begann in ihrem
historischen Teil mit der Vernichtung der Juden durch die Nazis ... Leugnen ist eine Art
Lüge, eine vorsätzliche Verzerrung der Tatsachen um einen vermeintlichen Vorteil
willen ... Als das amerikanische State Departement 1982 entschied, daß die Verbrechen
gegen die Armenier und der Völkermord an ihnen nicht eindeutig belegbar seien,
machte es sich einer Lüge schuldig. In den Archiven des State Departements fanden
sich genügend Beweise dafür ... 1985 drängte das State Departement den Senat, die
UN Konvention zum Verbrechen des Genozid zu ratifizieren und versuchte zur selben
Zeit eine Resolution des Kongresses zu verwerfen, die die Anerkennung des ersten,
groß angelegten Völkermordes [an den Armeniern] des Zwanzigsten Jahrhunderts
zum Inhalt hatte. Präsident Reagan ... hatte ebenfalls Einwände gegen die Resolution.
Seine Gründe waren, daß sie terroristische Handlungen begünstigte oder belohnte
und darüber hinaus den Beziehungen zu einem wichtigen Bündnispartner schaden
würde. Das State Departement zitierte diese Erklärungen, ging aber noch einen Schritt
weiter, indem es den Völkermord in Frage stellte ... Des Pres stellt fest, daß in der
Orwellschen Welt, moderne Regierungen die Geschichte neu schreiben.130
Majorie Housepian-Dopkin ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, Wenn man
die amerikanische Außenpolitik im Hinblick auf die Türkei zwischen 1920-23 (und auch
später) genau betrachtet, fällt auf, daß die Wahrung der Freundschaft mit der Türkei
immer im Vordergrund stand. Der amerikanischen Presse war jedes Mittel recht, die Türkei
positiv darzustellen, man schreckte dabei weder vor totaler Zensur noch vor Fälschungen
zurück131 Richard Hovannisian notiert, daß zum Beispiel zwischen 1985 und 1987
das amerikanische Verteidigungsministerium, das Außenministerium, das Weiße Haus
gegen Resolutionen des Kongresses vorgingen, die sich auf den Völkermord an den Armeniern
bezogen. Die Proteste der türkischen Regierung, die amerikanisch-türkischen Beziehungen,
amerikanische Militärbasen in der Türkei und die Nato-Connection waren genug,
um die mächtigsten Institutionen der USA in eine Kampagne des Leugnens
einzubeziehen. Türkische und amerikanische Offizielle gaben zu verstehen, daß die
Anerkennung des armenischen Völkermordes einen Sieg für die Destabilisierungs-Strategen
bedeuten würde.132
Der Völkermord an den Kurden (1946-74), die Rolle der US-Regierung und die
Unterstützungs-Strukturen der NATO.
Obwohl liberale Reformen zwischen 1946-1960 dem Massenmord an der kurdischen
Bevölkerung ein Ende setzten und einige Kurden nach Dersim zurückkehren konnten,
ging der kulturelle Genozid in anderer Form weiter. Kurden wurden noch immer in den
Westen und sogar in den Norden nach Kars und Ardahan deportiert.133 Izady vertritt die
These, daß diese liberalen Reformen nur eine Reaktion auf den relativ starken Rückgang
28
der kurdischen Bevölkerungszahlen waren, der auf physische Gewalt und nach 1940 auf
sinkende Geburtenraten zurückzuführen ist. In den 50iger Jahren führte dies zur Assimilierung
der kurdischen Gemeinschaft, wobei deren Schicksal mehr und mehr in Vergessenheit
geriet. Die damaligen Ministerpräsidenten Menderes und Bayar erkannten dies
und lockerten die strenge Regierungspolitik.134
Das Anrecht auf die kulturelle und historische Existenz der Kurden wurde auch weiterhin
geleugnet. Ein Artikel in Son Posta vom 11 April 1946 spiegelt den Standpunkt des
Establishments wieder: In der Türkei hat es niemals eine kurdische Minderheit gegeben,
ob Nomaden oder Seßhafte, ob mit oder ohne Nationalbewußtsein.135 1949 wurde das
Regionale Administrationsgesetz Nr. 5442 verabschiedet. Es sah vor, daß die Städte und
Dörfer, in denen Kurden lebten, türkische Namen erhielten. Die Behörden behaupteten,
daß dies geschehe, um Verwirrung zu vermeiden. Doch der wahre Grund für ein solches
Gesetz war Rassismus. Bis heute sind kurdische Namen für Städte, Ortschaften und Dörfer
offiziell verboten. 136
Zur selben Zeit machten sich die Auswirkungen der strategischen Allianzen des Kalten
Krieges bemerkbar. Mit der Truman Doktrin von 1947 hatte sich die US-Regierung die
Modernisierung der türkischen Armee und der inneren Sicherheitskräfte zur Aufgabe
gemacht. Militärische Unterstützung im Werte von mehren Hundert Millionen Dollar
wurde bereit gestellt, um die politische und territoriale Integrität des türkischen Staates
vor den Revolten der bewaffneten kommunistischen Minderheiten innerhalb des Landes
und den kommunistischen Streitkräften in Europa schützen.137 Chomsky weist darauf
hin, daß diese Formulierung innere Bedrohung durch den Kommunismus dem Fachjargon
des amerikanischen politischen Diskurses entstammte, und daß damit radikale,
von den USA nicht geförderte oder unterstützte nationalistische Bewegungen gemeint
waren, oder auch Arbeiterführer, Organisatoren von Bauernverbänden, Leiter von Selbsthilfegruppen
sowie alle anderen, die falsche Prioritäten setzten und sich den USA in den
Weg stellten.138
Laut Berichten des türkischen Innenministeriums war es in türkischen Regierungskreisen
bekannt, daß man von den USA wirtschaftliche, politische und wenn nötig auch
militärische Unterstützung bei der Durchführung des Völkermords an den Kurden erhalten
würde, solange man die kurdische Bedrohung als kommunistisch darstellte:
Durch diese Operation139 erhoffte sich die Türkei wirtschaftliche Hilfe von den USA
... die Operation sollte gegenüber der amerikanischen Regierung als Maßnahme gegen
eine kommunistische kurdische Bewegung dargestellt werden. Auch den Angehörigen
der verhafteten Verdächtigen sollte gesagt werden, daß es sich um eine Veranstaltung
einer Kommunistischen Bewegung gehandelt habe. Für diese Behauptung gibt
es bislang keine Beweise.140
Der NATO-Beitritt der Türkei 1952 brachte mit sich, daß türkische Truppen, antikurdische
Kommando-Einheiten, Todesschwadronen der Konterguerilla, paramilitärische
counterinsurgency Organisationen von der USA und der NATO gegründet, finanziert
und ausgebildet wurden.141 Dieser Prozeß schränkte die genozidalen Maßnahmen nicht
ein. Im Gegenteil, die türkischen ultranationalistischen Gruppen fühlten sich ermutigt,
ihre Aktivitäten gegen subversive kurdische Gemeinschaften, Organisatoren, Verteidiger
der Demokratie, Schriftsteller, Rechtsanwälte, Ärzte und Studenten auszuweiten.142 Durch
29
die Unterstützungs-Strukturen der CIA und der NATO wurden diese Gruppen sogar
darin ausgebildet, in der Türkei143 Aktionen zu starten, die sich direkt gegen subversive
kurdische Gemeinschaften und politische Gruppierungen richteten:144
Jeffrey Bale schrieb, daß die CIA an der Gründung ... der Konterguerilla beteiligt
war.145 Counterspy zufolge unterstützte die CIA als Teil ihres Ausbildungsprogramms
in psychologischer Kriegsführung in der Türkei von 1960-69 auch Milli Istihbarat
Teskilati (MIT), den berüchtigten türkischen Geheimdienst, bei seinen Plänen für
Massenfestnahmen von Oppositionellen ähnlich geschehen in Thailand, Indonesien
und Griechenland. In einer einzigen Nacht ließen Generäle 4000 Menschen, darunter
Professoren, Studenten, Lehrer und ranghohe Offiziere verhaften. Sie folterten ... Der
Putsch wurde von der Konterguerilla, der CIA, dem türkischen Militär und dem
türkischen militärischen Geheimdienst (MIT) durchgeführt.146 Die Rede ist hier
vom 1971er Militärputsch in der Türkei.
Jeffrey Bale berichtet weiter, daß die CIA und der amerikanische militärische Geheimdienst
sich der Hilfe idealistischer Zivilisten bedienten, indem sie diese für die Konterguerilla
rekrutierten.147 Unter dem Schutz und durch die geheime Deckung einer
anti-kommunistischen NATO wurde die Operation Stay Behind ins Leben gerufen,
die von der CIA geleitet und von Stabschefs der US-Streitkräfte geplant worden war ...
Einem Senatsbericht über die CIA von Frank Church von 1976 ist zu entnehmen, daß
eine Konterguerilla Organisation mit dem Namen Seferberlik Tektik Kurulu (Amt für
die Aufsicht über die Mobilmachung) gegründet und organisiert wurde, die dann von
dem selben Gebäude in Ankara operierte, das die amerikanische Militär-Hilfe-Mission
beherbergte.148
Roth und Taylan zufolge begann die Ausbildung der Offiziere in psychologischer
Kriegsführung in den USA und wurde dann in der Türkei unter der Leitung der CIA
und Militärberatern fortgesetzt.149 1959 stimmten die USA und die Türkei darin
überein, die Konterguerilla auch im Falle einer Volkserhebung gegen das Regime
militärisch einzusetzen.150 Sechs Jahre später, mit der Umstrukturierung der STK in
die ÖHD (Özel Harp Dairesi Abteilung für spezielle Kriegsführung) ... wurden die
Konterguerilla und die Todeskommandos unter die Befehlsgewalt der obersten Heeresleitung
gestellt.151 Angaben des damaligen türkischen Premierministers Bülent Ecevit
zufolge erhielt die Türkei bis mindestens 1974 erhebliche finanzielle Unterstützung
von den USA, um die Aufrechterhaltung dieses Systems zu gewährleisten.
Çelik und weitere Autoren haben festgestellt, daß die Ausbildung der Todeskommandos
eindeutig auf eine ÖHD-CIA-NATO Verbindung zurückzuführen ist. Es kamen amerikanische
Handbücher für psychologische Kriegsführung und Konterguerilla zum
Einsatz, die ins Türkische übersetzt worden waren genau wie in anderen Fällen von
Stay Behind Strukturen in Europa: Die speziellen Methoden der Kriegsführung,
die hier gelehrt wurden, waren angeblich für den Fall einer kommunistischen Belagerung
konzipiert worden. Zum Einsatz kamen sie jedoch gegen Kurden. Zu den Taktiken
gehörten unter anderem Morde, Bombenanschläge, bewaffnete Raubüberfälle,
Folter, Überfälle, Kidnapping, Drohungen, Provokationen, militärisches Training,
Geiselnahmen, Brandstiftung, Sabotage, Propaganda, Desinformation, Gewalt und
Betrügereien.
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7
In den 30er Jahren waren die USA so erpicht auf eine harmonische Beziehung zu dem
türkischen Staat der daran interessiert war, den fortdauernden Völkermord an den Kurden
und frühere Verbrechen an den Armeniern zu leugnen daß das State Departement,
unter dem Druck der türkischen Regierung, wiederholt gegen die Produktion des Metro
Goldwyn Meyer Films intervenierte, der, basierend auf Franz Werfels Die vierzig Tage des
Musa Dagh, Aspekte des Völkermords an den Armeniern thematisierte.129 Laut Smith hat
die US-Regierung den vom türkischen Staat begangenen Völkermord in der Phase nach
dem Zweiten Weltkrieg genauso vertuscht und öffentlich geleugnet wie in der Zeit von
1923-39. Seine Einsichten hierzu sind sehr aufschlußreich:
27
Unter dem Druck der türkischen Regierung plädierten die USA in den 70er Jahren
dafür, den Artikel 30 aus dem Bericht des UN-Ausschusses für Minderheitenschutz
über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu streichen:
Beim Übergang in ein modernes Zeitalter, sollte man der Existenz von relativ vollständigen
Dokumenten über die Massaker an den Armeniern Aufmerksamkeit schenken,
die als der erste Fall von Völkermord im Zwanzigsten Jahrhundert gelten.
Die überarbeitete Version des Entwurfs, die 1978 vorgestellt wurde, begann in ihrem
historischen Teil mit der Vernichtung der Juden durch die Nazis ... Leugnen ist eine Art
Lüge, eine vorsätzliche Verzerrung der Tatsachen um einen vermeintlichen Vorteil
willen ... Als das amerikanische State Departement 1982 entschied, daß die Verbrechen
gegen die Armenier und der Völkermord an ihnen nicht eindeutig belegbar seien,
machte es sich einer Lüge schuldig. In den Archiven des State Departements fanden
sich genügend Beweise dafür ... 1985 drängte das State Departement den Senat, die
UN Konvention zum Verbrechen des Genozid zu ratifizieren und versuchte zur selben
Zeit eine Resolution des Kongresses zu verwerfen, die die Anerkennung des ersten,
groß angelegten Völkermordes [an den Armeniern] des Zwanzigsten Jahrhunderts
zum Inhalt hatte. Präsident Reagan ... hatte ebenfalls Einwände gegen die Resolution.
Seine Gründe waren, daß sie terroristische Handlungen begünstigte oder belohnte
und darüber hinaus den Beziehungen zu einem wichtigen Bündnispartner schaden
würde. Das State Departement zitierte diese Erklärungen, ging aber noch einen Schritt
weiter, indem es den Völkermord in Frage stellte ... Des Pres stellt fest, daß in der
Orwellschen Welt, moderne Regierungen die Geschichte neu schreiben.130
Majorie Housepian-Dopkin ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, Wenn man
die amerikanische Außenpolitik im Hinblick auf die Türkei zwischen 1920-23 (und auch
später) genau betrachtet, fällt auf, daß die Wahrung der Freundschaft mit der Türkei
immer im Vordergrund stand. Der amerikanischen Presse war jedes Mittel recht, die Türkei
positiv darzustellen, man schreckte dabei weder vor totaler Zensur noch vor Fälschungen
zurück131 Richard Hovannisian notiert, daß zum Beispiel zwischen 1985 und 1987
das amerikanische Verteidigungsministerium, das Außenministerium, das Weiße Haus
gegen Resolutionen des Kongresses vorgingen, die sich auf den Völkermord an den Armeniern
bezogen. Die Proteste der türkischen Regierung, die amerikanisch-türkischen Beziehungen,
amerikanische Militärbasen in der Türkei und die Nato-Connection waren genug,
um die mächtigsten Institutionen der USA in eine Kampagne des Leugnens
einzubeziehen. Türkische und amerikanische Offizielle gaben zu verstehen, daß die
Anerkennung des armenischen Völkermordes einen Sieg für die Destabilisierungs-Strategen
bedeuten würde.132
Der Völkermord an den Kurden (1946-74), die Rolle der US-Regierung und die
Unterstützungs-Strukturen der NATO.
Obwohl liberale Reformen zwischen 1946-1960 dem Massenmord an der kurdischen
Bevölkerung ein Ende setzten und einige Kurden nach Dersim zurückkehren konnten,
ging der kulturelle Genozid in anderer Form weiter. Kurden wurden noch immer in den
Westen und sogar in den Norden nach Kars und Ardahan deportiert.133 Izady vertritt die
These, daß diese liberalen Reformen nur eine Reaktion auf den relativ starken Rückgang
28
der kurdischen Bevölkerungszahlen waren, der auf physische Gewalt und nach 1940 auf
sinkende Geburtenraten zurückzuführen ist. In den 50iger Jahren führte dies zur Assimilierung
der kurdischen Gemeinschaft, wobei deren Schicksal mehr und mehr in Vergessenheit
geriet. Die damaligen Ministerpräsidenten Menderes und Bayar erkannten dies
und lockerten die strenge Regierungspolitik.134
Das Anrecht auf die kulturelle und historische Existenz der Kurden wurde auch weiterhin
geleugnet. Ein Artikel in Son Posta vom 11 April 1946 spiegelt den Standpunkt des
Establishments wieder: In der Türkei hat es niemals eine kurdische Minderheit gegeben,
ob Nomaden oder Seßhafte, ob mit oder ohne Nationalbewußtsein.135 1949 wurde das
Regionale Administrationsgesetz Nr. 5442 verabschiedet. Es sah vor, daß die Städte und
Dörfer, in denen Kurden lebten, türkische Namen erhielten. Die Behörden behaupteten,
daß dies geschehe, um Verwirrung zu vermeiden. Doch der wahre Grund für ein solches
Gesetz war Rassismus. Bis heute sind kurdische Namen für Städte, Ortschaften und Dörfer
offiziell verboten. 136
Zur selben Zeit machten sich die Auswirkungen der strategischen Allianzen des Kalten
Krieges bemerkbar. Mit der Truman Doktrin von 1947 hatte sich die US-Regierung die
Modernisierung der türkischen Armee und der inneren Sicherheitskräfte zur Aufgabe
gemacht. Militärische Unterstützung im Werte von mehren Hundert Millionen Dollar
wurde bereit gestellt, um die politische und territoriale Integrität des türkischen Staates
vor den Revolten der bewaffneten kommunistischen Minderheiten innerhalb des Landes
und den kommunistischen Streitkräften in Europa schützen.137 Chomsky weist darauf
hin, daß diese Formulierung innere Bedrohung durch den Kommunismus dem Fachjargon
des amerikanischen politischen Diskurses entstammte, und daß damit radikale,
von den USA nicht geförderte oder unterstützte nationalistische Bewegungen gemeint
waren, oder auch Arbeiterführer, Organisatoren von Bauernverbänden, Leiter von Selbsthilfegruppen
sowie alle anderen, die falsche Prioritäten setzten und sich den USA in den
Weg stellten.138
Laut Berichten des türkischen Innenministeriums war es in türkischen Regierungskreisen
bekannt, daß man von den USA wirtschaftliche, politische und wenn nötig auch
militärische Unterstützung bei der Durchführung des Völkermords an den Kurden erhalten
würde, solange man die kurdische Bedrohung als kommunistisch darstellte:
Durch diese Operation139 erhoffte sich die Türkei wirtschaftliche Hilfe von den USA
... die Operation sollte gegenüber der amerikanischen Regierung als Maßnahme gegen
eine kommunistische kurdische Bewegung dargestellt werden. Auch den Angehörigen
der verhafteten Verdächtigen sollte gesagt werden, daß es sich um eine Veranstaltung
einer Kommunistischen Bewegung gehandelt habe. Für diese Behauptung gibt
es bislang keine Beweise.140
Der NATO-Beitritt der Türkei 1952 brachte mit sich, daß türkische Truppen, antikurdische
Kommando-Einheiten, Todesschwadronen der Konterguerilla, paramilitärische
counterinsurgency Organisationen von der USA und der NATO gegründet, finanziert
und ausgebildet wurden.141 Dieser Prozeß schränkte die genozidalen Maßnahmen nicht
ein. Im Gegenteil, die türkischen ultranationalistischen Gruppen fühlten sich ermutigt,
ihre Aktivitäten gegen subversive kurdische Gemeinschaften, Organisatoren, Verteidiger
der Demokratie, Schriftsteller, Rechtsanwälte, Ärzte und Studenten auszuweiten.142 Durch
29
die Unterstützungs-Strukturen der CIA und der NATO wurden diese Gruppen sogar
darin ausgebildet, in der Türkei143 Aktionen zu starten, die sich direkt gegen subversive
kurdische Gemeinschaften und politische Gruppierungen richteten:144
Jeffrey Bale schrieb, daß die CIA an der Gründung ... der Konterguerilla beteiligt
war.145 Counterspy zufolge unterstützte die CIA als Teil ihres Ausbildungsprogramms
in psychologischer Kriegsführung in der Türkei von 1960-69 auch Milli Istihbarat
Teskilati (MIT), den berüchtigten türkischen Geheimdienst, bei seinen Plänen für
Massenfestnahmen von Oppositionellen ähnlich geschehen in Thailand, Indonesien
und Griechenland. In einer einzigen Nacht ließen Generäle 4000 Menschen, darunter
Professoren, Studenten, Lehrer und ranghohe Offiziere verhaften. Sie folterten ... Der
Putsch wurde von der Konterguerilla, der CIA, dem türkischen Militär und dem
türkischen militärischen Geheimdienst (MIT) durchgeführt.146 Die Rede ist hier
vom 1971er Militärputsch in der Türkei.
Jeffrey Bale berichtet weiter, daß die CIA und der amerikanische militärische Geheimdienst
sich der Hilfe idealistischer Zivilisten bedienten, indem sie diese für die Konterguerilla
rekrutierten.147 Unter dem Schutz und durch die geheime Deckung einer
anti-kommunistischen NATO wurde die Operation Stay Behind ins Leben gerufen,
die von der CIA geleitet und von Stabschefs der US-Streitkräfte geplant worden war ...
Einem Senatsbericht über die CIA von Frank Church von 1976 ist zu entnehmen, daß
eine Konterguerilla Organisation mit dem Namen Seferberlik Tektik Kurulu (Amt für
die Aufsicht über die Mobilmachung) gegründet und organisiert wurde, die dann von
dem selben Gebäude in Ankara operierte, das die amerikanische Militär-Hilfe-Mission
beherbergte.148
Roth und Taylan zufolge begann die Ausbildung der Offiziere in psychologischer
Kriegsführung in den USA und wurde dann in der Türkei unter der Leitung der CIA
und Militärberatern fortgesetzt.149 1959 stimmten die USA und die Türkei darin
überein, die Konterguerilla auch im Falle einer Volkserhebung gegen das Regime
militärisch einzusetzen.150 Sechs Jahre später, mit der Umstrukturierung der STK in
die ÖHD (Özel Harp Dairesi Abteilung für spezielle Kriegsführung) ... wurden die
Konterguerilla und die Todeskommandos unter die Befehlsgewalt der obersten Heeresleitung
gestellt.151 Angaben des damaligen türkischen Premierministers Bülent Ecevit
zufolge erhielt die Türkei bis mindestens 1974 erhebliche finanzielle Unterstützung
von den USA, um die Aufrechterhaltung dieses Systems zu gewährleisten.
Çelik und weitere Autoren haben festgestellt, daß die Ausbildung der Todeskommandos
eindeutig auf eine ÖHD-CIA-NATO Verbindung zurückzuführen ist. Es kamen amerikanische
Handbücher für psychologische Kriegsführung und Konterguerilla zum
Einsatz, die ins Türkische übersetzt worden waren genau wie in anderen Fällen von
Stay Behind Strukturen in Europa: Die speziellen Methoden der Kriegsführung,
die hier gelehrt wurden, waren angeblich für den Fall einer kommunistischen Belagerung
konzipiert worden. Zum Einsatz kamen sie jedoch gegen Kurden. Zu den Taktiken
gehörten unter anderem Morde, Bombenanschläge, bewaffnete Raubüberfälle,
Folter, Überfälle, Kidnapping, Drohungen, Provokationen, militärisches Training,
Geiselnahmen, Brandstiftung, Sabotage, Propaganda, Desinformation, Gewalt und
Betrügereien.
8
Untersuchungen haben ergeben, daß Generäle und ausgewählte Mitglieder der türkischen
Konterguerilla in speziellen Schulen in den USA ausgebildet wurden ... Während
ihres Trainings nahe der mexikanischen Grenze lernten sie, unter der Aufsicht von
den Green Berets [Kommandotruppe der US-Streitkräfte], den Umgang mit Sprengstoff
und wie man Menschen ersticht oder lautlos stranguliert. Weitere Orte, an denen
türkische Beamte geschult wurden, waren die Escuela de los Americas in Panama, die mit
dem US-Stützpunkt Southern Comfort verbunden ist, die Polizei Akademie in der Nähe
von Washington und die Stützpunkte Schöngau und Oberammergau in Deutschland.153
Es ist bemerkenswert, daß die nachfolgenden CIA Chefs, die mit der Überwachung
der psychologischen Kriegsführung betraut wurden, auch dafür geeignet waren, diese
Aktionen vor der Öffentlichkeit zu verhüllen. Loftus und Aarons fanden heraus, daß
Akten des State Departement zufolge CIA Chef Allen Dulles mit der Geheimhaltung
des Massakers an den Armeniern beauftragt worden war ... Simpsons Untersuchungen
dokumentieren darüber hinaus, wie Dulles und seine Informanten den jüdischen
Holocaust während des Zweiten Weltkriegs geheimhielten.154
Laut Ghassemlou waren amerikanische Militärs dazu befugt, alle Entscheidungen für
CENTO zu treffen, den antikommunistischen Pakt im Kalten Krieg, der zwischen der
Türkei, Iran, Pakistan und Großbritannien geschlossen worden war. Diese Militärs hatten
beschlossen, daß ein wichtiges Ziel dieses Pakts die gegenseitige Unterstützung bei der
Liquidierung aller nationalen kurdischen Befreiungsbewegungen mit allen dafür notwendigen
Mitteln im Iran oder in der Türkei sei.155 Christopher Simpson hat festgestellt,
daß die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Unterstützung von offensichtlich repressiven
und anti-demokratischen Aktionen in der Türkei, Guatemala, Panama, Süd Vietnam, El
Salvador und Nicaragua, nur zu einem ketzerischen Schluß führen kann: Die ... Vereinigten
Staaten ... tolerieren den Völkermord und sind dazu bereit, unzählige Menschen zu
opfern.156 Zahlreiche Studien haben belegt, daß antikurdische türkische Kommandoeinheiten
zur Aufstandsbekämpfung, Konterguerilla und die Todesschwadronen von den
USA, der CIA, den Green Berets und Spezial Einheiten der NATO finanziert, ausgerüstet
und ausgebildet wurden.157
Eine weitere Auswertung des türkischen genozidalen Prozesses (1959-79)
1959, kaum ein Jahr nach der Gründung des Tageblattes Ileri Yurt (Das fortschrittliche
Land), das auf kurdische Belange einging, wurde der Betrieb wieder eingestellt und neunundvierzig
der als kurdisch bezeichneten Mitglieder und Anhänger verhaftet. Präsident
Bayar, Premierminister Menderes und der von den Vereinigten Staaten finanzierte türkische
Geheimdienst (MIT) forderten, daß alle neunundvierzig Kurdisten gehängt werden
sollten. McDowall zufolge hielt sie nur die Wahrscheinlichkeit einer negativen Reaktion
aus dem Ausland davon zurück.158 Mit dem von den USA unterstützten Militärputsch
von 1960,159 der das streng kemalistische, aus Militärs wie Zivilisten bestehende Komitee
für Nationale Einheit einleitete, verschärfen sich die Handlungen, die auf einen kulturellen
Genozid gegen die Kurden abzielten. Chris Kutschera bestätigt, daß eine aggressive
Politik der erzwungenen systematischen Assimilierung verfolgt wurde. So schickte man
beispielsweise kurdische Bauernkinder in größere Städte auf Internate, in denen es verboten
war Kurdisch zu sprechen.160
31
Die neue politische Linie hatte noch weitere Auswirkungen: 485 kurdische Intellektuelle
und wichtige Persönlichkeiten wurden monatelang in einem Militärlager in Sivas
gefangengehalten.161 Davon wurden 65 in den Westen der Türkei verbannt. Ein Gesetz
(Nr. 1587), das den Prozeß der Turkifizierung aller kurdischen Dörfer beschleunigen
sollte, wurde erlassen.162 Ein weiteres Gesetz regelte die Schaffung von Internaten, in
denen Kurden assimiliert werden sollten. Es folgte damit den Vorgaben von 1935. Präsident
Gürsel bestand darauf, daß die Kurden eigentlich türkischer Abstammung seien und
daß es so etwas wie eine kurdische Nation nicht gäbe.163
Bei friedlichen Demonstrationen, welche Kurden in einigen Städten organisierten, um
gegen diese falschen Behauptungen zu protestieren, wurden, kurdischen Quellen zufolge,
315 Demonstranten erschossen und 754 verletzt.164 Das Komitee für Nationale Einheit
gab bekannt, daß man beabsichtigte jeden, der offiziell verurteilt wurde, weil er an
Handlungen teilgenommen hatte, die die nationalen Interessen gefährdeten, in einen
anderes Gebiet überführen würde. Dasselbe gelte für die Angehörigen der Verurteilten,
wenn das Gericht dies für notwendig hielte.165 Die Kurden, schreibt Kendal, waren
die Einzigen Nutznießer dieses Dekrets.166 Im November 1960 wurden sie nochmals
durch eine Warnung von General Gürsel, dem Führer der Junta, bedroht: Wenn die
Bergtürken sich nicht ruhig verhalten, wird die Armee nicht zögern, ihre Städte und
Dörfer in Grund und Boden zu bombardieren. Es wird ein Blutbad geben und sie und ihr
Land werden hinweg gespült werden.167
Obwohl 1961 eine neue Verfassung verabschiedet wurde und das Land zu einer
zivilen Demokratie zurückkehrte, blieb es bei dem Verbot, regionalistische Vereinigungen
zu gründen, die die Nation spalten könnten.168 Die Demokratische Partei von Türkisch
Kurdistan (KDPT) z.B. wurde sofort für illegal erklärt, unterdrückt und verboten.
169 Sie wurde 1965 von zwei Männern gegründet, Faik Bacak, ein Rechtsanwalt aus
Urfa, der im July 1966 von der türkischen Miliz ermordet wurde und Sait Elci, einem
Buchhalter aus Diyarbakir, der 1970 umgebracht wurde ... unter Umständen, die bis
heute nicht geklärt sind.170 Die Türkische Arbeiterpartei (TIP), die versucht hatte, sich
mit der kurdischen Frage auseinanderzusetzen, geriet ebenfalls in das Schußfeld einer
paramilitärischen faschistischen Organisation, der Vereinigung für den Kampf gegen den
Kommunismus, die von der NATO und der CIA finanziell unterstützt wurde. Als die
TIP anläßlich ihres vierten Parteikongresses beantragte, den fortdauernden kulturellen
Völkermord an den Kurden aufzudecken, wurde sie schließlich vom Staat verboten: Es
gibt ein kurdisches Volk im Osten der Türkei ... Die faschistischen Mächte, die die herrschende
Klasse bilden, haben das kurdische Volk einer Politik der Assimilierung und
Einschüchterung ausgesetzt, die oft in blutige Unterdrückung mündet.171
Auch die politische Organisation der Revolutionären Kurdischen Jugend (DDKO),
die sich für die staatsbürgerliche Unabhängigkeit der Kurden, das nationale Bewußtsein
für den vernachlässigten Staat im Osten und Bildungsprogramme für Frauen und Kinder
einsetzte, wurde Opfer von Überfällen und Terror.172 Spätestens 1970 saßen alle Führungsleute
der DDKO im Gefängnis.173 Darüber hinaus wurde versucht, den starken politischen
Rückhalt, den die Partei bei der Landbevölkerung hatte, durch gewalttätige militärische
Einsätze zunichte zu machen.
Sprecher der türkisch nationalistischen Rechten hielten weiterhin rassistische Reden, in
denen sie sich bemühten, die Kurden möglichst entmenschlicht darzustellen. Obendrein
forderten sie die Bürger zur Mithilfe bei der Beseitigung aller Spuren kurdischer Präsenz
32
im Lande auf. Dasselbe gilt für Zeitschriften wie Milli Yol, Yeni Istanbul und Otüken.174
Die Regierung unterstützte diese Stimmungsmache. So sollte z.B. die Zeitschrift Otüken
im Juni 1967 ihre patriotische Leserschaft darüber aufklären, daß die Kurden keine
menschlichen Gesichter hätten.175 Die Kurden entwurzelte man auf verschiedene Art
und Weise durch Migration nach Indien, Pakistan, Iran oder Afrika, wo sie sich mit den
halb-Mensch-und-halb-Tier Wesen zusammentun konnten, die dort lebten oder sie
wurden physisch ausgerottet:
Wir Türken haben jede Menge Blut vergossen, um dieses Land zu besitzen; wir
mußten die Georgier, die Armenier und die byzantinischen Griechen vertreiben ... Die
türkische Rasse ist sehr geduldig, aber wenn sie richtig verärgert ist wird sie zum brüllenden
Löwen und nichts kann sie mehr aufhalten. Laßt doch [die Kurden] die Armenier
fragen wer wir sind und dann sollen sie die passenden Schlüsse ziehen.176
Rassismus wurde so sehr unterstützt, schreibt McDowall, daß Kurde zu sein mit primitiv
und bäuerlich, mit Caliban gleichgesetzt wurde. Mit der Frage: Wo ist dein
Schwanz?, hatten Kinder aus der Oberschule in Kütahya mit ihrem Lehrer Mehmet
Altunakar ihren Spott getrieben. Derartige Beleidigungen gehörten für jeden exilierten
Kurden zum alltäglichen Leben. In den 60er Jahren führte ein entmenschlichender
anhaltender, unverhüllter Rassismus wie dieser dazu, daß die Akzeptanz, von einer Notwendigkeit
der Lösung [der kurdischen Frage] zu sprechen, immer größer wurde. Holt
die bewaffneten Kosaken oder die kirgisischen Emigranten herbei. Das wird unser Problem
ein für alle Mal lösen.177
Legt man die Definitionen der Internationalen Konvention über die Rechte der
indigenen Völker zugrunde, so sind diese rassistischen, staatlich sanktionierten Handlungen
als genozidal zu bewerten. Entmenschlichte Eigenschaften einer bedrohten Gruppe
zu propagieren, ist, Hirsch und Smith zufolge, ein deutliches Zeichen, daß die Gesellschaft
sich in eine genozidale Richtung bewegt. Sprache wird zum Indikator für eine
Verschiebung der normativen Ordnung und macht deutlich, daß die Scheu vor Massenmord
langsam dahin schwindet. Die Opfer werden durch die Entmenschlichung ihrer
Gruppenmitglieder auf den Untergang vorbereitet und geben den [Tätern] einen Freibrief
für den Völkermord in die Hände.178 Auch David Stannard kam zu dem Schluß,
daß solche Vorstellungen, ... einmal verinnerlicht, ... die psychologische Distanz erhöhen
und so kann, wie Christopher Browning es ausdrückt, der Feind leichter zum Objekt
gemacht und aus der Gemeinschaft derer ausgeschlossen werdeb, denen gegenüber man
zu menschlichem Verhalten verpflichtet ist. Massenmord und Ausrottung geraten so zu
einer akzeptablen Angelegenheit.179
Pressefreiheit gilt nicht für die Kurden.180 Die erste Publikation, die seit der Gründung
der türkischen Republik von einem kurdischen Volk sprach, Yeni Akis (Die Neue
Strömung), wurde 1966 eingestellt, nachdem die vierte Ausgabe in den Druck ging. Der
Herausgeber und einige andere kurdische Autoren, die versucht hatten, in Artikeln über
die Ausbildung sowie die kulturelle und politische Situation der Kurden zu berichten
(z.B. über kurdisch-türkische Wörterbücher, kurdische Alphabete, Romane und Aufsätze
die sich mit der kurdischen Frage befaßten) wurden ins Gefängnis gesteckt. Auch importierte
Schriften, in denen es um die kurdische Kultur ging, wurden verboten und auf
Befehl konfisziert.181 Organisationen und Gemeinschaften, die die politische Auseinan33
dersetzung mit der kurdischen Frage forderten und zur Wahrung der humanen und
kulturellen Grundrechte der Kurden aufriefen, wurden von CIA finanzierten, paramilitärischen
Gruppen gnadenlos terrorisiert.182 Autoren wie Musa Anter, Sait Elci und der
türkische Soziologe Ismail Besikci wurden ins Gefängnis gesteckt, weil sie kurdistische,
sprich pro-kurdische, Ansichten vertraten.183
1969 wurden türkische Kommandos, die von amerikanischen Spezialisten zur Bekämpfung
von Aufständen ausgebildet worden waren, in kurdische Gebiete geschickt.
Unter dem Vorwand, nach Waffen zu suchen, sollten sie dort die Einwohner terrorisieren.
184 Ihre Handlungen hatten offensichtlich die planmäßige Zerstörung der politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Strukturen einer Volksgruppe und ihre systematische Demoralisierung
zum Ziel Praktiken, die in dem Entwurf des Sekretariats der Vereinten
Nationen von 1947 eindeutig als genozidale Handlungen bezeichnet werden. McDowall
zufolge geschahen die Kommando Operationen mit der gleichen Willkür, Brutalität und
Folter wie vier Jahrzehnte zuvor, als die Repression in Kurdistan begann.185
In der Zeitschrift Devrim wurde ein Kommandoreport zitiert, in dem es um diese
antikurdischen Gewaltakte geht:
Seit Ende Januar haben militärische Spezialeinheiten (Kommandos) unter dem Vorwand,
Banditen zu jagen, einen Landkrieg in den Gebieten von Diyarbakir, Mardin,
Siirt und Hakkari begonnen. Jedes Dorf wird zu einer festgelegten Stunde umzingelt
und seine Bewohner werden zusammengetrieben. Männer und Frauen werden durch
die Truppen getrennt und zu Herausgabe ihrer Waffen aufgefordert. Diejenigen, die
behaupten keine Waffen zu besitzen, werden geschlagen oder man zwingt andere
Dorfbewohner, sich auf sie zu werfen. Männer und Frauen werden entkleidet und die
letzteren vergewaltigt. Viele starben während dieser Operationen, einige begingen Selbstmord.
Die nackten Männer und Frauen werden mit kalten Wasser übergossen und
ausgepeitscht. Oder man zwingt die Frauen, einen Strick um den Penis ihres Ehemannes
zu binden und ihn dann im Dorf herumzuführen. Auch Frauen müssen auf diese
Weise im Dorf herum marschieren. Die Dorfbewohner werden aufgefordert, die Truppen
mit Frauen zu versorgen. Wenn sie sich widersetzten, werden sie verprügelt.186
Kendal bestätigt, daß diese Aktionen, anderen Handlungen, die ebenfalls von USausgebildeten
Todeskommandos in El Salvador, Indonesien, Guatemala, Südvietnam und
Nicaragua verübt wurden, sehr ähnlich sind, und beschreibt sie wie folgt:
Ein Dorf wird von bewaffneten Fahrzeugen umstellt, Hubschrauber fliegen voraus;
alle Dorfbewohner werden ohne Begründung zusammengetrieben und in eigens dafür
vorbereitete Lager gebracht. Dann werden sie aufgefordert, ihre Waffen herauszugeben.
Wenn einer der Bauern behauptet, keine Waffen zu besitzen, wird er verprügelt
und gedemütigt. Die türkischen Truppen zwingen Männer und Frauen, sich auszuziehen;
oft vergewaltigen sie die Frauen. Verdächtige werden mit den Füßen nach oben
an Galgen gehangen. Es passiert auch, daß Frauen gezwungen werden, den nackten
Männern Stricke um die Genitalien zu binden und sie dann durch die Straßen zu
führen. Viele sterben unter der Folter. 187
34
Nach dem von den USA unterstützten Militärputsch von 1971188 verstärkten sich
solche Gewaltakte. Bestimmte Gruppen, darunter auch tausende Kurden, wurden in
Anti-Guerilla Zentren gefangengehalten und gefoltert, die von in Panama ausgebildeten
türkischen Offizieren errichtet worden waren. In Kurdistan wurden mehr als tausend
Menschen verhaftet, in ein Militärlager in Diyarbakir getrieben und dort gefangengehalten.
Fünfundsiebzig Prozent der Inhaftierten kamen aus der Landbevölkerung. Einige
wurden beschuldigt, der KDPT anzugehören, andere, eine separatistische Organisation
innerhalb der DDKO gebildet zu haben.189 Zürcher zufolge gab es zu jener Zeit weitverbreitete
Berichte über Folterungen, sowohl in Gefängnissen als auch in den sogenannten
Laboratorien, den Folterkammern der MIT.190 Diese Art der Bedrohung setzte sich
bis in die 70iger Jahre fort, auch unter der zivilen demokratischen Regierung:
In der weniger faschistischen Periode, die dem Militärputsch vom 12. März 1971
folgte, wurden die Aktivitäten der Kommandos beträchtlich verstärkt und gerieten zu
einer wahren Kurdenjagd. Diese Truppen arbeiteten sich sukzessiv durch die kurdischen
Provinzen vor; mehrere tausend Bauern wurden verfolgt, festgenommen und
gefoltert. Zwischen 1971 und 1973 verurteilte das Militärgericht von Diyarbakir
mehr als tausend kurdische Separatisten ... Unter Demirel ... nahmen die Kommandos
ihre Aktivitäten wieder auf ... und verstärkten ihre Operationen in Kurdistan.
Zwischen dem 31. März 1975 und dem 10. April 1976 wurden in kurdischen Städten
60 Menschen von der Staatspolizei und den faschistischen Milizen umgebracht.
Sogar unter dem demokratischen parlamentarischen Regime der späten siebziger Jahre
waren die Kommandos in Kurdistan aktiv. Im Oktober und Dezember 1975 patrouillierten
in der Grenzprovinz von Hakkari mehr als 10.000 Truppenmitglieder.191
McDowall zufolge haben verschiedene Faktoren dazu geführt, daß sogar noch Ende
1978 20 bis 30 Linke pro Tag von staatlich sanktionierten rechten Milizen und Armeesoldaten
im kurdischen Osten liquidiert wurden.192 Laut Berch Berberoglu verstärkten
sich die Angriffe der von der CIA ausgebildeten und ausgerüsteten Todeskommandos der
faschistischen Nationalen Aktionspartei (MHP) 1979.193 Poulton hält Demirel für mitschuldig,
da er einen Mann wie Türkes als Vize Premier zuließ, der eine paramilitärischen
Straßenkampf- Organisation anführte.194 Die Grauen Wölfe/Bozukutlar, oder Idealisten,
von der MHP inspirierten Todeskommandos, hatten von Türkes den Befehl erhalten,
die kommunistisch-kurdische Gefahr zu bekämpfen.195 In einem Bericht des türkischen
Innenministeriums und der Leitung der Sicherheit bezeichnete man sie als ideologisch
mit Hitlers Nazi Organisation verwandt.196 Die Ideologie der NAP war tatsächlich von
antikurdischen Inhalten geprägt. MHP Unterstützer zum Beispiel wurden in einer Parteibroschüre
von 1977 folgendermaßen instruiert:
Die Zerstörer [des Osmanischen Reichs] waren griechisch-armenisch-jüdische Konvertiten,
Kurden, Kaukasier, Bosnier und Albaner. Wie lange noch wollt ihr Türken
diese Minderheiten tolerieren? Werft den Kaukasier hinaus, er kann in den Kaukasus
gehen, werft den Armenier hinaus, werft den Kurden hinaus und tötet ihn, entfernt
den Feind des Türkentums aus unserer Mitte.197
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Untersuchungen haben ergeben, daß Generäle und ausgewählte Mitglieder der türkischen
Konterguerilla in speziellen Schulen in den USA ausgebildet wurden ... Während
ihres Trainings nahe der mexikanischen Grenze lernten sie, unter der Aufsicht von
den Green Berets [Kommandotruppe der US-Streitkräfte], den Umgang mit Sprengstoff
und wie man Menschen ersticht oder lautlos stranguliert. Weitere Orte, an denen
türkische Beamte geschult wurden, waren die Escuela de los Americas in Panama, die mit
dem US-Stützpunkt Southern Comfort verbunden ist, die Polizei Akademie in der Nähe
von Washington und die Stützpunkte Schöngau und Oberammergau in Deutschland.153
Es ist bemerkenswert, daß die nachfolgenden CIA Chefs, die mit der Überwachung
der psychologischen Kriegsführung betraut wurden, auch dafür geeignet waren, diese
Aktionen vor der Öffentlichkeit zu verhüllen. Loftus und Aarons fanden heraus, daß
Akten des State Departement zufolge CIA Chef Allen Dulles mit der Geheimhaltung
des Massakers an den Armeniern beauftragt worden war ... Simpsons Untersuchungen
dokumentieren darüber hinaus, wie Dulles und seine Informanten den jüdischen
Holocaust während des Zweiten Weltkriegs geheimhielten.154
Laut Ghassemlou waren amerikanische Militärs dazu befugt, alle Entscheidungen für
CENTO zu treffen, den antikommunistischen Pakt im Kalten Krieg, der zwischen der
Türkei, Iran, Pakistan und Großbritannien geschlossen worden war. Diese Militärs hatten
beschlossen, daß ein wichtiges Ziel dieses Pakts die gegenseitige Unterstützung bei der
Liquidierung aller nationalen kurdischen Befreiungsbewegungen mit allen dafür notwendigen
Mitteln im Iran oder in der Türkei sei.155 Christopher Simpson hat festgestellt,
daß die Rolle der Vereinigten Staaten bei der Unterstützung von offensichtlich repressiven
und anti-demokratischen Aktionen in der Türkei, Guatemala, Panama, Süd Vietnam, El
Salvador und Nicaragua, nur zu einem ketzerischen Schluß führen kann: Die ... Vereinigten
Staaten ... tolerieren den Völkermord und sind dazu bereit, unzählige Menschen zu
opfern.156 Zahlreiche Studien haben belegt, daß antikurdische türkische Kommandoeinheiten
zur Aufstandsbekämpfung, Konterguerilla und die Todesschwadronen von den
USA, der CIA, den Green Berets und Spezial Einheiten der NATO finanziert, ausgerüstet
und ausgebildet wurden.157
Eine weitere Auswertung des türkischen genozidalen Prozesses (1959-79)
1959, kaum ein Jahr nach der Gründung des Tageblattes Ileri Yurt (Das fortschrittliche
Land), das auf kurdische Belange einging, wurde der Betrieb wieder eingestellt und neunundvierzig
der als kurdisch bezeichneten Mitglieder und Anhänger verhaftet. Präsident
Bayar, Premierminister Menderes und der von den Vereinigten Staaten finanzierte türkische
Geheimdienst (MIT) forderten, daß alle neunundvierzig Kurdisten gehängt werden
sollten. McDowall zufolge hielt sie nur die Wahrscheinlichkeit einer negativen Reaktion
aus dem Ausland davon zurück.158 Mit dem von den USA unterstützten Militärputsch
von 1960,159 der das streng kemalistische, aus Militärs wie Zivilisten bestehende Komitee
für Nationale Einheit einleitete, verschärfen sich die Handlungen, die auf einen kulturellen
Genozid gegen die Kurden abzielten. Chris Kutschera bestätigt, daß eine aggressive
Politik der erzwungenen systematischen Assimilierung verfolgt wurde. So schickte man
beispielsweise kurdische Bauernkinder in größere Städte auf Internate, in denen es verboten
war Kurdisch zu sprechen.160
31
Die neue politische Linie hatte noch weitere Auswirkungen: 485 kurdische Intellektuelle
und wichtige Persönlichkeiten wurden monatelang in einem Militärlager in Sivas
gefangengehalten.161 Davon wurden 65 in den Westen der Türkei verbannt. Ein Gesetz
(Nr. 1587), das den Prozeß der Turkifizierung aller kurdischen Dörfer beschleunigen
sollte, wurde erlassen.162 Ein weiteres Gesetz regelte die Schaffung von Internaten, in
denen Kurden assimiliert werden sollten. Es folgte damit den Vorgaben von 1935. Präsident
Gürsel bestand darauf, daß die Kurden eigentlich türkischer Abstammung seien und
daß es so etwas wie eine kurdische Nation nicht gäbe.163
Bei friedlichen Demonstrationen, welche Kurden in einigen Städten organisierten, um
gegen diese falschen Behauptungen zu protestieren, wurden, kurdischen Quellen zufolge,
315 Demonstranten erschossen und 754 verletzt.164 Das Komitee für Nationale Einheit
gab bekannt, daß man beabsichtigte jeden, der offiziell verurteilt wurde, weil er an
Handlungen teilgenommen hatte, die die nationalen Interessen gefährdeten, in einen
anderes Gebiet überführen würde. Dasselbe gelte für die Angehörigen der Verurteilten,
wenn das Gericht dies für notwendig hielte.165 Die Kurden, schreibt Kendal, waren
die Einzigen Nutznießer dieses Dekrets.166 Im November 1960 wurden sie nochmals
durch eine Warnung von General Gürsel, dem Führer der Junta, bedroht: Wenn die
Bergtürken sich nicht ruhig verhalten, wird die Armee nicht zögern, ihre Städte und
Dörfer in Grund und Boden zu bombardieren. Es wird ein Blutbad geben und sie und ihr
Land werden hinweg gespült werden.167
Obwohl 1961 eine neue Verfassung verabschiedet wurde und das Land zu einer
zivilen Demokratie zurückkehrte, blieb es bei dem Verbot, regionalistische Vereinigungen
zu gründen, die die Nation spalten könnten.168 Die Demokratische Partei von Türkisch
Kurdistan (KDPT) z.B. wurde sofort für illegal erklärt, unterdrückt und verboten.
169 Sie wurde 1965 von zwei Männern gegründet, Faik Bacak, ein Rechtsanwalt aus
Urfa, der im July 1966 von der türkischen Miliz ermordet wurde und Sait Elci, einem
Buchhalter aus Diyarbakir, der 1970 umgebracht wurde ... unter Umständen, die bis
heute nicht geklärt sind.170 Die Türkische Arbeiterpartei (TIP), die versucht hatte, sich
mit der kurdischen Frage auseinanderzusetzen, geriet ebenfalls in das Schußfeld einer
paramilitärischen faschistischen Organisation, der Vereinigung für den Kampf gegen den
Kommunismus, die von der NATO und der CIA finanziell unterstützt wurde. Als die
TIP anläßlich ihres vierten Parteikongresses beantragte, den fortdauernden kulturellen
Völkermord an den Kurden aufzudecken, wurde sie schließlich vom Staat verboten: Es
gibt ein kurdisches Volk im Osten der Türkei ... Die faschistischen Mächte, die die herrschende
Klasse bilden, haben das kurdische Volk einer Politik der Assimilierung und
Einschüchterung ausgesetzt, die oft in blutige Unterdrückung mündet.171
Auch die politische Organisation der Revolutionären Kurdischen Jugend (DDKO),
die sich für die staatsbürgerliche Unabhängigkeit der Kurden, das nationale Bewußtsein
für den vernachlässigten Staat im Osten und Bildungsprogramme für Frauen und Kinder
einsetzte, wurde Opfer von Überfällen und Terror.172 Spätestens 1970 saßen alle Führungsleute
der DDKO im Gefängnis.173 Darüber hinaus wurde versucht, den starken politischen
Rückhalt, den die Partei bei der Landbevölkerung hatte, durch gewalttätige militärische
Einsätze zunichte zu machen.
Sprecher der türkisch nationalistischen Rechten hielten weiterhin rassistische Reden, in
denen sie sich bemühten, die Kurden möglichst entmenschlicht darzustellen. Obendrein
forderten sie die Bürger zur Mithilfe bei der Beseitigung aller Spuren kurdischer Präsenz
32
im Lande auf. Dasselbe gilt für Zeitschriften wie Milli Yol, Yeni Istanbul und Otüken.174
Die Regierung unterstützte diese Stimmungsmache. So sollte z.B. die Zeitschrift Otüken
im Juni 1967 ihre patriotische Leserschaft darüber aufklären, daß die Kurden keine
menschlichen Gesichter hätten.175 Die Kurden entwurzelte man auf verschiedene Art
und Weise durch Migration nach Indien, Pakistan, Iran oder Afrika, wo sie sich mit den
halb-Mensch-und-halb-Tier Wesen zusammentun konnten, die dort lebten oder sie
wurden physisch ausgerottet:
Wir Türken haben jede Menge Blut vergossen, um dieses Land zu besitzen; wir
mußten die Georgier, die Armenier und die byzantinischen Griechen vertreiben ... Die
türkische Rasse ist sehr geduldig, aber wenn sie richtig verärgert ist wird sie zum brüllenden
Löwen und nichts kann sie mehr aufhalten. Laßt doch [die Kurden] die Armenier
fragen wer wir sind und dann sollen sie die passenden Schlüsse ziehen.176
Rassismus wurde so sehr unterstützt, schreibt McDowall, daß Kurde zu sein mit primitiv
und bäuerlich, mit Caliban gleichgesetzt wurde. Mit der Frage: Wo ist dein
Schwanz?, hatten Kinder aus der Oberschule in Kütahya mit ihrem Lehrer Mehmet
Altunakar ihren Spott getrieben. Derartige Beleidigungen gehörten für jeden exilierten
Kurden zum alltäglichen Leben. In den 60er Jahren führte ein entmenschlichender
anhaltender, unverhüllter Rassismus wie dieser dazu, daß die Akzeptanz, von einer Notwendigkeit
der Lösung [der kurdischen Frage] zu sprechen, immer größer wurde. Holt
die bewaffneten Kosaken oder die kirgisischen Emigranten herbei. Das wird unser Problem
ein für alle Mal lösen.177
Legt man die Definitionen der Internationalen Konvention über die Rechte der
indigenen Völker zugrunde, so sind diese rassistischen, staatlich sanktionierten Handlungen
als genozidal zu bewerten. Entmenschlichte Eigenschaften einer bedrohten Gruppe
zu propagieren, ist, Hirsch und Smith zufolge, ein deutliches Zeichen, daß die Gesellschaft
sich in eine genozidale Richtung bewegt. Sprache wird zum Indikator für eine
Verschiebung der normativen Ordnung und macht deutlich, daß die Scheu vor Massenmord
langsam dahin schwindet. Die Opfer werden durch die Entmenschlichung ihrer
Gruppenmitglieder auf den Untergang vorbereitet und geben den [Tätern] einen Freibrief
für den Völkermord in die Hände.178 Auch David Stannard kam zu dem Schluß,
daß solche Vorstellungen, ... einmal verinnerlicht, ... die psychologische Distanz erhöhen
und so kann, wie Christopher Browning es ausdrückt, der Feind leichter zum Objekt
gemacht und aus der Gemeinschaft derer ausgeschlossen werdeb, denen gegenüber man
zu menschlichem Verhalten verpflichtet ist. Massenmord und Ausrottung geraten so zu
einer akzeptablen Angelegenheit.179
Pressefreiheit gilt nicht für die Kurden.180 Die erste Publikation, die seit der Gründung
der türkischen Republik von einem kurdischen Volk sprach, Yeni Akis (Die Neue
Strömung), wurde 1966 eingestellt, nachdem die vierte Ausgabe in den Druck ging. Der
Herausgeber und einige andere kurdische Autoren, die versucht hatten, in Artikeln über
die Ausbildung sowie die kulturelle und politische Situation der Kurden zu berichten
(z.B. über kurdisch-türkische Wörterbücher, kurdische Alphabete, Romane und Aufsätze
die sich mit der kurdischen Frage befaßten) wurden ins Gefängnis gesteckt. Auch importierte
Schriften, in denen es um die kurdische Kultur ging, wurden verboten und auf
Befehl konfisziert.181 Organisationen und Gemeinschaften, die die politische Auseinan33
dersetzung mit der kurdischen Frage forderten und zur Wahrung der humanen und
kulturellen Grundrechte der Kurden aufriefen, wurden von CIA finanzierten, paramilitärischen
Gruppen gnadenlos terrorisiert.182 Autoren wie Musa Anter, Sait Elci und der
türkische Soziologe Ismail Besikci wurden ins Gefängnis gesteckt, weil sie kurdistische,
sprich pro-kurdische, Ansichten vertraten.183
1969 wurden türkische Kommandos, die von amerikanischen Spezialisten zur Bekämpfung
von Aufständen ausgebildet worden waren, in kurdische Gebiete geschickt.
Unter dem Vorwand, nach Waffen zu suchen, sollten sie dort die Einwohner terrorisieren.
184 Ihre Handlungen hatten offensichtlich die planmäßige Zerstörung der politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Strukturen einer Volksgruppe und ihre systematische Demoralisierung
zum Ziel Praktiken, die in dem Entwurf des Sekretariats der Vereinten
Nationen von 1947 eindeutig als genozidale Handlungen bezeichnet werden. McDowall
zufolge geschahen die Kommando Operationen mit der gleichen Willkür, Brutalität und
Folter wie vier Jahrzehnte zuvor, als die Repression in Kurdistan begann.185
In der Zeitschrift Devrim wurde ein Kommandoreport zitiert, in dem es um diese
antikurdischen Gewaltakte geht:
Seit Ende Januar haben militärische Spezialeinheiten (Kommandos) unter dem Vorwand,
Banditen zu jagen, einen Landkrieg in den Gebieten von Diyarbakir, Mardin,
Siirt und Hakkari begonnen. Jedes Dorf wird zu einer festgelegten Stunde umzingelt
und seine Bewohner werden zusammengetrieben. Männer und Frauen werden durch
die Truppen getrennt und zu Herausgabe ihrer Waffen aufgefordert. Diejenigen, die
behaupten keine Waffen zu besitzen, werden geschlagen oder man zwingt andere
Dorfbewohner, sich auf sie zu werfen. Männer und Frauen werden entkleidet und die
letzteren vergewaltigt. Viele starben während dieser Operationen, einige begingen Selbstmord.
Die nackten Männer und Frauen werden mit kalten Wasser übergossen und
ausgepeitscht. Oder man zwingt die Frauen, einen Strick um den Penis ihres Ehemannes
zu binden und ihn dann im Dorf herumzuführen. Auch Frauen müssen auf diese
Weise im Dorf herum marschieren. Die Dorfbewohner werden aufgefordert, die Truppen
mit Frauen zu versorgen. Wenn sie sich widersetzten, werden sie verprügelt.186
Kendal bestätigt, daß diese Aktionen, anderen Handlungen, die ebenfalls von USausgebildeten
Todeskommandos in El Salvador, Indonesien, Guatemala, Südvietnam und
Nicaragua verübt wurden, sehr ähnlich sind, und beschreibt sie wie folgt:
Ein Dorf wird von bewaffneten Fahrzeugen umstellt, Hubschrauber fliegen voraus;
alle Dorfbewohner werden ohne Begründung zusammengetrieben und in eigens dafür
vorbereitete Lager gebracht. Dann werden sie aufgefordert, ihre Waffen herauszugeben.
Wenn einer der Bauern behauptet, keine Waffen zu besitzen, wird er verprügelt
und gedemütigt. Die türkischen Truppen zwingen Männer und Frauen, sich auszuziehen;
oft vergewaltigen sie die Frauen. Verdächtige werden mit den Füßen nach oben
an Galgen gehangen. Es passiert auch, daß Frauen gezwungen werden, den nackten
Männern Stricke um die Genitalien zu binden und sie dann durch die Straßen zu
führen. Viele sterben unter der Folter. 187
34
Nach dem von den USA unterstützten Militärputsch von 1971188 verstärkten sich
solche Gewaltakte. Bestimmte Gruppen, darunter auch tausende Kurden, wurden in
Anti-Guerilla Zentren gefangengehalten und gefoltert, die von in Panama ausgebildeten
türkischen Offizieren errichtet worden waren. In Kurdistan wurden mehr als tausend
Menschen verhaftet, in ein Militärlager in Diyarbakir getrieben und dort gefangengehalten.
Fünfundsiebzig Prozent der Inhaftierten kamen aus der Landbevölkerung. Einige
wurden beschuldigt, der KDPT anzugehören, andere, eine separatistische Organisation
innerhalb der DDKO gebildet zu haben.189 Zürcher zufolge gab es zu jener Zeit weitverbreitete
Berichte über Folterungen, sowohl in Gefängnissen als auch in den sogenannten
Laboratorien, den Folterkammern der MIT.190 Diese Art der Bedrohung setzte sich
bis in die 70iger Jahre fort, auch unter der zivilen demokratischen Regierung:
In der weniger faschistischen Periode, die dem Militärputsch vom 12. März 1971
folgte, wurden die Aktivitäten der Kommandos beträchtlich verstärkt und gerieten zu
einer wahren Kurdenjagd. Diese Truppen arbeiteten sich sukzessiv durch die kurdischen
Provinzen vor; mehrere tausend Bauern wurden verfolgt, festgenommen und
gefoltert. Zwischen 1971 und 1973 verurteilte das Militärgericht von Diyarbakir
mehr als tausend kurdische Separatisten ... Unter Demirel ... nahmen die Kommandos
ihre Aktivitäten wieder auf ... und verstärkten ihre Operationen in Kurdistan.
Zwischen dem 31. März 1975 und dem 10. April 1976 wurden in kurdischen Städten
60 Menschen von der Staatspolizei und den faschistischen Milizen umgebracht.
Sogar unter dem demokratischen parlamentarischen Regime der späten siebziger Jahre
waren die Kommandos in Kurdistan aktiv. Im Oktober und Dezember 1975 patrouillierten
in der Grenzprovinz von Hakkari mehr als 10.000 Truppenmitglieder.191
McDowall zufolge haben verschiedene Faktoren dazu geführt, daß sogar noch Ende
1978 20 bis 30 Linke pro Tag von staatlich sanktionierten rechten Milizen und Armeesoldaten
im kurdischen Osten liquidiert wurden.192 Laut Berch Berberoglu verstärkten
sich die Angriffe der von der CIA ausgebildeten und ausgerüsteten Todeskommandos der
faschistischen Nationalen Aktionspartei (MHP) 1979.193 Poulton hält Demirel für mitschuldig,
da er einen Mann wie Türkes als Vize Premier zuließ, der eine paramilitärischen
Straßenkampf- Organisation anführte.194 Die Grauen Wölfe/Bozukutlar, oder Idealisten,
von der MHP inspirierten Todeskommandos, hatten von Türkes den Befehl erhalten,
die kommunistisch-kurdische Gefahr zu bekämpfen.195 In einem Bericht des türkischen
Innenministeriums und der Leitung der Sicherheit bezeichnete man sie als ideologisch
mit Hitlers Nazi Organisation verwandt.196 Die Ideologie der NAP war tatsächlich von
antikurdischen Inhalten geprägt. MHP Unterstützer zum Beispiel wurden in einer Parteibroschüre
von 1977 folgendermaßen instruiert:
Die Zerstörer [des Osmanischen Reichs] waren griechisch-armenisch-jüdische Konvertiten,
Kurden, Kaukasier, Bosnier und Albaner. Wie lange noch wollt ihr Türken
diese Minderheiten tolerieren? Werft den Kaukasier hinaus, er kann in den Kaukasus
gehen, werft den Armenier hinaus, werft den Kurden hinaus und tötet ihn, entfernt
den Feind des Türkentums aus unserer Mitte.197
9
Izady hat beschrieben, wie die marxistisch orientierte Kurdische Sozialistische Partei
der Türkei (TSPT) durch staatlich assoziierte Mechanismen bedroht wurde: Der Partei
Sekretär [der KSPT] lebt außerhalb der Türkei im Exil und viele Mitglieder wurden seit
der Gründung der Partei inhaftiert.198
Der Genozid an den Kurden in der Türkei Die Phase von 1980-1998
Der Militärputsch und seine Folgen
Seit dem von der NATO und den USA unterstützten Militärputsch von 1980199 wurde
die genozidale Politik gegen Kurden kontinuierlich fortgesetzt. Führende Autoren und
Menschenrechtsorganisationen unter anderen Ismail Besikçi, Yasar Kemal, Ismet Imset,
Bernice Reubens, Harold Pinter, Haluk Gerger, Article 19, Kurdish Human Rights Watch,
die UK Parliamentary Human Rights Group und der türkische Menschenrechtsverein
(IHD)- haben kategorisch erklärt, daß ein Völkermord an den Kurden im Gange ist.200 So
kam Article 19 zu folgendem Fazit:
Wir meinen, daß es inzwischen ausreichende Beweise gibt, die türkische Regierung
wegen grober Menschenrechtsverletzungen anzuklagen, dazu gehören die Verstöße
gegen die europäischen Menschenrechtskonvention, die UN-Konvention gegen Folter
und andere grausame, inhumane oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen,
gegen das UN Abkommen zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord sowie
Verstöße gegen weitere Konventionen, die die Türkei unterzeichnet hat.201
Mustafa Al Karadaghi, Direktor von Kurdish Human Rights Watch, hat erklärt:
Die türkische Armee ... führt, unter dem Deckmantel der Terroristenbekämpfung, ...
einen genozidalen Feldzug gegen die Kurden in der Türkei durch. Mit Terroristen
meinen die Machthaber die PKK. Die türkische Armee, ausgestattet mit 500.000
Soldaten und modernen amerikanischen Waffen, führt einen Krieg gegen die Kurden
mit dem offensichtlichen Ziel der ethnischen Säuberung, um sie aus ihrem angestammten
Gebieten zu vertreiben.202
Harold Pinter spricht von einer:
traurigen Parallele und Übereinstimmung zwischen der Situation in Osttimor und
der Situation in der Türkei hinsichtlich der Kurden. In beiden Fällen kann man von
Völkermord sprechen. Völkermord hat stattgefunden durch den Mord an Tausenden,
der totalen Verweigerung von Menschenrechten, brutaler Mißhandlungen der Bürger
des Landes, dem Schweigen der internationalen Presse, besonders der Presse, die wir als
demokratisch bezeichnen bzw. bezeichnen sollen.203
Der türkische Soziologe Ismail Besikci, der bis 1999 für Gesinnungsstraftaten im
Gefängnis saß, weil er gewagt hatte, das Wesen des kurdischen Völkermords zu herauszustellen,
hat dargelegt, daß heute wie zur Zeit der Militärjunta 1980-83 die Politik des
Staates und der Regierung nicht aufgehört hat, kurdisches Fernsehen, kurdische Bildung
und andere Rechte der Kurden als soziales Gefüge zu torpedieren ... Die türkische Repu36
blik wird ihre mörderische Politik nicht aufgeben, bis sie die kurdische Identität, Sprache,
Kultur und Geschichte ausgelöscht und durch abscheuliche Vorstellungen von
turanistischem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ersetzt hat.204
Diese genozidalen Prozesse und Strategien wurden laut Ismail Besikci seit 1980 auf
verschiedene Art und Weise planmäßig in Gang gesetzt. Es ist notwendig diese Prozesse zu
spezifizieren, zu verstehen und an die Öffentlichkeit zu bringen:
Die Zersplitterung und Vernichtung des kurdischen Volkes und die Annexion von
Kurdistan ist real. Die Vernichtung der armenischen und der assyrisch-aramäischen
Bevölkerung durch Verbannung und Völkermord ist real ... Die Zersplitterung, Vernichtung
und die Inbesitznahme des kurdischen Heimatlandes, Kurdistan, ist ein
Faktum ... Das Leugnen der kurdischen Identität, die Turkifizierung als systematische
Staatspolitik, der Einsatz aller möglichen Arten von Staatsterror physische Vernichtung
inbegriffen gegen jene, die darauf bestehen, Kurden zu bleiben, zeigt, daß ...
ein geheimer Völkermord vollzogen wird ...
Es werden Maßnahmen ergriffen, die dazu dienen Dörfer, Wälder, Getreidefelder,
Tabakplantagen und Bienenstöcke, also biologische Ressourcen, zu zerstören. Diese
Maßnahmen waren und sind dazu da, Menschen aus ihrer angestammten Heimat zu
vertreiben ... Meiner Meinung nach kommt ... man der Wahrheit sehr nahe, wenn man
(auch) ... die (verschiedenen) Maßnahmen dazurechnet, die einfach nur das Ziel der
Assimilation verfolgen. Es ist tatsächlich legitim und korrekt diese Politik ... und die
gewalttätige Entwurzelung und Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten
Umgebung als eine andere Form des Völkermords zu bezeichnen.205
Ähnliche Schlüsse wie Besikci zieht Haluk Gerger: Versuche der erzwungenen Assimilation
bestätigen nur, wie hartnäckig der Staat es ablehnt, sich mit der kurdischen Realität
auseinanderzusetzen ... Kurdische Kinder beginnen ihren Schulalltag mit der Erklärung,
daß sie stolz sind Türken zu sein und daß sie sich dem türkischen Leben in den Dienst
stellen wollen ... Wenn eine politische Partei die Existenz des kurdischen Volkes auch nur
erwähnt, muß sie mit dem sofortigen Verbot durch das Oberste Gericht rechnen ... Alle
friedlichen und demokratischen Kanäle, in denen [Kurden] über ihre Lage sprechen konnten,
wurden geschlossen. Die Regierung hat fast alle kurdischen oder pro-kurdischen
kulturellen und politischen Einheiten verboten oder versucht sie aufzulösen: Printmedien,
Verlagshäuser, Journalisten, Gewerkschaften, Bauernverbände und politische Parteien.
206
Gewalt und Krieg
Die Jahrzehnte des fortdauernden Krieges gegen die Kurden haben ihr eigenes Klientel
innerhalb des Establishments hervorgebracht. Der Krieg wird benutzt, um organisiertes
Verbrechen unter der Beteiligung von Sicherheitskräften, Staatsbeamten und Politikern
zu rechtfertigen. Die Mafia der Kriegsherren hat ein finanzielles Interesse an der Aufrechterhaltung
des Krieges.207 Imset zufolge wurde dieser Krieg auch weiter geführt, nachdem
1980 eine Militärjunta durch einen von der CIA und der NATO unterstützten Putsch an
die Macht gekommen war.208 Es gibt genügend Beweise, die dafür sprechen, daß ein
Sturz der Demokratie im Falle der Türkei den westlichen Interessen am Besten diente. Daß
37
auch die NATO dies erkannt hatte, kann nicht ernsthaft geleugnet werden.209 Die Militärjunta,
die von der US-Regierung und der NATO unterstützt wurde als es darum ging,
radikale und marxistisch-leninistische Gruppen und Verbände anzugreifen, verstärkte
ihre Maßnahmen gegen kurdische Vereinigungen.210
81.000 Kurden wurden zwischen September 1980 und September 1982 verhaftet.
Zwei Drittel der gesamten türkischen Armee wurde eingesetzt, um im Südosten des Kurdengebiets
das soziale Gefüge zu stören.211 1.790 mutmaßliche Mitglieder der illegalen Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) wurden festgenommen, darunter auch einige ihrer ZK-Mitglieder.
212 Eine barbarische Repression hatte darüber hinaus die Dezimierung anderer
kurdischer links-nationaler Parteien zu Folge.
Das Ausmaß der Gewalt gegen kurdische und andere als subversiv eingestufte kulturelle
und politische Gruppen während der Herrschaft der Militärjunta ist erschreckend:
Mit dem Putsch von 1980 begann auch eine landesweite Hetzjagd auf Verdächtige.
In der gesamten Türkei würde systematisch gefoltert, am häufigsten jedoch im Kurdengebiet
... Sogar 12jährige Schulkinder wurden verhaftet und geprügelt, um sie zu
Geständnissen zu zwingen. In der Zeit des Putsches wurden insgesamt 650.000 Menschen
festgenommen. Die meisten Verdächtigen wurden entweder geprügelt oder
gefoltert. Mehr als 500 Menschen starben während der Haft infolge der Folter. 85.000
Menschen wurden hauptsächlich im Zusammenhang mit Gesinnungs- oder
Organisationsstraftatbeständen vor Gericht gestellt. In Polizeiakten wurden offiziell
1.683.000 Menschen als Verdächtigte aufgelistet. 348.000 Türken und Kurden wurde
verboten, das Land zu verlassen. 15.509 Menschen verloren aus politischen Gründen
ihre Arbeit. 114.000 Bücher wurden konfisziert und verbrannt. 937 Filme wurden
verboten. 2.729 Schriftsteller, Übersetzer, Journalisten und Schauspieler wurden
vor Gericht gestellt, wegen Meinungsäußerungen.213
Darüber hinaus wurden Gesetze erlassen, die den kulturellen Völkermord an den
Kurden vorantreiben sollten. Mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 2932 im Oktober
1983 wurde die kurdische Sprache verboten. Kurdische Volkslieder durften nur noch auf
türkisch gesungen werden: Regelmäßig wurden exemplarische Strafen gegen Zuwiderhandelnde
verhängt.214 Neugeborene durften, dem Gesetz entsprechend, nur türkische
Namen erhalten. Einige Kinder mit kurdischen Namen mußten sie in türkische umändern.
Die Turkifizierung kurdischer Ortsnamen wurde vorangetrieben. 1986 waren bereits
2.842 von 3.524 Dörfern in Adiyaman, Gaziantep, Urfa, Mardin, Siirt und Diyarbakir
umbenannt worden.215 Sogar ein ehemaliger Abgeordneter und einstiges Mitglied der
Regierung Ecevit, Serafettin Elci, wurde im März 1981 von einem Militärgericht zu
einem Jahr Haftstrafe verurteilt, weil er in einem Interview bekannt hatte, daß es Kurden
in der Türkei gäbe. Ich bin auch Kurde hatte er erklärt.216
Es besteht kein Zweifel, daß sich nach dem Militärputsch vom 12. September 1980
die staatliche Verfolgung in einer Form gegen die Kurden und anderer Gruppen richtete,
die den von Lemkin genannten Kriterien für einen Genozid entspricht: die Zerschlagung
der politischen und sozialen Institutionen, der Kultur, der Sprache, des Nationalgefühls,
der Religion und des Wirtschaftslebens von Volksgruppen, die Vernichtung der persönlichen
Sicherheit, Freiheit, Gesundheit und Würde bis hin zur Tötung der Angehörigen
solcher Gruppen.
38
Auch nach der Rückkehr zur Demokratie 1983 kultureller Genozid
Auch nach der Rückkehr zu einer normalen demokratischen Zivilregierung wurde die
Gesetzgebung benutzt, um einen kulturellen Völkermord an den Kurden voranzutreiben.
Ragip Duran, Mitglied des redaktionellen Beratungsausschusses der Zeitung Demokrat
und ehemaliger Chefredakteur der verbotenen kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem,
schrieb: Die Veröffentlichung von Ideen, Erklärungen oder Überzeugungen aus kurdischer
Sicht von Wissenschaftlern, Parteiführern von legalen Parteien oder sogar der PKK
ist durch das Anti-Terror-Gesetz und die Artikel 159 und 132 des türkischen Strafgesetzbuches
verboten worden. Das Verbot hört hier jedoch nicht auf. Nach Ansicht von
Richtern und Staatsanwälten ist jede Erklärung, die darauf hinaus läuft, daß eine friedliche
politische oder demokratische Lösung der Kurdenfrage einer militärischen vorzuziehen
ist, den Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus abträglich. Demgemäß ist
ein Plädoyer für eine nichtmilitärische Lösung mit einer Straftat gleichzusetzen.217 Eine
Debatte oder Diskussion über den türkischen Staatsterror und den fortdauernden kurdischen
Völkermord wird demnach wie eine Aufforderung zu einem Strafverfahren behandelt.
Das Kurdistan Committee of Kanada beschreibt das de jure und de facto bestehende
System der Leugnung kurdischer Existenz in der Türkei wie folgt:
Aufgrund der [bestehenden] Gesetzgebung in der Türkei ist es verboten, Vereinigungen
zu gründen, die die kurdische Sprache oder Kultur fördern oder verbreiten, daß
Kurden in der Türkei leben und dort eine Minderheit bilden. Vereinigungen, die
solche Ziele verfolgen, können per Gerichtsbeschluß aufgelöst und ihre Mitglieder zu
1-3 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt werden. Darüber hinaus dürfen bereits existierende
Vereinigungen ihre Statuten nicht auf Kurdisch veröffentlichen. Es ist untersagt
kurdische Plakate, Publikationen oder Deklarationen während öffentlicher oder privater
Versammlungen zur Schau zu stellen. Kurden ist es nicht erlaubt, politische Parteien
zu gründen, um ihre Rechte zu verteidigen. Bereits bestehende politische Parteien ...
dürfen sich nicht für die Verteidigung der Rechte des kurdischen Volkes einsetzen. Sie
dürfen nicht die Überzeugung vertreten, daß es ein kurdisches Volk in der Türkei gibt,
das einen Anspruch auf die gleichen kulturellen und nationalen Rechte hat. Es ist
verboten Plakate, Publikationen oder Deklarationen in kurdischer Sprache zu veröffentlichen
...
Durch das Reisepaß-Gesetz Nr. 5682, Artikel 22/1 ist es tausenden kurdischen Intellektuellen
untersagt das Land zu verlassen. Es gibt türkische Verfassungsartikel, in
denen steht, daß Kurden sich nicht in ihrer eigenen Sprache ausdrücken dürfen, weil
dies oder auch die Verbreitung von Gedankengut in der kurdischen Sprache ein Angriff
auf die Einheit des Staates und seine territoriale Integrität bedeuten würde. Derartige
Handlungen werden in der Türkei als Separatismus angesehen ...
Nach dem derzeitigen türkischen Recht ist es der Staatsanwaltschaft und der Polizei
weiterhin erlaubt, kurdische Musikkassetten, Videos und Publikationen zu konfiszieren.
Die Begründung hierfür lautet, daß der Inhalt nicht verständlich sei und daher
illegales Material enthalten könne. Kurden dürfen keine Schulen einrichten oder Kurse
anbieten, in denen Kurdisch gelehrt wird. Das Gesetz Nr. 2923 ist immer noch in
Kraft. Es besagt, daß die Sprache der Kurden nicht Kurdisch sondern Türkisch ist.
39
Kurdisch sei eine Fremdsprache, weil sie in der Türkei nicht gesprochen würde. Durch
das Anti-Terror-Gesetz ist es weiterhin ein Verbrechen, seine Überzeugungen auf friedliche
Weise zum Ausdruck zu bringen. Dieses Gesetz hat zu der täglichen Beschlagnahme
von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und anderen Printmedien geführt. Verlegern,
Redakteuren und Korrespondenten wurde der Prozeß gemacht. Auf Grund
weiterer rechtlicher Beschränkungen ist es verboten, Publikationen über die Kurden
aus dem Ausland zu importieren. Der Ministerrat kann den Import von Publikationen
über die Kurden verbieten, ob deren Inhalt strafbar ist oder nicht.
Darüber hinaus dürfen Kurden in der Türkei keine Bühnenwerke, keine Videokassetten,
keine Musikstücke und keine Filme etc. produzieren. Wenn Produzenten oder Verleger
ein kurdisches Stück herausbringen wollen und beim Kultusministerium um Erlaubnis
fragen, müssen sie mit einer Ablehnung rechnen, weil das fragliche Werk die Integrität
des Staates gefährden würde. Bis heute gab es nur ein einziges kurdisches Werk,
das eine Produktionsgenehmigung erhielt, und das war ein auf Türkisch inszenierter
Film über eine kurdische Sage. Alle anderen kurdischen Werke, die keine Genehmigung
erhalten haben, können auf Anweisung der Polizei beschlagnahmt und vernichtet
werden. Kurden dürfen keine Radio- oder Fernsehstationen für ein kurdisches
Programm einrichten oder kurdische Werke über das türkische Radio oder Fernsehen
übertragen. Darüber hinaus gab es nie Radio- oder Fernsehnachrichten über die Kurden,
die der Wahrheit entsprechen, weil in der Türkei Nachrichten zensiert werden
können, die die territoriale und nationale Integrität des Staates in Gefahr bringen.218
Das Verbot und die Unterdrückung der kurdischen Sprache blieb auch nach der
Aufhebung des Sprachverbotsgesetzes im Jahr 1991 ein fester Bestandteil der staatlichen
Praxis.
Im Januar 1997 kam ein geheimes Memorandum an die Öffentlichkeit, das von Dr. Meral
Aksenir, der türkischen Innenministerin und Vorsitzenden des Krisen-Koordinations-Komitees
unterzeichnet wurde. Es heißt darin:
Das Ergreifen verwaltungsrechtlicher und sonstiger gesetzlicher Maßnahmen gegen
die Verbreitung der kurdischen Sprache, die Gründung von Forschungseinrichtungen
mit dem Ziel, die kurdische Sprache zu einer Wort- und Schriftsprache zu entwickeln,
sowie gegen alle, die versuchen, Ausbildung in Bezug auf Frontaktivitäten und kurdische
Sprach- und Schreibkurse zu betreiben.219
In Umsetzung der zahlreichen präventiven Maßnahmen in Akseners Memorandum
sind Journalisten und sogar die oftmals jugendlichen Handverkäufer von prokurdischen
Zeitungen zur Zielscheibe grausamer physischer Angriffe geworden. Berichten der UK
Parliamentary Human Rights Group und amnesty international zufolge, sind die präventiven
Maßnahmen politisch motivierter Kräfte gegen kurdische Zeitungsverkäufer mit
krankenhausreif schlagen oder Mord gleichzusetzen.220
Extralegale Hinrichtungen, Morde durch Todesschwadronen, Verschwindenlassen
Allein zwischen 1992 und 1994 wurden elf Vertreter der pro-kurdischen Zeitung und
Nachrichtenagentur Özgür Gündem umgebracht.221 Zeitschriftenverkäufer, darunter auch
40
12-jährige, wurden von politisch motivierten oder staatlich unterstützten Elementen der
Konterguerilla der Hizbullah zuzurechnenden Meuchelmördern getötet oder schwer verletzt.
Dabei kamen Schußwaffen, kemikkirans (lange Messer, die in alten Zeiten zum
Kämpfen benutzt wurden)222 und Fleischerbeile zu Einsatz.223 Mit ähnlich, präventiven
Taktiken wurde gegen kurdische Schriftsteller, Journalisten, Gewerkschaftler,
Menschenrechtler, Politiker und Vertretern von Hilfsorganisationen vorgegangen.
Imset zufolge wurden in den vergangenen Jahren mehr als 3.000 politisch motivierte
Angehörige der Kontraguerilla, Boz-Ok (Graue Pfeile) und Killer der Hizbullah gegen
kurdische Aktivsten und Organisatoren eingesetzt.224 Sechzig demokratische und prokurdische
Gewerkschaftler wurden seit 1990 von Todeskommandos ermordet, die in
enger Beziehung zur Regierung standen.225 Insgesamt wurden dreiundzwanzig Journalisten
pro-kurdischer Zeitungen umgebracht.226 Gultan Kisanak, Chefredakteur von
Demokrasi bestätigt: Wir haben Beweise dafür, daß die Sicherheitskräfte in viele Morde
direkt involviert waren.227
Politiker, darunter auch Mehmet Sincar, Abgeordneter der Demokratiepartei (DEP)
und prominente Intellektuelle wie Musa Anter, Gründungsmitglied der Arbeiterpartei
des Volkes (HEP), wurden ermordet. Hunderte Kurden sind dem Verschwindenlassen
zum Opfer gefallen. Auf den Zentralen politischer und kultureller kurdischer Organisationen
wurden Anschläge verübt.228 Am 3. Dezember 1994, lediglich vier Tage nach einem
vertraulichen Rundschreiben, in dem Premierministerin Tansu Çiller die Ministerien angewiesen
hatte, die notwendigen Schritte zu ergreifen, um die Verbreitung von bestimmten
Publikationen einzustellen, besonders die der [pro-kurdischen] Zeitung Özgür Ülke,
wurden die Büros dieser Zeitung in Istanbul und Ankara durch hochexplosive Sprengkörper
größtenteils zerstört. Ein Angestellter kam dabei ums Leben und 19 weitere wurden
verletzt.229
Extralegale Hinrichtungen sind in der Türkei an der Tagesordnung. Der militärische
Geheimdienst verfügt über ein Killerkommando. Der Geheimdienst hat sein eigenes
Killerkommando. Die Gendarmeriekräfte verfügen über eine große Killerkommando-
Organisation in Form einer eigenen Geheimpolizei. Es gibt eine paramilitärische Organisation,
die sich Türkische Vergeltungsorganisation nennt und mit dem militärischen
Geheimdienst in Verbindung steht. Die Hauptaufgaben dieser Organisation
sind Bombenanschläge und Massenmorde. Vor der türkischen Kommunalwahl am 20
März 1993 wurden 325 Kandidaten der Demokratiepartei (DEP) durch die zwielichtigen
Killerkommandos der Vergeltungsorganisation festgenommen. Sie töteten 70
Parteimitglieder, darunter der Abgeordnete Mehmet Sincar. Sie bombardierten 19 Filialen
der DEP. Am 18. Februar 1994 verübten sie Bombenanschläge auf die DEP
Zentrale in Ankara, wobei eine Person getötet und eine weitere verletzt wurde.230
Yasar Kaya, Präsident des Kurdischen Exilparlaments (KPE) berichtet: Die Arbeiterpartei
des Volkes, die Partei für Freiheit und Demokratie (OZDEP) und die Demokratiepartei
(DEP) wurden von der türkischen Regierung verboten. Vier der Parlamentsmitglieder
von DEP sind noch im Gefängnis. Alle leitenden Mitglieder der Volkspartei der
Demokratie (HADEP), der Nachfolgepartei von DEP, sind inhaftiert und warten auf
ihren Prozeß. Auch HADEP ist vom Verbot bedroht. Kurz gesagt, wir Kurden mußten
den höchsten Preis für die Demokratie bezahlen.231
41
Viele, die diesen Anschlägen entkommen konnten, wurden ins Gefängnis gesteckt
oder verbannt.232 Rechtsanwälte im Südosten wurden der Tod angedroht, wenn sie die
Region nicht verließen. Die Polizei setzte zwei Anwälte mit den folgenden Worten unter
Druck: Kommt nicht ... in dieses Gebiet wir wissen, daß ihr diese armenischen Bastarde
schützt. Kommt nicht wieder in dieses Gegend oder wir werden euch vernichten.233
Mehmet Isiklar, Vorstandsmitglied der KESK (Türkische Gewerkschaftsvereinigung Öffentlicher
Dienst) bestätigte: Während der letzten acht Monate hat die Regierung ein
langjährig praktiziertes Sanktionsinstrument verstärkt zum Einsatz gebracht: Strafversetzung
in den Westen der Türkei aufgrund des Ausnahmezustands im Südosten des Landes.
In diesem Jahr wurden bereits sechzig Gewerkschaftler aus Diyarbakir versetzt.234
Politisch motivierte Todeskommandos haben damit begonnen im europäischen Exil
lebende Kurden und Türken zu ermorden. Dazu Alf Lomas, Mitglied des Europaparlaments:
Der Europarat wird die Erklärung von Dogan Güres, dem türkischen Stabschef, zur
Kenntnis nehmen, daß 160 Killer nach Europa geschickt wurden, um kurdische
Aktivisten und ihre Unterstützer zu liquidieren [Bericht in Hürriyet 1994] ... In London
wurde der Versuch, Nafiz Bostanci, den Vorsitzenden des Londoner Halkevi
Community Centre, zu erschießen mit dem Türkischen Geheimdienst (MIT) in Verbindung
gebracht. Wird der Europarat die türkische Regierung davon in Kenntnis
setzen, daß er es nicht tolerieren wird, wenn ausländische Agenten extralegale Hinrichtungen
in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft vornehmen?235
Führende Politiker, der türkische Oberste Richter sowie militärische Regierungsvertreter
haben diese Gewaltakte legitimiert: Premierministerin Çiller hat sich dahingehend
geäußert, daß das Internationale Recht zum Schutz der Minderheiten für die [Kurden]
keine Gültigkeit besitzt. Der Oberste Richter ... teilte mit, daß es völlig legitim sei, wenn
die Regierung eine Strategie verfolge, bei der jeder, der innerhalb oder außerhalb der
Türkei die Haltung des Staates als menschenrechtsfeindlich bezeichnete, nicht mit gesetzlichen
Schutz vor Kontra-Guerillas, Todeskommandos, Gefängnisstrafen oder Polizeikontrollen
und Verhören rechnen könne ... Der Stellvertretende Generalstabschef, General
Ahmet Cörekci, hat in seiner Rede im Juli 1995 verlauten lassen, daß die Sperenzchen, die
im Lande um Menschenrechte und Demokratie gemacht werden, völlig ungerechtfertigt
wären ... es sei unvorstellbar, daß die Armee auch nur einen Gedanken daran verschwenden
würde, den Bürgern das Recht auf kurdische Sprachausbildung und kurdische Fernsehsender
einzuräumen. Ismet Imset, Kolumnist der verbotenen Zeitung Özgür Ülke,
bestätigt, daß diese Ansichten auch denen von Türkes entsprechen, dem verstorbenen
Führer der ultra-rechten Nationalen Aktionspartei. Türkes hatte als er an der Macht war,
offiziell erklärt, daß er nicht davor zurückschrecken würde, Blut zu vergießen, wenn es um
die Verweigerung der sozialen und kulturellen Rechte der Kurden ginge.236
Krieg, Massenvertreibung und Dorfzerstörungen
Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konfliktes zwischen staatlichen Sicherheitskräften
und der PKK wurden weitere Maßnahmen ergriffen, um die PKK zu liquidieren, die
kemalistischen Werte des Staates zu verteidigen und den Assimilierungsprozeß voranzu42
treiben. Dazu gehören das milliardenschwere kolonialistische Südostanatolienprojekt (GAP)
der türkischen Behörden und auch das kaspische Ölpipeline-Projekt.
Seit Anfang der 90er Jahre wurde in diesem Konflikt eine Strategie des totalen Krieges
verfolgt.237 Schätzungen der türkischen Regierung und des Militärs zufolge hat der
Staat seit 1984 über 83 Milliarden US-Dollar für diesen Krieg ausgegeben, nur, um eine
militärische Lösung für das Kurdenproblem zu finden.238 Die lukrative Tourismusindustrie
der Türkei hat sich zu einer wichtigen Einnahmequelle für den Krieg entwickelt.239
Zehntausende Kurden fanden in diesem Konflikt den Tod. Hunderttausende Soldaten,
unterstützt von Panzern, Helikoptern, Militärflugzeugen und Panzerwagen kamen
zum Einsatz. Gerger zufolge gab es verschiedene Gründe für die fortdauernde Gewalt
gegen kurdische kulturelle/politische Systeme: Das Regime ist ideologisch so strukturiert,
daß es die Konflikte und das Konzept der Feinde des Vaterlands, benötigt, um die innere
Ordnung zu wahren und den Vorwürfen einer unzufriedenen Masse zuvorzukommen.
Paranoia und Belagerungsängste werden gesät, um Xenophobie ernten zu können.240
In diesem Krieg wurde massiv die natürliche Umwelt zerstört und wieder zu dem
Mittel der Zwangsumsiedlung gegriffen. Türkische Truppen brannten den größten Teil
der kurdischen Waldgebiete nieder und zerstörten ländliche Siedlungen und Kleinstädte.
Yasar Kemal zufolge wurden allein in den letzten zehn Jahren über 12 Millionen Hektar
Wald niedergebrannt, davon allein 10 Millionen Hektar in Ostanatolien (dem kurdischen
Südosten). Es ist absolut unvorstellbar, daß ein Staat absichtlich Wälder niederbrennt.241
Das Magazin Aksiyon spricht von fünf Millionen Menschen, die durch die
Entvölkerungspolitik gewaltsam vertrieben wurden.242 Wie durch die türkische spezielle
Kriegsverordnung und das türkische Regierungsdekret Nr. 285 bekannt wurde, war
diese Entvölkerungspolitik von der Regierung ausdrücklich sanktioniert worden. Die spezielle
Kriegsverordnung, vom 17 September 1985, Die Interne Verbesserungsoperation
genannt, wurde von Hayri Ondul, dem Kommandanten des 7. Generalkorps Regiment,
unterzeichnet. Sie beinhaltet eine Politik der Zwangsumsiedlung, die gegen die Landbevölkerung
gerichtet ist. Mit einer Reihe von Euphemismen werden interne Operationen
beschrieben, die die kurdische Landbevölkerung vor der Infektion durch [PKK] Bazillen
schützen sollen. Sollte [die PKK] einer Gefangennahme entgehen, gibt es noch die Möglichkeit
die Qualität des Wassers zu ändern [was soviel heißt wie die ethnischen Eigenheiten
der Kurden zu ändern sowie die Zusammensetzung der Bevölkerung der Region].243
Darüber hinaus hatte die türkische Regierung per Dekret Nr. 285 vom 10. Juli 1987 ein
regionales Ausnahmezustandsgouvernement eingerichtet sowie einen regionalen
Ausnahmezustandsgouverneur eingesetzt, der sich gegenüber dem Innenministerium verantworten
mußte. Der Regionalgouverneur war auch bevollmächtigt, die [kurdischen]
Siedler zu evakuieren (Artikel 4h). Des weiteren wurde ihm und seinen Weisungsempfängern
Straffreiheit garantiert (Artikel 7).244
Einer Erklärung des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) zufolge, sind die Folgen
dieser Zwangsumsiedlungsmaßnahmen außer Kontrolle geraten. Kurden aller gesellschaftlichen
Klassen wurden evakuiert ... Die kurdische Bevölkerung, die von dieser neuen
Migrationswelle am stärksten betroffenen ist, hat kein Vertrauen in einen Staat, der unterdrückt,
foltert und deportiert. Dies ist sowohl ein kollektives als auch soziales Phänomen.
Der Staat vertreibt die Kurden aus ihren angestammten Gebieten und nimmt ihnen ihr
gesamtes Vermögen. Kurdische Immigranten, deren Familien zerstört wurden und die,
um ihr Leben zu retten, in die Städte geflohen sind, leben dort in Not und Elend. In der
43
Ausnahmezustandsregion wurden nach offiziellen türkischen Angaben 905 Dörfer und
2523 Weiler ganz oder teilweise evakuiert, zerstört und verbrannt.. In den darauffolgenden
Jahren war es ähnlich: 1993 waren es 874 Dörfer; 1994, 2.374 Dörfer und 1995
weitere 95. Dies wurde 1996 mit 2.500 Dörfern noch übertroffen.245 Mr. Cuco, Sonderberichterstatter
der Westeuropäischen Union, hat bei seinem letzten Türkeibesuch folgendes
beobachten können:
Die [Regierungs]politik, die die [kurdische] Bevölkerung aus ihren Bergdörfern und
Weilern zu vertreiben und ihre Behausungen zu zerstören sucht, wird weiterhin betrieben.
Ziel dieser Maßnahmen sei die Umsiedlung der Bergbevölkerung [sic] in kollektive
Dörfer, so der türkische Premierminister. Vom europäischen Siedlungsfonds wurden
der Türkei hierfür 227 Millionen US Dollar bewilligt.246
Dieser destruktive Prozeß dauert weiterhin an. Der türkische Menschenrechtsverein (IHD)
berichtet, daß:
Millionen unter den Folgen der Räumung ihrer Dörfer und den Zwangsvertreibungen
gelitten haben. Sie wurden aus Sicherheitsgründen zur Emigration gezwungen ohne
irgendwelche Zusicherungen. Diese Menschen hatten keine andere Wahl als unter
gesundheitschädigenden Bedingungen in armseligen Wohnverhältnissen in den Städten
der Region oder im Westen zu leben ... Militärs, Spezialeinheiten und Dorfschützer
haben Dörfer unter dem Vorwand räumen lassen, daß sie Operationen gegen die PKK
durchführen müssen. Während dieser Operationen wurden zivile Siedlungen absichtlich
von Luftwaffe und Bodentruppen bombardiert.
Weitere Menschen sahen sich gezwungen ihr Land zu verlassen, weil ihre Lebensgrundlagen
zerstört worden waren ... Das Verbot auf die Sommerweiden zu ziehen,
bedeutet, den Kurden eine wesentliche Lebensgrundlage zu entziehen. Die Menschen
in dieser Region verdienen ihr tägliches Brot durch die Viehzucht. Ein solches Verbot
fügt der Ökonomie in der Region einen unübersehbaren Schaden zu. Das Ergebnis ist,
daß vielen Familien nichts anderes übrig bleibt als auszuwandern.
Durch die Bombardements während der permanenten militärischen Operationen in
der Region, wurde darüber hinaus auch Ackerland zerstört. Die Felder können nicht
bestellt werden, da es gefährlich ist, während der militärischen Operationen auf dem
Lande zu arbeiten. Dorfschützer versuchen den Ertrag in Brand zu setzen, so daß es
keine Ernte gibt. Die Landwirtschaft wurde dadurch praktisch zum Erliegen gebracht.
Es ist eine weitere Art der Zwangsevakuierung. Wir sollten auch das partielle
Nahrungsmittelembargo erwähnen, das die Militärs verhängt haben ...
Die derzeitige Entvölkerungspolitik ... schließt alle kurdischen Siedlungen mit ein; sie hat
die totale Säuberung dieser Region zum Ziel ... die evakuierten Dörfer sollen nicht wieder
besiedelt werden. Der Gemeindebesitz wird zerstört und die evakuierten Einrichtungen
werden niedergebrannt, was ihre Neubesiedlung unmöglich macht. Die umgesiedelten
Bürger erhalten keine staatliche Unterstützung ... Millionen sind gezwungen in den Ghettos
der Großstädte unter gesundheitsschädigenden Umständen zu leben. Zu dieser Politik
gehört auch die Mißhandlung von Zivilisten. Folter, extralegale Hinrichtungen,
Verschwindenlassen in der Untersuchungshaft, sexueller Mißbrauch und Vergewaltigung
sind integrale Bestandteile dieser totalen Entvölkerungspolitik.
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9
Izady hat beschrieben, wie die marxistisch orientierte Kurdische Sozialistische Partei
der Türkei (TSPT) durch staatlich assoziierte Mechanismen bedroht wurde: Der Partei
Sekretär [der KSPT] lebt außerhalb der Türkei im Exil und viele Mitglieder wurden seit
der Gründung der Partei inhaftiert.198
Der Genozid an den Kurden in der Türkei Die Phase von 1980-1998
Der Militärputsch und seine Folgen
Seit dem von der NATO und den USA unterstützten Militärputsch von 1980199 wurde
die genozidale Politik gegen Kurden kontinuierlich fortgesetzt. Führende Autoren und
Menschenrechtsorganisationen unter anderen Ismail Besikçi, Yasar Kemal, Ismet Imset,
Bernice Reubens, Harold Pinter, Haluk Gerger, Article 19, Kurdish Human Rights Watch,
die UK Parliamentary Human Rights Group und der türkische Menschenrechtsverein
(IHD)- haben kategorisch erklärt, daß ein Völkermord an den Kurden im Gange ist.200 So
kam Article 19 zu folgendem Fazit:
Wir meinen, daß es inzwischen ausreichende Beweise gibt, die türkische Regierung
wegen grober Menschenrechtsverletzungen anzuklagen, dazu gehören die Verstöße
gegen die europäischen Menschenrechtskonvention, die UN-Konvention gegen Folter
und andere grausame, inhumane oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen,
gegen das UN Abkommen zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord sowie
Verstöße gegen weitere Konventionen, die die Türkei unterzeichnet hat.201
Mustafa Al Karadaghi, Direktor von Kurdish Human Rights Watch, hat erklärt:
Die türkische Armee ... führt, unter dem Deckmantel der Terroristenbekämpfung, ...
einen genozidalen Feldzug gegen die Kurden in der Türkei durch. Mit Terroristen
meinen die Machthaber die PKK. Die türkische Armee, ausgestattet mit 500.000
Soldaten und modernen amerikanischen Waffen, führt einen Krieg gegen die Kurden
mit dem offensichtlichen Ziel der ethnischen Säuberung, um sie aus ihrem angestammten
Gebieten zu vertreiben.202
Harold Pinter spricht von einer:
traurigen Parallele und Übereinstimmung zwischen der Situation in Osttimor und
der Situation in der Türkei hinsichtlich der Kurden. In beiden Fällen kann man von
Völkermord sprechen. Völkermord hat stattgefunden durch den Mord an Tausenden,
der totalen Verweigerung von Menschenrechten, brutaler Mißhandlungen der Bürger
des Landes, dem Schweigen der internationalen Presse, besonders der Presse, die wir als
demokratisch bezeichnen bzw. bezeichnen sollen.203
Der türkische Soziologe Ismail Besikci, der bis 1999 für Gesinnungsstraftaten im
Gefängnis saß, weil er gewagt hatte, das Wesen des kurdischen Völkermords zu herauszustellen,
hat dargelegt, daß heute wie zur Zeit der Militärjunta 1980-83 die Politik des
Staates und der Regierung nicht aufgehört hat, kurdisches Fernsehen, kurdische Bildung
und andere Rechte der Kurden als soziales Gefüge zu torpedieren ... Die türkische Repu36
blik wird ihre mörderische Politik nicht aufgeben, bis sie die kurdische Identität, Sprache,
Kultur und Geschichte ausgelöscht und durch abscheuliche Vorstellungen von
turanistischem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ersetzt hat.204
Diese genozidalen Prozesse und Strategien wurden laut Ismail Besikci seit 1980 auf
verschiedene Art und Weise planmäßig in Gang gesetzt. Es ist notwendig diese Prozesse zu
spezifizieren, zu verstehen und an die Öffentlichkeit zu bringen:
Die Zersplitterung und Vernichtung des kurdischen Volkes und die Annexion von
Kurdistan ist real. Die Vernichtung der armenischen und der assyrisch-aramäischen
Bevölkerung durch Verbannung und Völkermord ist real ... Die Zersplitterung, Vernichtung
und die Inbesitznahme des kurdischen Heimatlandes, Kurdistan, ist ein
Faktum ... Das Leugnen der kurdischen Identität, die Turkifizierung als systematische
Staatspolitik, der Einsatz aller möglichen Arten von Staatsterror physische Vernichtung
inbegriffen gegen jene, die darauf bestehen, Kurden zu bleiben, zeigt, daß ...
ein geheimer Völkermord vollzogen wird ...
Es werden Maßnahmen ergriffen, die dazu dienen Dörfer, Wälder, Getreidefelder,
Tabakplantagen und Bienenstöcke, also biologische Ressourcen, zu zerstören. Diese
Maßnahmen waren und sind dazu da, Menschen aus ihrer angestammten Heimat zu
vertreiben ... Meiner Meinung nach kommt ... man der Wahrheit sehr nahe, wenn man
(auch) ... die (verschiedenen) Maßnahmen dazurechnet, die einfach nur das Ziel der
Assimilation verfolgen. Es ist tatsächlich legitim und korrekt diese Politik ... und die
gewalttätige Entwurzelung und Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten
Umgebung als eine andere Form des Völkermords zu bezeichnen.205
Ähnliche Schlüsse wie Besikci zieht Haluk Gerger: Versuche der erzwungenen Assimilation
bestätigen nur, wie hartnäckig der Staat es ablehnt, sich mit der kurdischen Realität
auseinanderzusetzen ... Kurdische Kinder beginnen ihren Schulalltag mit der Erklärung,
daß sie stolz sind Türken zu sein und daß sie sich dem türkischen Leben in den Dienst
stellen wollen ... Wenn eine politische Partei die Existenz des kurdischen Volkes auch nur
erwähnt, muß sie mit dem sofortigen Verbot durch das Oberste Gericht rechnen ... Alle
friedlichen und demokratischen Kanäle, in denen [Kurden] über ihre Lage sprechen konnten,
wurden geschlossen. Die Regierung hat fast alle kurdischen oder pro-kurdischen
kulturellen und politischen Einheiten verboten oder versucht sie aufzulösen: Printmedien,
Verlagshäuser, Journalisten, Gewerkschaften, Bauernverbände und politische Parteien.
206
Gewalt und Krieg
Die Jahrzehnte des fortdauernden Krieges gegen die Kurden haben ihr eigenes Klientel
innerhalb des Establishments hervorgebracht. Der Krieg wird benutzt, um organisiertes
Verbrechen unter der Beteiligung von Sicherheitskräften, Staatsbeamten und Politikern
zu rechtfertigen. Die Mafia der Kriegsherren hat ein finanzielles Interesse an der Aufrechterhaltung
des Krieges.207 Imset zufolge wurde dieser Krieg auch weiter geführt, nachdem
1980 eine Militärjunta durch einen von der CIA und der NATO unterstützten Putsch an
die Macht gekommen war.208 Es gibt genügend Beweise, die dafür sprechen, daß ein
Sturz der Demokratie im Falle der Türkei den westlichen Interessen am Besten diente. Daß
37
auch die NATO dies erkannt hatte, kann nicht ernsthaft geleugnet werden.209 Die Militärjunta,
die von der US-Regierung und der NATO unterstützt wurde als es darum ging,
radikale und marxistisch-leninistische Gruppen und Verbände anzugreifen, verstärkte
ihre Maßnahmen gegen kurdische Vereinigungen.210
81.000 Kurden wurden zwischen September 1980 und September 1982 verhaftet.
Zwei Drittel der gesamten türkischen Armee wurde eingesetzt, um im Südosten des Kurdengebiets
das soziale Gefüge zu stören.211 1.790 mutmaßliche Mitglieder der illegalen Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) wurden festgenommen, darunter auch einige ihrer ZK-Mitglieder.
212 Eine barbarische Repression hatte darüber hinaus die Dezimierung anderer
kurdischer links-nationaler Parteien zu Folge.
Das Ausmaß der Gewalt gegen kurdische und andere als subversiv eingestufte kulturelle
und politische Gruppen während der Herrschaft der Militärjunta ist erschreckend:
Mit dem Putsch von 1980 begann auch eine landesweite Hetzjagd auf Verdächtige.
In der gesamten Türkei würde systematisch gefoltert, am häufigsten jedoch im Kurdengebiet
... Sogar 12jährige Schulkinder wurden verhaftet und geprügelt, um sie zu
Geständnissen zu zwingen. In der Zeit des Putsches wurden insgesamt 650.000 Menschen
festgenommen. Die meisten Verdächtigen wurden entweder geprügelt oder
gefoltert. Mehr als 500 Menschen starben während der Haft infolge der Folter. 85.000
Menschen wurden hauptsächlich im Zusammenhang mit Gesinnungs- oder
Organisationsstraftatbeständen vor Gericht gestellt. In Polizeiakten wurden offiziell
1.683.000 Menschen als Verdächtigte aufgelistet. 348.000 Türken und Kurden wurde
verboten, das Land zu verlassen. 15.509 Menschen verloren aus politischen Gründen
ihre Arbeit. 114.000 Bücher wurden konfisziert und verbrannt. 937 Filme wurden
verboten. 2.729 Schriftsteller, Übersetzer, Journalisten und Schauspieler wurden
vor Gericht gestellt, wegen Meinungsäußerungen.213
Darüber hinaus wurden Gesetze erlassen, die den kulturellen Völkermord an den
Kurden vorantreiben sollten. Mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 2932 im Oktober
1983 wurde die kurdische Sprache verboten. Kurdische Volkslieder durften nur noch auf
türkisch gesungen werden: Regelmäßig wurden exemplarische Strafen gegen Zuwiderhandelnde
verhängt.214 Neugeborene durften, dem Gesetz entsprechend, nur türkische
Namen erhalten. Einige Kinder mit kurdischen Namen mußten sie in türkische umändern.
Die Turkifizierung kurdischer Ortsnamen wurde vorangetrieben. 1986 waren bereits
2.842 von 3.524 Dörfern in Adiyaman, Gaziantep, Urfa, Mardin, Siirt und Diyarbakir
umbenannt worden.215 Sogar ein ehemaliger Abgeordneter und einstiges Mitglied der
Regierung Ecevit, Serafettin Elci, wurde im März 1981 von einem Militärgericht zu
einem Jahr Haftstrafe verurteilt, weil er in einem Interview bekannt hatte, daß es Kurden
in der Türkei gäbe. Ich bin auch Kurde hatte er erklärt.216
Es besteht kein Zweifel, daß sich nach dem Militärputsch vom 12. September 1980
die staatliche Verfolgung in einer Form gegen die Kurden und anderer Gruppen richtete,
die den von Lemkin genannten Kriterien für einen Genozid entspricht: die Zerschlagung
der politischen und sozialen Institutionen, der Kultur, der Sprache, des Nationalgefühls,
der Religion und des Wirtschaftslebens von Volksgruppen, die Vernichtung der persönlichen
Sicherheit, Freiheit, Gesundheit und Würde bis hin zur Tötung der Angehörigen
solcher Gruppen.
38
Auch nach der Rückkehr zur Demokratie 1983 kultureller Genozid
Auch nach der Rückkehr zu einer normalen demokratischen Zivilregierung wurde die
Gesetzgebung benutzt, um einen kulturellen Völkermord an den Kurden voranzutreiben.
Ragip Duran, Mitglied des redaktionellen Beratungsausschusses der Zeitung Demokrat
und ehemaliger Chefredakteur der verbotenen kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem,
schrieb: Die Veröffentlichung von Ideen, Erklärungen oder Überzeugungen aus kurdischer
Sicht von Wissenschaftlern, Parteiführern von legalen Parteien oder sogar der PKK
ist durch das Anti-Terror-Gesetz und die Artikel 159 und 132 des türkischen Strafgesetzbuches
verboten worden. Das Verbot hört hier jedoch nicht auf. Nach Ansicht von
Richtern und Staatsanwälten ist jede Erklärung, die darauf hinaus läuft, daß eine friedliche
politische oder demokratische Lösung der Kurdenfrage einer militärischen vorzuziehen
ist, den Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus abträglich. Demgemäß ist
ein Plädoyer für eine nichtmilitärische Lösung mit einer Straftat gleichzusetzen.217 Eine
Debatte oder Diskussion über den türkischen Staatsterror und den fortdauernden kurdischen
Völkermord wird demnach wie eine Aufforderung zu einem Strafverfahren behandelt.
Das Kurdistan Committee of Kanada beschreibt das de jure und de facto bestehende
System der Leugnung kurdischer Existenz in der Türkei wie folgt:
Aufgrund der [bestehenden] Gesetzgebung in der Türkei ist es verboten, Vereinigungen
zu gründen, die die kurdische Sprache oder Kultur fördern oder verbreiten, daß
Kurden in der Türkei leben und dort eine Minderheit bilden. Vereinigungen, die
solche Ziele verfolgen, können per Gerichtsbeschluß aufgelöst und ihre Mitglieder zu
1-3 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt werden. Darüber hinaus dürfen bereits existierende
Vereinigungen ihre Statuten nicht auf Kurdisch veröffentlichen. Es ist untersagt
kurdische Plakate, Publikationen oder Deklarationen während öffentlicher oder privater
Versammlungen zur Schau zu stellen. Kurden ist es nicht erlaubt, politische Parteien
zu gründen, um ihre Rechte zu verteidigen. Bereits bestehende politische Parteien ...
dürfen sich nicht für die Verteidigung der Rechte des kurdischen Volkes einsetzen. Sie
dürfen nicht die Überzeugung vertreten, daß es ein kurdisches Volk in der Türkei gibt,
das einen Anspruch auf die gleichen kulturellen und nationalen Rechte hat. Es ist
verboten Plakate, Publikationen oder Deklarationen in kurdischer Sprache zu veröffentlichen
...
Durch das Reisepaß-Gesetz Nr. 5682, Artikel 22/1 ist es tausenden kurdischen Intellektuellen
untersagt das Land zu verlassen. Es gibt türkische Verfassungsartikel, in
denen steht, daß Kurden sich nicht in ihrer eigenen Sprache ausdrücken dürfen, weil
dies oder auch die Verbreitung von Gedankengut in der kurdischen Sprache ein Angriff
auf die Einheit des Staates und seine territoriale Integrität bedeuten würde. Derartige
Handlungen werden in der Türkei als Separatismus angesehen ...
Nach dem derzeitigen türkischen Recht ist es der Staatsanwaltschaft und der Polizei
weiterhin erlaubt, kurdische Musikkassetten, Videos und Publikationen zu konfiszieren.
Die Begründung hierfür lautet, daß der Inhalt nicht verständlich sei und daher
illegales Material enthalten könne. Kurden dürfen keine Schulen einrichten oder Kurse
anbieten, in denen Kurdisch gelehrt wird. Das Gesetz Nr. 2923 ist immer noch in
Kraft. Es besagt, daß die Sprache der Kurden nicht Kurdisch sondern Türkisch ist.
39
Kurdisch sei eine Fremdsprache, weil sie in der Türkei nicht gesprochen würde. Durch
das Anti-Terror-Gesetz ist es weiterhin ein Verbrechen, seine Überzeugungen auf friedliche
Weise zum Ausdruck zu bringen. Dieses Gesetz hat zu der täglichen Beschlagnahme
von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und anderen Printmedien geführt. Verlegern,
Redakteuren und Korrespondenten wurde der Prozeß gemacht. Auf Grund
weiterer rechtlicher Beschränkungen ist es verboten, Publikationen über die Kurden
aus dem Ausland zu importieren. Der Ministerrat kann den Import von Publikationen
über die Kurden verbieten, ob deren Inhalt strafbar ist oder nicht.
Darüber hinaus dürfen Kurden in der Türkei keine Bühnenwerke, keine Videokassetten,
keine Musikstücke und keine Filme etc. produzieren. Wenn Produzenten oder Verleger
ein kurdisches Stück herausbringen wollen und beim Kultusministerium um Erlaubnis
fragen, müssen sie mit einer Ablehnung rechnen, weil das fragliche Werk die Integrität
des Staates gefährden würde. Bis heute gab es nur ein einziges kurdisches Werk,
das eine Produktionsgenehmigung erhielt, und das war ein auf Türkisch inszenierter
Film über eine kurdische Sage. Alle anderen kurdischen Werke, die keine Genehmigung
erhalten haben, können auf Anweisung der Polizei beschlagnahmt und vernichtet
werden. Kurden dürfen keine Radio- oder Fernsehstationen für ein kurdisches
Programm einrichten oder kurdische Werke über das türkische Radio oder Fernsehen
übertragen. Darüber hinaus gab es nie Radio- oder Fernsehnachrichten über die Kurden,
die der Wahrheit entsprechen, weil in der Türkei Nachrichten zensiert werden
können, die die territoriale und nationale Integrität des Staates in Gefahr bringen.218
Das Verbot und die Unterdrückung der kurdischen Sprache blieb auch nach der
Aufhebung des Sprachverbotsgesetzes im Jahr 1991 ein fester Bestandteil der staatlichen
Praxis.
Im Januar 1997 kam ein geheimes Memorandum an die Öffentlichkeit, das von Dr. Meral
Aksenir, der türkischen Innenministerin und Vorsitzenden des Krisen-Koordinations-Komitees
unterzeichnet wurde. Es heißt darin:
Das Ergreifen verwaltungsrechtlicher und sonstiger gesetzlicher Maßnahmen gegen
die Verbreitung der kurdischen Sprache, die Gründung von Forschungseinrichtungen
mit dem Ziel, die kurdische Sprache zu einer Wort- und Schriftsprache zu entwickeln,
sowie gegen alle, die versuchen, Ausbildung in Bezug auf Frontaktivitäten und kurdische
Sprach- und Schreibkurse zu betreiben.219
In Umsetzung der zahlreichen präventiven Maßnahmen in Akseners Memorandum
sind Journalisten und sogar die oftmals jugendlichen Handverkäufer von prokurdischen
Zeitungen zur Zielscheibe grausamer physischer Angriffe geworden. Berichten der UK
Parliamentary Human Rights Group und amnesty international zufolge, sind die präventiven
Maßnahmen politisch motivierter Kräfte gegen kurdische Zeitungsverkäufer mit
krankenhausreif schlagen oder Mord gleichzusetzen.220
Extralegale Hinrichtungen, Morde durch Todesschwadronen, Verschwindenlassen
Allein zwischen 1992 und 1994 wurden elf Vertreter der pro-kurdischen Zeitung und
Nachrichtenagentur Özgür Gündem umgebracht.221 Zeitschriftenverkäufer, darunter auch
40
12-jährige, wurden von politisch motivierten oder staatlich unterstützten Elementen der
Konterguerilla der Hizbullah zuzurechnenden Meuchelmördern getötet oder schwer verletzt.
Dabei kamen Schußwaffen, kemikkirans (lange Messer, die in alten Zeiten zum
Kämpfen benutzt wurden)222 und Fleischerbeile zu Einsatz.223 Mit ähnlich, präventiven
Taktiken wurde gegen kurdische Schriftsteller, Journalisten, Gewerkschaftler,
Menschenrechtler, Politiker und Vertretern von Hilfsorganisationen vorgegangen.
Imset zufolge wurden in den vergangenen Jahren mehr als 3.000 politisch motivierte
Angehörige der Kontraguerilla, Boz-Ok (Graue Pfeile) und Killer der Hizbullah gegen
kurdische Aktivsten und Organisatoren eingesetzt.224 Sechzig demokratische und prokurdische
Gewerkschaftler wurden seit 1990 von Todeskommandos ermordet, die in
enger Beziehung zur Regierung standen.225 Insgesamt wurden dreiundzwanzig Journalisten
pro-kurdischer Zeitungen umgebracht.226 Gultan Kisanak, Chefredakteur von
Demokrasi bestätigt: Wir haben Beweise dafür, daß die Sicherheitskräfte in viele Morde
direkt involviert waren.227
Politiker, darunter auch Mehmet Sincar, Abgeordneter der Demokratiepartei (DEP)
und prominente Intellektuelle wie Musa Anter, Gründungsmitglied der Arbeiterpartei
des Volkes (HEP), wurden ermordet. Hunderte Kurden sind dem Verschwindenlassen
zum Opfer gefallen. Auf den Zentralen politischer und kultureller kurdischer Organisationen
wurden Anschläge verübt.228 Am 3. Dezember 1994, lediglich vier Tage nach einem
vertraulichen Rundschreiben, in dem Premierministerin Tansu Çiller die Ministerien angewiesen
hatte, die notwendigen Schritte zu ergreifen, um die Verbreitung von bestimmten
Publikationen einzustellen, besonders die der [pro-kurdischen] Zeitung Özgür Ülke,
wurden die Büros dieser Zeitung in Istanbul und Ankara durch hochexplosive Sprengkörper
größtenteils zerstört. Ein Angestellter kam dabei ums Leben und 19 weitere wurden
verletzt.229
Extralegale Hinrichtungen sind in der Türkei an der Tagesordnung. Der militärische
Geheimdienst verfügt über ein Killerkommando. Der Geheimdienst hat sein eigenes
Killerkommando. Die Gendarmeriekräfte verfügen über eine große Killerkommando-
Organisation in Form einer eigenen Geheimpolizei. Es gibt eine paramilitärische Organisation,
die sich Türkische Vergeltungsorganisation nennt und mit dem militärischen
Geheimdienst in Verbindung steht. Die Hauptaufgaben dieser Organisation
sind Bombenanschläge und Massenmorde. Vor der türkischen Kommunalwahl am 20
März 1993 wurden 325 Kandidaten der Demokratiepartei (DEP) durch die zwielichtigen
Killerkommandos der Vergeltungsorganisation festgenommen. Sie töteten 70
Parteimitglieder, darunter der Abgeordnete Mehmet Sincar. Sie bombardierten 19 Filialen
der DEP. Am 18. Februar 1994 verübten sie Bombenanschläge auf die DEP
Zentrale in Ankara, wobei eine Person getötet und eine weitere verletzt wurde.230
Yasar Kaya, Präsident des Kurdischen Exilparlaments (KPE) berichtet: Die Arbeiterpartei
des Volkes, die Partei für Freiheit und Demokratie (OZDEP) und die Demokratiepartei
(DEP) wurden von der türkischen Regierung verboten. Vier der Parlamentsmitglieder
von DEP sind noch im Gefängnis. Alle leitenden Mitglieder der Volkspartei der
Demokratie (HADEP), der Nachfolgepartei von DEP, sind inhaftiert und warten auf
ihren Prozeß. Auch HADEP ist vom Verbot bedroht. Kurz gesagt, wir Kurden mußten
den höchsten Preis für die Demokratie bezahlen.231
41
Viele, die diesen Anschlägen entkommen konnten, wurden ins Gefängnis gesteckt
oder verbannt.232 Rechtsanwälte im Südosten wurden der Tod angedroht, wenn sie die
Region nicht verließen. Die Polizei setzte zwei Anwälte mit den folgenden Worten unter
Druck: Kommt nicht ... in dieses Gebiet wir wissen, daß ihr diese armenischen Bastarde
schützt. Kommt nicht wieder in dieses Gegend oder wir werden euch vernichten.233
Mehmet Isiklar, Vorstandsmitglied der KESK (Türkische Gewerkschaftsvereinigung Öffentlicher
Dienst) bestätigte: Während der letzten acht Monate hat die Regierung ein
langjährig praktiziertes Sanktionsinstrument verstärkt zum Einsatz gebracht: Strafversetzung
in den Westen der Türkei aufgrund des Ausnahmezustands im Südosten des Landes.
In diesem Jahr wurden bereits sechzig Gewerkschaftler aus Diyarbakir versetzt.234
Politisch motivierte Todeskommandos haben damit begonnen im europäischen Exil
lebende Kurden und Türken zu ermorden. Dazu Alf Lomas, Mitglied des Europaparlaments:
Der Europarat wird die Erklärung von Dogan Güres, dem türkischen Stabschef, zur
Kenntnis nehmen, daß 160 Killer nach Europa geschickt wurden, um kurdische
Aktivisten und ihre Unterstützer zu liquidieren [Bericht in Hürriyet 1994] ... In London
wurde der Versuch, Nafiz Bostanci, den Vorsitzenden des Londoner Halkevi
Community Centre, zu erschießen mit dem Türkischen Geheimdienst (MIT) in Verbindung
gebracht. Wird der Europarat die türkische Regierung davon in Kenntnis
setzen, daß er es nicht tolerieren wird, wenn ausländische Agenten extralegale Hinrichtungen
in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft vornehmen?235
Führende Politiker, der türkische Oberste Richter sowie militärische Regierungsvertreter
haben diese Gewaltakte legitimiert: Premierministerin Çiller hat sich dahingehend
geäußert, daß das Internationale Recht zum Schutz der Minderheiten für die [Kurden]
keine Gültigkeit besitzt. Der Oberste Richter ... teilte mit, daß es völlig legitim sei, wenn
die Regierung eine Strategie verfolge, bei der jeder, der innerhalb oder außerhalb der
Türkei die Haltung des Staates als menschenrechtsfeindlich bezeichnete, nicht mit gesetzlichen
Schutz vor Kontra-Guerillas, Todeskommandos, Gefängnisstrafen oder Polizeikontrollen
und Verhören rechnen könne ... Der Stellvertretende Generalstabschef, General
Ahmet Cörekci, hat in seiner Rede im Juli 1995 verlauten lassen, daß die Sperenzchen, die
im Lande um Menschenrechte und Demokratie gemacht werden, völlig ungerechtfertigt
wären ... es sei unvorstellbar, daß die Armee auch nur einen Gedanken daran verschwenden
würde, den Bürgern das Recht auf kurdische Sprachausbildung und kurdische Fernsehsender
einzuräumen. Ismet Imset, Kolumnist der verbotenen Zeitung Özgür Ülke,
bestätigt, daß diese Ansichten auch denen von Türkes entsprechen, dem verstorbenen
Führer der ultra-rechten Nationalen Aktionspartei. Türkes hatte als er an der Macht war,
offiziell erklärt, daß er nicht davor zurückschrecken würde, Blut zu vergießen, wenn es um
die Verweigerung der sozialen und kulturellen Rechte der Kurden ginge.236
Krieg, Massenvertreibung und Dorfzerstörungen
Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konfliktes zwischen staatlichen Sicherheitskräften
und der PKK wurden weitere Maßnahmen ergriffen, um die PKK zu liquidieren, die
kemalistischen Werte des Staates zu verteidigen und den Assimilierungsprozeß voranzu42
treiben. Dazu gehören das milliardenschwere kolonialistische Südostanatolienprojekt (GAP)
der türkischen Behörden und auch das kaspische Ölpipeline-Projekt.
Seit Anfang der 90er Jahre wurde in diesem Konflikt eine Strategie des totalen Krieges
verfolgt.237 Schätzungen der türkischen Regierung und des Militärs zufolge hat der
Staat seit 1984 über 83 Milliarden US-Dollar für diesen Krieg ausgegeben, nur, um eine
militärische Lösung für das Kurdenproblem zu finden.238 Die lukrative Tourismusindustrie
der Türkei hat sich zu einer wichtigen Einnahmequelle für den Krieg entwickelt.239
Zehntausende Kurden fanden in diesem Konflikt den Tod. Hunderttausende Soldaten,
unterstützt von Panzern, Helikoptern, Militärflugzeugen und Panzerwagen kamen
zum Einsatz. Gerger zufolge gab es verschiedene Gründe für die fortdauernde Gewalt
gegen kurdische kulturelle/politische Systeme: Das Regime ist ideologisch so strukturiert,
daß es die Konflikte und das Konzept der Feinde des Vaterlands, benötigt, um die innere
Ordnung zu wahren und den Vorwürfen einer unzufriedenen Masse zuvorzukommen.
Paranoia und Belagerungsängste werden gesät, um Xenophobie ernten zu können.240
In diesem Krieg wurde massiv die natürliche Umwelt zerstört und wieder zu dem
Mittel der Zwangsumsiedlung gegriffen. Türkische Truppen brannten den größten Teil
der kurdischen Waldgebiete nieder und zerstörten ländliche Siedlungen und Kleinstädte.
Yasar Kemal zufolge wurden allein in den letzten zehn Jahren über 12 Millionen Hektar
Wald niedergebrannt, davon allein 10 Millionen Hektar in Ostanatolien (dem kurdischen
Südosten). Es ist absolut unvorstellbar, daß ein Staat absichtlich Wälder niederbrennt.241
Das Magazin Aksiyon spricht von fünf Millionen Menschen, die durch die
Entvölkerungspolitik gewaltsam vertrieben wurden.242 Wie durch die türkische spezielle
Kriegsverordnung und das türkische Regierungsdekret Nr. 285 bekannt wurde, war
diese Entvölkerungspolitik von der Regierung ausdrücklich sanktioniert worden. Die spezielle
Kriegsverordnung, vom 17 September 1985, Die Interne Verbesserungsoperation
genannt, wurde von Hayri Ondul, dem Kommandanten des 7. Generalkorps Regiment,
unterzeichnet. Sie beinhaltet eine Politik der Zwangsumsiedlung, die gegen die Landbevölkerung
gerichtet ist. Mit einer Reihe von Euphemismen werden interne Operationen
beschrieben, die die kurdische Landbevölkerung vor der Infektion durch [PKK] Bazillen
schützen sollen. Sollte [die PKK] einer Gefangennahme entgehen, gibt es noch die Möglichkeit
die Qualität des Wassers zu ändern [was soviel heißt wie die ethnischen Eigenheiten
der Kurden zu ändern sowie die Zusammensetzung der Bevölkerung der Region].243
Darüber hinaus hatte die türkische Regierung per Dekret Nr. 285 vom 10. Juli 1987 ein
regionales Ausnahmezustandsgouvernement eingerichtet sowie einen regionalen
Ausnahmezustandsgouverneur eingesetzt, der sich gegenüber dem Innenministerium verantworten
mußte. Der Regionalgouverneur war auch bevollmächtigt, die [kurdischen]
Siedler zu evakuieren (Artikel 4h). Des weiteren wurde ihm und seinen Weisungsempfängern
Straffreiheit garantiert (Artikel 7).244
Einer Erklärung des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) zufolge, sind die Folgen
dieser Zwangsumsiedlungsmaßnahmen außer Kontrolle geraten. Kurden aller gesellschaftlichen
Klassen wurden evakuiert ... Die kurdische Bevölkerung, die von dieser neuen
Migrationswelle am stärksten betroffenen ist, hat kein Vertrauen in einen Staat, der unterdrückt,
foltert und deportiert. Dies ist sowohl ein kollektives als auch soziales Phänomen.
Der Staat vertreibt die Kurden aus ihren angestammten Gebieten und nimmt ihnen ihr
gesamtes Vermögen. Kurdische Immigranten, deren Familien zerstört wurden und die,
um ihr Leben zu retten, in die Städte geflohen sind, leben dort in Not und Elend. In der
43
Ausnahmezustandsregion wurden nach offiziellen türkischen Angaben 905 Dörfer und
2523 Weiler ganz oder teilweise evakuiert, zerstört und verbrannt.. In den darauffolgenden
Jahren war es ähnlich: 1993 waren es 874 Dörfer; 1994, 2.374 Dörfer und 1995
weitere 95. Dies wurde 1996 mit 2.500 Dörfern noch übertroffen.245 Mr. Cuco, Sonderberichterstatter
der Westeuropäischen Union, hat bei seinem letzten Türkeibesuch folgendes
beobachten können:
Die [Regierungs]politik, die die [kurdische] Bevölkerung aus ihren Bergdörfern und
Weilern zu vertreiben und ihre Behausungen zu zerstören sucht, wird weiterhin betrieben.
Ziel dieser Maßnahmen sei die Umsiedlung der Bergbevölkerung [sic] in kollektive
Dörfer, so der türkische Premierminister. Vom europäischen Siedlungsfonds wurden
der Türkei hierfür 227 Millionen US Dollar bewilligt.246
Dieser destruktive Prozeß dauert weiterhin an. Der türkische Menschenrechtsverein (IHD)
berichtet, daß:
Millionen unter den Folgen der Räumung ihrer Dörfer und den Zwangsvertreibungen
gelitten haben. Sie wurden aus Sicherheitsgründen zur Emigration gezwungen ohne
irgendwelche Zusicherungen. Diese Menschen hatten keine andere Wahl als unter
gesundheitschädigenden Bedingungen in armseligen Wohnverhältnissen in den Städten
der Region oder im Westen zu leben ... Militärs, Spezialeinheiten und Dorfschützer
haben Dörfer unter dem Vorwand räumen lassen, daß sie Operationen gegen die PKK
durchführen müssen. Während dieser Operationen wurden zivile Siedlungen absichtlich
von Luftwaffe und Bodentruppen bombardiert.
Weitere Menschen sahen sich gezwungen ihr Land zu verlassen, weil ihre Lebensgrundlagen
zerstört worden waren ... Das Verbot auf die Sommerweiden zu ziehen,
bedeutet, den Kurden eine wesentliche Lebensgrundlage zu entziehen. Die Menschen
in dieser Region verdienen ihr tägliches Brot durch die Viehzucht. Ein solches Verbot
fügt der Ökonomie in der Region einen unübersehbaren Schaden zu. Das Ergebnis ist,
daß vielen Familien nichts anderes übrig bleibt als auszuwandern.
Durch die Bombardements während der permanenten militärischen Operationen in
der Region, wurde darüber hinaus auch Ackerland zerstört. Die Felder können nicht
bestellt werden, da es gefährlich ist, während der militärischen Operationen auf dem
Lande zu arbeiten. Dorfschützer versuchen den Ertrag in Brand zu setzen, so daß es
keine Ernte gibt. Die Landwirtschaft wurde dadurch praktisch zum Erliegen gebracht.
Es ist eine weitere Art der Zwangsevakuierung. Wir sollten auch das partielle
Nahrungsmittelembargo erwähnen, das die Militärs verhängt haben ...
Die derzeitige Entvölkerungspolitik ... schließt alle kurdischen Siedlungen mit ein; sie hat
die totale Säuberung dieser Region zum Ziel ... die evakuierten Dörfer sollen nicht wieder
besiedelt werden. Der Gemeindebesitz wird zerstört und die evakuierten Einrichtungen
werden niedergebrannt, was ihre Neubesiedlung unmöglich macht. Die umgesiedelten
Bürger erhalten keine staatliche Unterstützung ... Millionen sind gezwungen in den Ghettos
der Großstädte unter gesundheitsschädigenden Umständen zu leben. Zu dieser Politik
gehört auch die Mißhandlung von Zivilisten. Folter, extralegale Hinrichtungen,
Verschwindenlassen in der Untersuchungshaft, sexueller Mißbrauch und Vergewaltigung
sind integrale Bestandteile dieser totalen Entvölkerungspolitik.
10
Diese Politik verursacht auch irreparable Umweltschäden. Kulturelle und historische
Werte ... Wälder und kultiviertes Ackerland in der Nähe von kurdischen Siedlungen
wurden seit 1984 immer wieder in Brand gesteckt ... Allein im Juni 1994 waren
Berichten zufolge 40.600 Hektar Waldfläche niedergebrannt worden als Sicherheitskräfte
in der Umgebung von 100 kurdischen Dörfern Wälder und Ackerland in Brand
gesteckten. Im Juli 1994, erlitten 120 Dörfer daßelbe Schicksal ... Im August 1994
waren es dann 100 Dörfer, weitere 60 folgten im September 1994 und 40 im Oktober.
Die Brandanschläge wurden 1995 und 1996 fortgesetzt ... Es ist keine Übertreibung,
zu sagen, daß es heute im Ausnahmezustandsgebiet keinen Wald mehr gibt.247
Staudammprojekte
Um die Entwicklung des GAP Projekts voranzutreiben, wurden 200.000 Kurden gewaltsam
vertrieben und einige Gebiete Kurdistans vollständig überschwemmt.248 Mustafa
Al Karadaghi und Merhad Izady sind der Ansicht, daß die Durchführung des staatlichen
Staudammprojektes, GAP, mit seinen landwirtschaftlichen und touristischen
Komponenten, einem kulturellen Völkermord gleichkommt. Fruchtbares Ackerland, unersetzliche
historische und religiöse Denkmäler sowie Objekte, die für sie einen kulturhistorischen
und religiösen Wert besitzen, werden hierbei zerstört.249 Karadaghi beschreibt,
wie der Dammbau in Kurdistan von der türkischen Regierung als ein Mittel der ethnischen
Säuberung mißbraucht wird. Die Dämme werden an den Orten gebaut, an denen
sich besonders viele Dörfer befinden, um dann Bauernhöfe und Ackerland unter Wasser
zu setzen.250
Izady schreibt zu diesem Thema:
1.300 Quadratmeilen fruchtbares kurdisches, am Flußufer gelegenes Ackerland wurden
überschwemmt. Das ist ein Gebiet, das ein sechstel des Staates Israel ausmacht. Das
gesamte archäologische Erbe und viele bewohnte kurdische Ortschaften und Gemeinden
im oberen Euphrat-Tal zwischen der türkisch-syrischen Grenze, Dersim und Palu
sind zerstört worden. Sie liegen jetzt unter einem sich windenden See, der durch
Staudämme verbunden ist ... Der Tigris befindet sich nur noch 100 Meilen des Flusses
oberhalb und unterhalb Diyarbakir in seinem ursprünglichen Zustand. Ab Cizre an
der irakisch-syrisch-türkischen Grenze ist alles überflutet worden. Gleichzeitig haben
die Dämme an den Nebenflüssen des Euphrat und Tigris fast alles, was noch an
künstlerischen und archäologischen Schätzen in West- und Ostkurdistan übriggeblieben
ist, in ihren Stauseen ertränkt ...
Der Ilisu Damm ... soll im Osten die Stadt Hasankeyf überschwemmen, lebendes
Museum und gut erhaltenes Juwel kurdischer urbaner Architektur, letzte Hauptstadt
der Ayyubiden-Dynastie ... Der Cizre-Damm hat die Überreste der biblischen kurdischen
Städte Bazabda und Baqarda überflutet sowie die historischen Stätten der kurdischen
Bokhti-Dynastie, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit regiert hatte. Oberhalb
von Diyarbakir, Devegecidi, Dicle, Kralkizi und Dipni wurden Gebiete überschwemmt,
in denen die archäologische Provinz Cayunu lag. Dort hatte man Überreste der ältesten
Kupfer-, Bronze- und Töpferarbeiten der Welt gefunden sowie die frühesten Spuren
von Ackerbau und Viehzucht der Menschheitsgeschichte.
45
Der Batman, Nebenfluß des Tigris, wurde durch die Kayser-, Silvan- und Batmanstauanlagen
eingedämmt. Da diese Dämme am Eingang von ausgedehnten, flachen
Talsohlen liegen, wurden ungewöhnlich große Gebiete der Silvan-Meyafarqin-Region
überflutet. Hier waren die kurdischen Dynastien der Mardia, der mittelalterlichen
Marwaniden sowie die der Slimani, Sasoon, Ziriqi und Hazo in der frühen Neuzeit
entstanden ... Der Karakayadamm hat historische Täler und ihr archäologisches Vermächtnis
über 100 Meilen weit überschwemmt ... Der Atatürkdamm hat einige archäologische
Stätten von Weltklasse, lebendige historische Städte und Denkmäler, unter
sich begraben ... Das Gebiet, um das es hier geht, hat eine Ausdehnung von 315
Quadratmeilen, ein Drittel von Luxemburg ... Eine weitere neue Stauanlage wird nach
ihrer Fertigstellung die Mitanni und neohittitischen Ruinen des biblischen Karkemisch
unter Wasser setzen. Die respektlose Vernichtung so vieler archäologischer Stätten von
offensichtlicher Bedeutung für die gesamte Menschheit sollte nicht nur die Kurden
betroffen machen, sondern jeden. Das ist jedoch nicht geschehen ... Ist es nicht die
Pflicht zivilisierter Menschen, einem derartigen Vandalismus vorzubeugen? Bei den
Kurden geht es um ihre Identität und den Beweis, daß sie autochthone Bewohner ihres
Heimatlandes sind. Orte wie Dokkan, Hacinebi, Hasankeyf und Samsat sind für die
Kurden Meilensteine ihrer nationalen Identität.251
Eine Evaluierung
Fehti Gumus, Anwalt der türkischen Menschenrechtsorganisation (IHD) aus der Zweigstelle
in Diyarbakir, ist der Ansicht, daß ein totalitärer, dreckiger Krieg gegen die Kurden
geführt wird: Die türkische Regierung nennt es einen Krieg gegen Terrorismus, doch in
Wahrheit ist es ein Krieg gegen ein Volk und gegen Menschen.252 Fevzi Veznedaroglu,
Vorsitzender des IHD in Diyarbakir, vertritt die Auffassung, daß hinter der Zerstörung der
kurdischen Volksgruppe ganz eindeutig eine genozidale Absicht steckt. Hierzu gehört die
Zerstörung der persönlichen Sicherheit, Freiheit, Gesundheit, Würde und des Lebens des
Einzelnen in der Gruppe: Menschen werden verhaftet, gefoltert und ins Gefängnis
gesteckt, schuldig gesprochen und schließlich zu Tode verurteilt. Seit 1991 wurden die
Repräsentanten des demokratischen Kampfes Zielscheibe von counterinsurgency-Kräften.
Der Grund dafür ist klar die Leute sollen eingeschüchtert und ohne Führung
handlungsunfähig gemacht werden. Wieder ist Ziel der counterinsurgency-Kräfte, auf
größere Gruppen der kurdischen Bevölkerung Druck auszuüben damit sie nicht auf die
Idee kommen, für ihre [Grundrechte] zu kämpfen. Nicht nur kurdische Repräsentanten
und Intellektuelle wurden zur Zielscheibe dieser Politik, auch Frauen, Dorfbewohner und
Studenten fielen ihr zum Opfer und wurden ermordet ... Die Menschen sollen Angst
haben ... Diese Menschenrechtsverletzungen betreffen nicht nur fundamentale Gesetze,
wie das Recht auf Leben, sie zielen auch darauf ab, das kurdische Volk zu Flüchtlingen im
eigenen Land zu machen. Es gibt weiterhin Massenverhaftungen und die Repressionspolitik
wird auf alarmierende Weise fortgesetzt ... Hier wird ein dreckiger Krieg gegen die
gesamte Bevölkerung geführt.253
Die UK Parliamentary Human Rights Group, die mehrfach Delegationen in das Konfliktgebiet
gesandt hat, ist zu folgendem Schluß gekommen:
46
Die Entvölkerung der kurdischen Gebiete ist, wie wir meinen, Teil einer Strategie, die
nicht nur gegen ein paar tausend Guerilleros gerichtet ist, sondern die Auslöschung der
Identität des kurdischen Volkes zum Ziel hat.254
In Großbritannien und auch anderswo wird die Problematik von Türkisch Kurdistan
zumeist folgendermaßen dargestellt: eine vernünftige demokratische Regierung versucht
mit dem unlösbaren Problem des Terrorismus fertig zu werden.
Wir sind der Meinung, daß in Wahrheit das Militär mit terroristischen Methoden
versucht, die Identität eines Volkes zu zerstören. Und wir sind sehr beunruhigt über
die Ähnlichkeit dieses Falles mit dem Völkermord an den Armeniern, der von 1915 bis
1916 stattgefunden hat. Die PKK hat sich, wie einige Armenier während des Ersten
Weltkriegs, bewaffnet, weil sie die Hoffnung verloren hatte, ihre legitimen politischen
Rechte mit friedlichen Mitteln zu erlangen. Die Antwort des türkischen Staates, wie
schon 1915 im Falle der Armenier, war, nach außen hin Frieden zu schließen und in
Wahrheit eine gigantische Kriegsmaschinerie gegen eine praktisch unbewaffnete Bevölkerung
in Gang zu setzten, die angeblich mit den Separatisten sympathisierte. Wenn
man die Revolte der Untertanen gegen ihre Unterdrücker als Terrorismus bezeichnet,
dann ist dies ein tragisches Mißverständnis, das nur Ergebnis der Ignoranz gegenüber
den Tatsachen und der Vergangenheit sein kann.255
Im Spätsommer 1993, nachdem die Regierung von Ministerpräsidentin Tansu Çiller
an die Macht gekommen war, haben die Ministerpräsidentin, der Generalstabschef Dogan
Güres und der Staatspräsident Süleyman Demirel Verschärfungen des Vorgehens in den
kurdischen Gebieten und gegen vermeintliche Unterstützter der PKK auf eine Weise
angekündigt, die der Drohung mit einem totalem Krieg bzw. einer endgültigen Lösung
gleichkam. Çiller erklärte: Der Staat wird einen Schritt über den Punkt hinausgehen, bis
zu dem der Terror gegangen ist. Niemand kann gegen den Staat ankommen. ... Und wenn
das auch noch nicht genügt, wird der Staat alles tun, was nötig ist, damit es genügt.256
Am 28.10.1993 waren folgende Worte des Generalstabschef Güres Aufmacher der Zeitung
Hürriyet: Historische Entscheidung ... In diesem Winter werden wir die PKKEinheiten
liquidieren. Sie werden kaltgemacht und verschwinden. Sie werden vernichtet
und verschwinden. Auch ihr oberster Führer. ... Kalaschnikows und ähnliches reichen
nun nicht mehr aus. Wir werden wirksamere und modernere Waffen schicken. In der
gleichen Ausgabe pflichtete ihm der Staatspräsident Demirel mit einem Aufruf an das
Volk zum totalen Kampf gegen die PKK bei.257
Nach der erzwungenen Abreise des PKK-Vorsitzenden A. Öçalan aus Syrien, während
seines Aufenthalts in Italien im November 1998, nach seiner Entführung aus Kenia in die
Türkei im Februar 1999 und während seines Prozesses ist es in der Türkei zu einer Vielzahl
von Überfällen, Verwüstungen, pogromartigen Ausschreitungen gegen kurdische
Einrichtungen, polizeilichen bzw. staatlichen Gewaltaktionen gegen legale Einrichtungen
wie z.B. Büros der HADEP gekommen, daß einige Kommentatoren ihrer Befürchtung
Ausdruck gaben, daß es zu genozidalen Massakern kommen könnte.258
Die Mitverantwortung der Vereinten Nationen, der USA und Deutschlands
Während dieser ganzen Zeit haben es die Vereinten Nationen (UN) hingegen nicht geschafft,
wirksam zu intervenieren. Leo Kuper zufolge, war die UN sehr wohl in der Lage,
47
in verschiedenen Ländern erfolgreich einzugreifen. Trotzdem ist es oft vorgekommen, daß
die Vollstrecker des Völkermords ihre Aktivitäten unbehelligt fortsetzen können: Wenn
es um Völkermord geht, dann sind die Leistungen der UN mangelhaft. Genauso verhält
es sich bei Anklagen wegen politischem Massenmord. In beiden Fällen zieht sich die UN
aus ihrer Verantwortung zurück, die beschuldigten Regierungen werden beschützt und
Staatsinteressen und ideologische und regionale Allianzen erhalten den Vorzug.259
Auch sollte die Rolle der NATO und der US-Regierung kritisch betrachtet werden. Die
Militärjunta hatte die genozidalen Maßnahmen gegen die Kurden und andere Gruppen
nach ihrem Putsch, bei dem sie von den USA und der NATO unterstützt worden waren,
noch verschärft. Das US State Departement entschuldigte die Vergehen des Regimes mit
der Begründung, es hätte sich um Einzelfälle gehandelt und ermutigte es, die Wiederherstellung
der parlamentarischen Demokratie voranzutreiben.260 Nach Ansicht von Edward
Herman, hätten die USA, wenn sie gewollt hätten, mit einer Intervention den Terror des
Kriegsrechts in der Türkei entschärfen können.261 Doch anstatt große Vorbehalte gegenüber
den fortdauernden genozidalen Praktiken des NATO Partners zu haben, gaben die
US- Regierung und die NATO der Türkei aktive Schützenhilfe.
Die Reagan-Regierung erhöhte sogar die militärische und wirtschaftliche Hilfe. Die
Junta sollte in der Lage sein, Kürzungen auszugleichen, die aus disziplinarischen Gründen
von einigen europäischen Mächten vorgenommen wurden.262 Der amerikanische Verteidigungsminister
Weinberger versicherte gegenüber der türkischen Militärführung bei seinem
Besuch 1981, als die Gewalttaten gerade ihre Höhepunkt erreicht hatten, daß die
US-Regierung der Junta so gut beistehen würde, wie sie könne.263 Diese Junta hatte zum
damaligen Zeitpunkt bereits über 50.000 Bürger ins Gefängnis gebracht und eine Situation
geschaffen, in der 215 Menschen ermordet worden waren.264 Berch Berberoglu
zufolge steht es außer Zweifel, daß die NATO und die US Regierung das Regime unterstützt
haben: Es überrascht nicht, daß der Putsch von US General David Jones gebilligt
wurde. Der NATO-Oberbefehlshaber und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte hatte
die Türkei Anfang November besucht.265
Vera Beaudin Saeedpour, Forschungsdirektorin der kurdischen Bibliothek in Brooklyn,
kam zu dem Schluß, daß die NATO Partner der Türkei und besonders die USA den
genozidalen Prozeß vorsätzlich erleichtert hätten, weil sie vor den terroristischen Handlungen
des Staates die Augen verschlossen hielten:
Wenn die Türkei behauptet demokratisch zu sein, glauben es die USA ... Gleichzeitig
schaut die USA weg, wenn die Türkei die kurdische Bevölkerung unterdrückt. Dafür
gibt es einen guten Grund: Washington unterstützt die Türkei in ihrem Kampf gegen
die PKK militärisch, wirtschaftlich und mit Mitteln des Geheimdienstes ... Daß die
USA im Irak für die kurdischen Guerilleros und in der Türkei gegen die kurdischen
Guerilleros ist, macht deutlich, daß die amerikanische Kurdenpolitik von den regionalen
Verhältnissen abhängig ist: dem NATO Partner Türkei beistehen und Iran und Irak
schwächen. Trotz der barbarischen Behandlung der Kurden durch die Türkei hieß
Präsident Clinton [1994] die türkische Premierministerin Tansu Çiller mit den Worten
willkommen: Die Türkei ist der Welt ein leuchtendes Beispiel für die Vorzüge der
kulturellen Vielfalt.
Wenn Ankara lügt, steht die USA bekräftigend dahinter, wenn Ankara Mißbrauch
treibt, entschuldigt es die USA. Der Vize Präsident Al Gore lag auf derselben Linie als
48
er sagte, wir haben vor, mit der Türkei zusammen zu arbeiten. Es ist unfair, wenn wir
die Türkei drängen, sich zu demokratisieren und die Menschenrechte zu wahren und
der Regierung keinen Beistand leisten, wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus
innerhalb der eigenen Landesgrenzen geht. Und ich denke, daß Sie etwas mehr Kooperation
zwischen den beiden Nationen an dieser Front sehen werden. Als wenn Washington
nicht schon mit der Türkei kooperieren würde ... militärische Hilfe von hunderten
Millionen Dollar. Diese Hilfeleistungen werden ... gegen die türkischen Kurden
eingesetzt ... Ein höherer amerikanischer Diplomat erklärte, Wir haben die bewußte
Entscheidung getroffen, den Türken weniger kritisch gegenüber zu stehen als die
Europäer und der Kongress. Sie sind unsere NATO-Partner.266
Tatsächlich hat die US Regierung Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar an
die Türkei geliefert. Obwohl es klar war, daß es sich dabei um Kriegswerkzeug für einen
Völkermord handelte. Zwischen 1987 und 1991 kamen 77% der Waffenlieferungen an
die Türkei aus den USA.267 NATO-Staaten (inklusive USA, Großbritannien und Deutschland)
unterstützen türkische Streitkräfte, die direkt in den Völkermord an den Kurden
involviert waren, mit Geheimdienstinformationen sowie mit militärischer Ausbildung und
Ausrüstung.268 Mark Thomson hat festgestellt, daß das Pentagon ältere aber immer noch
funktionstüchtige tödliche Waffen buchstäblich an die Türkei verschenkt hat: Ankara hat
28 AH-1 Kampfhubschrauber, 822 M-60 Panzer und 72 Haubitzen mit Eigenantrieb
erhalten.269
Insgesamt hat die Türkei von der NATO militärische Ausrüstung in Milliardenhöhe
erhalten: Mehr als 500 Kampfflugzeuge, 500 Kampfhubschrauber, 5.000 Panzerfahrzeuge,
zehntausende Artilleriegeschütze, Maschinengewehre, und Sturmgewehre wurden
der Türkei seit 1980 überlassen.270 Allein 1993 wurden dem türkischen Staat als Teil
einer sharing and cascading Vereinbarung 1.017 Panzer geliefert, das ist fast der gesamte
britische Panzerbestand, darüber hinaus noch 600 bewaffnete Fahrzeuge und 70 Artilleriegeschütze.
271 Hierzu ein Human Rights Arms Watch Projektbericht:
Besonders die US- Regierung hat die Türkei mit Ausrüstungen versorgt und ihre
Kapazitäten in der Waffenproduktion erweitert. ... In seinem Brief an den Kongress
beschwor der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, John Shalikashvili, die US-amerikanischen
Gesetzgeber, nicht die Militärhilfe für die Türkei aufgrund der
Menschenrechtslage zu kürzen. ... Tatsächlich ... hat es den Anschein, daß in Ankara
Vertreter des Pentagons mehr denn je daran interessiert sind, der Türkei amerikanische
Waffen zu verkaufen. M-60 Panzer, Kampfhubschrauber, Streubomben, Boden-Boden-
Raketen, und Handfeuerwaffen gehören dazu.
Die Vereinigten Staaten haben darüber hinaus einen Kooperationsvertrag mit der türkischen
Verteidigungsindustrie geschlossen. Es geht u.a. um den Bau des F-16 Kampfbombers,
der, wie das US State Departement zugibt, möglicherweise willkürlich gegen
kurdische Zivilisten eingesetzt wurde ... Führende US-Repräsentanten weisen darauf
hin, daß die Türkei ein wichtiger Staat an der Außengrenze der NATO ist und somit ...
nicht für ihre systematischen Verstöße gegen Kriegs- und Menschenrechte bestraft
werden sollte ... Mit strategisch wichtigen Freunden muß Nachsicht geübt werden,
ganz gleich wie schlecht sie ihre eigenen Bürger behandeln ... Die NATO selbst hat
keine Überwachungsmechanismen eingerichtet, um den Handlungsspielraum der tür49
kischen Streitkräfte einzuschränken. Human Rights Watch hat bewiesen, daß Zivilisten
während der Zwangsumsiedlungen gefoltert und mißhandelt wurden. Wobei
gewöhnlich NATO- Ausrüstung zum Einsatz kam.
Die USA sind durch ihre militärische und politische Unterstützung tief in die
counterinsurgency Politik der türkischen Regierung verwickelt. Obwohl sie von den
Greueltaten wußten, haben die USA es aus strategischen Gründen vorgezogen, die
Verstöße der türkischen Regierung zu bagatellisieren ... Dadurch daß die Vereinigten
Staaten die Türkei jedes Jahr mit ausgeklügelten Waffensystemen überhäufen, werden
sie zu Komplizen einer Politik der verbrannten Erde, bei der die fundamentalen Grundsätze
des internationalen Rechts verletzt werden ... Die US-amerikanische Politik will
jedoch keinen Druck ausüben, damit die Türkei öffentlich über die Operationen ihrer
Streitkräfte Rechenschaft ablegt ... Die USA lehnen es auch ab, die ausländische Hilfe
mit Verbesserungen [hinsichtlich der Menschenrechte] in der Türkei zu verknüpfen.
Das Hauptanliegen der amerikanischen Militärs ist, Verträge für große US-amerikanische
Waffenlieferanten an Land zu ziehen ... amerikanische Offiziere in der Türkei und
in den USA haben erklärt, daß sie hofften, die Menschenrechtsleute würden sich
nicht in die Verhandlungen über große Waffenankäufe mischen ... Die Regierung
Clinton will nicht, daß Waffenverkäufe mit der Menschenrechtslage in der Türkei in
Verbindung gebracht werden.272
Auch der Beitrag des NATO-Partners Deutschland zum genozidalen Kriegsakt war
von Bedeutung: Fünfzehn Leopard-I-Panzer wurden 1992 quasi illegal in die Türkei
gebracht. Die Enthüllung dieses Skandals führte zum widerwilligen Rücktritt von Verteidigungsminister
Stoltenberg. In den 80er Jahren erhielt die Türkei von Deutschland
(BRD) militärische und polizeiliche Hilfe in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar. Debatten im
Bonner Parlament haben zutage gebracht, daß die Bundesrepublik Deutschland dem
türkischen Staat 250.000 Feuerwaffen, 5.000 großkalibrige Pistolen, 450 Millionen Schuß
Munition und verschiedene andere Waffen geschenkt hat, Waffen, die im kolonialen
Krieg der Türkei ... gegen das kurdische Volk eingesetzt wurden.273 Medico International,
die Grünen und einige Anwälte erhoben im Februar 1993 Anklage auf Völkermord
gegen die deutsche Regierung und die deutschen Behörden. Die Anklage wurde unter der
Klausel 220a des Deutschen Strafgesetzbuches eingebracht und enthielt:
Die BRD hat in der Vergangenheit die Türkei auch und gerade seit dem Militärputsch
systematisch hochgerüstet ... Es sind drei Bereiche, in denen Militärhilfe stattfindet:
Die NATO-Verteidigungshilfe, die Ausstattungs- und Ausbildungshilfe und sogenannte
Rüstungssonderhilfen. Dabei ist die Bundesrepublik Deutschland das einzige
Land im Bündnis, das ständig und fortlaufend seit 1964 den Partnern ... Ausrüstung
in Form von NATO Verteidigungshilfe, Materialhilfe und Sonderhilfe leistet, und
zwar im Unterschied zu den USA unentgeltlich. ... Die Gelder für die NATOVerteidigungshilfe
kommen direkt aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes. ... Die
Verteidigungshilfe besteht zu 80% aus Neumaterial und zu 20% aus gebrauchten
Materialien der Bundeswehr. Die NATO-Verteidigungshilfe ist in Trancen unterteilt,
seit 1989 hat eine Trance für die Türkei eine Laufzeit von 36 Monaten, vorher waren
es 18 Monate. Die jährlichen Beträge für die Türkei belaufen sich auf 86,66 Mio. DM.
... Neben der NATO-Verteidigungshilfe gewährt die BRD der Türkei eine sogenannte
50
Ausstattungs- und Ausbildungshilfe. Dieser Posten ist definiert als Lieferung von
Material an die Sicherheitskräfte Streitkräfte, wie auch gelegentlich Polizei des
Empfängerlandes, um ihnen die Durchführung ihrer Aufgaben zu erleichtern ...
Rüstungssonderhilfen werden von der Bundesregierung seit 1980(!) vergeben. Sie
umfassen vor allem Materiallieferungen an die Türkei, aber auch Lizenzen und Know
how ... 1988 wurde die Rüstungssonderhilfe II im Werte von 580 Mio. DM bewilligt.
Im Rahmen dieser Sonderhilfe wurden u.a. 150 Kampfpanzer Leo 1 aus Beständen der
Bundeswehr an die Türkei geliefert ... Für ihr Wohlverhalten im Golfkrieg erhielt die
Türkei im vergangenen Jahr schnell noch eine Rüstungssonderhilfe im Werte von
zwischen 700 Mio. (Angaben der Bundesregierung) und 1 Milliarde DM (lt. einem
Versprecher? des Pressesprecher(s) des Bundesverteidigungsministerium s). Diese Sonderhilfe
wurde u.a. in Form von NVA-Material, das als Zivilgut deklariert war, in die
Türkei geliefert ... Der Einsatz deutscher Waffen, u.a. Panzer aus NVA-Beständen
während der Newroz-Massaker im März 1992 ist vielfach belegt.274
Hierzu Amnesty International:
Regierungen, die über den meisten Einfluß auf die türkische Staatsführung verfügen
die Mitglieder der NATO und insbesondere der Europäischen Union nutzen nicht
einmal die von ihnen selbst zur Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen geschaffenen
Mechanismen, wie sie über den Europarat, die Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa und die Vereinten Nationen gegeben sind. Kritik an
ihrer Untätigkeit wehren die betreffenden Regierungen ab, indem sie sich die Argumentation
der türkischen Regierung zu eigen machen und darauf verweisen, daß
ihnen angesichts der terroristischen Bedrohung die Hände gebunden seien. Der wirkliche
Grund für ihre zögerliche Haltung ist jedoch kein Geheimnis. Die Türkei gilt als
geschätzter Verbündeter und Bollwerk gegenüber der Instabilität in Teilen des Nahen
Ostens und Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Darüber hinaus ist die Türkei ein
bedeutender Handelspartner und bietet einen lukrativen Markt für den Absatz militärischer
Güter.
Die Menschenrechte in der Türkei fallen nicht allein in den Zuständigkeitsbereich der
dortigen Regierung. Auch die internationale Staatengemeinschaft ist für sie verantwortlich
und hat die legitime Befugnis, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen
und anzumahnen.
Amnesty International drängt die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen
bereits seit Jahren, den Erkenntnissen und Empfehlungen ihrer Sachverständigen
Gremien folgend tätig zu werden. Doch auch auf der Sitzung der Kommission 1996
konnte sich die Türkei erneut einer genauen Prüfung ihres Handelns entziehen, weil
die Mitglieder der Kommission politischen Erwägungen den Vorrang vor menschenrechtlichen
Notwendigkeiten einräumen.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der
Europarat legen ein ebenso zögerliches Verhalten an den Tag. Die OSZE mit ihren 53
Mitgliedstaaten, zu denen neben europäischen Ländern, einschließlich der Türkei,
auch die USA und Kanada zählen, befaßt sich mit einer Reihe von Themen, unter
anderem mit Fragen der Sicherheit und Abrüstung, mit Menschenrechtsfragen und
mit Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet und im
51
Bereich des Umweltschutzes.
Die Mitgliedstaaten der OSZE haben sich ohne Ausnahme ausdrücklich zur Wahrung
der Menschenrechte verpflichtet. Sie haben betont, daß es für Folterhandlungen niemals
eine Rechtfertigung geben darf, auch nicht in Kriegssituationen oder bei anderweitiger
Bedrohung der Sicherheit. Sie haben ferner bekräftigt, daß das Recht der
Menschen, ihre Überzeugungen schriftlich oder mündlich frei zu äußern, ein grundlegendes
Recht darstellt, dessen Beachtung die Wahrnehmung vieler anderer Rechte
erst ermöglicht. Wenngleich es sich bei diesen Erklärungen der OSZE nicht um rechtsverbindliche
Dokumente handelt, so sind sie dennoch politisch bindend, weil die
Mitgliedstaaten ihnen in freier Entscheidung zugestimmt haben. Es ist einhellige Meinung,
daß ihnen in der Praxis nicht weniger Verbindlichkeit zukommt als förmlichen
Abkommen.
Die OSZE spricht gegenüber Regierungen keine Verurteilungen aus. Sie versucht, mit
ihren Mitgliedstaaten auf dem Wege der Verständigung zusammenzuarbeiten. Dies
entläßt sie aber nicht aus der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß die in der OSZE
vertretenen Regierungen ihre menschenrechtlichen Zusagen einhalten. Gegenüber der
Türkei ist die OSZE ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ... Das Ministerkomitee
des Europarats zeigt ebenfalls seit inzwischen mehr als einem Jahrzehnt keine ernsthafte
Bereitschaft, den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei entgegenzutreten, obwohl
eines seiner Menschenrechtsgremien, der Europäische Ausschuß gegen Folter,
mehrfach dokumentiert hat, daß die Folter in der Türkei weitverbreitet ist.275
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Diese Politik verursacht auch irreparable Umweltschäden. Kulturelle und historische
Werte ... Wälder und kultiviertes Ackerland in der Nähe von kurdischen Siedlungen
wurden seit 1984 immer wieder in Brand gesteckt ... Allein im Juni 1994 waren
Berichten zufolge 40.600 Hektar Waldfläche niedergebrannt worden als Sicherheitskräfte
in der Umgebung von 100 kurdischen Dörfern Wälder und Ackerland in Brand
gesteckten. Im Juli 1994, erlitten 120 Dörfer daßelbe Schicksal ... Im August 1994
waren es dann 100 Dörfer, weitere 60 folgten im September 1994 und 40 im Oktober.
Die Brandanschläge wurden 1995 und 1996 fortgesetzt ... Es ist keine Übertreibung,
zu sagen, daß es heute im Ausnahmezustandsgebiet keinen Wald mehr gibt.247
Staudammprojekte
Um die Entwicklung des GAP Projekts voranzutreiben, wurden 200.000 Kurden gewaltsam
vertrieben und einige Gebiete Kurdistans vollständig überschwemmt.248 Mustafa
Al Karadaghi und Merhad Izady sind der Ansicht, daß die Durchführung des staatlichen
Staudammprojektes, GAP, mit seinen landwirtschaftlichen und touristischen
Komponenten, einem kulturellen Völkermord gleichkommt. Fruchtbares Ackerland, unersetzliche
historische und religiöse Denkmäler sowie Objekte, die für sie einen kulturhistorischen
und religiösen Wert besitzen, werden hierbei zerstört.249 Karadaghi beschreibt,
wie der Dammbau in Kurdistan von der türkischen Regierung als ein Mittel der ethnischen
Säuberung mißbraucht wird. Die Dämme werden an den Orten gebaut, an denen
sich besonders viele Dörfer befinden, um dann Bauernhöfe und Ackerland unter Wasser
zu setzen.250
Izady schreibt zu diesem Thema:
1.300 Quadratmeilen fruchtbares kurdisches, am Flußufer gelegenes Ackerland wurden
überschwemmt. Das ist ein Gebiet, das ein sechstel des Staates Israel ausmacht. Das
gesamte archäologische Erbe und viele bewohnte kurdische Ortschaften und Gemeinden
im oberen Euphrat-Tal zwischen der türkisch-syrischen Grenze, Dersim und Palu
sind zerstört worden. Sie liegen jetzt unter einem sich windenden See, der durch
Staudämme verbunden ist ... Der Tigris befindet sich nur noch 100 Meilen des Flusses
oberhalb und unterhalb Diyarbakir in seinem ursprünglichen Zustand. Ab Cizre an
der irakisch-syrisch-türkischen Grenze ist alles überflutet worden. Gleichzeitig haben
die Dämme an den Nebenflüssen des Euphrat und Tigris fast alles, was noch an
künstlerischen und archäologischen Schätzen in West- und Ostkurdistan übriggeblieben
ist, in ihren Stauseen ertränkt ...
Der Ilisu Damm ... soll im Osten die Stadt Hasankeyf überschwemmen, lebendes
Museum und gut erhaltenes Juwel kurdischer urbaner Architektur, letzte Hauptstadt
der Ayyubiden-Dynastie ... Der Cizre-Damm hat die Überreste der biblischen kurdischen
Städte Bazabda und Baqarda überflutet sowie die historischen Stätten der kurdischen
Bokhti-Dynastie, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit regiert hatte. Oberhalb
von Diyarbakir, Devegecidi, Dicle, Kralkizi und Dipni wurden Gebiete überschwemmt,
in denen die archäologische Provinz Cayunu lag. Dort hatte man Überreste der ältesten
Kupfer-, Bronze- und Töpferarbeiten der Welt gefunden sowie die frühesten Spuren
von Ackerbau und Viehzucht der Menschheitsgeschichte.
45
Der Batman, Nebenfluß des Tigris, wurde durch die Kayser-, Silvan- und Batmanstauanlagen
eingedämmt. Da diese Dämme am Eingang von ausgedehnten, flachen
Talsohlen liegen, wurden ungewöhnlich große Gebiete der Silvan-Meyafarqin-Region
überflutet. Hier waren die kurdischen Dynastien der Mardia, der mittelalterlichen
Marwaniden sowie die der Slimani, Sasoon, Ziriqi und Hazo in der frühen Neuzeit
entstanden ... Der Karakayadamm hat historische Täler und ihr archäologisches Vermächtnis
über 100 Meilen weit überschwemmt ... Der Atatürkdamm hat einige archäologische
Stätten von Weltklasse, lebendige historische Städte und Denkmäler, unter
sich begraben ... Das Gebiet, um das es hier geht, hat eine Ausdehnung von 315
Quadratmeilen, ein Drittel von Luxemburg ... Eine weitere neue Stauanlage wird nach
ihrer Fertigstellung die Mitanni und neohittitischen Ruinen des biblischen Karkemisch
unter Wasser setzen. Die respektlose Vernichtung so vieler archäologischer Stätten von
offensichtlicher Bedeutung für die gesamte Menschheit sollte nicht nur die Kurden
betroffen machen, sondern jeden. Das ist jedoch nicht geschehen ... Ist es nicht die
Pflicht zivilisierter Menschen, einem derartigen Vandalismus vorzubeugen? Bei den
Kurden geht es um ihre Identität und den Beweis, daß sie autochthone Bewohner ihres
Heimatlandes sind. Orte wie Dokkan, Hacinebi, Hasankeyf und Samsat sind für die
Kurden Meilensteine ihrer nationalen Identität.251
Eine Evaluierung
Fehti Gumus, Anwalt der türkischen Menschenrechtsorganisation (IHD) aus der Zweigstelle
in Diyarbakir, ist der Ansicht, daß ein totalitärer, dreckiger Krieg gegen die Kurden
geführt wird: Die türkische Regierung nennt es einen Krieg gegen Terrorismus, doch in
Wahrheit ist es ein Krieg gegen ein Volk und gegen Menschen.252 Fevzi Veznedaroglu,
Vorsitzender des IHD in Diyarbakir, vertritt die Auffassung, daß hinter der Zerstörung der
kurdischen Volksgruppe ganz eindeutig eine genozidale Absicht steckt. Hierzu gehört die
Zerstörung der persönlichen Sicherheit, Freiheit, Gesundheit, Würde und des Lebens des
Einzelnen in der Gruppe: Menschen werden verhaftet, gefoltert und ins Gefängnis
gesteckt, schuldig gesprochen und schließlich zu Tode verurteilt. Seit 1991 wurden die
Repräsentanten des demokratischen Kampfes Zielscheibe von counterinsurgency-Kräften.
Der Grund dafür ist klar die Leute sollen eingeschüchtert und ohne Führung
handlungsunfähig gemacht werden. Wieder ist Ziel der counterinsurgency-Kräfte, auf
größere Gruppen der kurdischen Bevölkerung Druck auszuüben damit sie nicht auf die
Idee kommen, für ihre [Grundrechte] zu kämpfen. Nicht nur kurdische Repräsentanten
und Intellektuelle wurden zur Zielscheibe dieser Politik, auch Frauen, Dorfbewohner und
Studenten fielen ihr zum Opfer und wurden ermordet ... Die Menschen sollen Angst
haben ... Diese Menschenrechtsverletzungen betreffen nicht nur fundamentale Gesetze,
wie das Recht auf Leben, sie zielen auch darauf ab, das kurdische Volk zu Flüchtlingen im
eigenen Land zu machen. Es gibt weiterhin Massenverhaftungen und die Repressionspolitik
wird auf alarmierende Weise fortgesetzt ... Hier wird ein dreckiger Krieg gegen die
gesamte Bevölkerung geführt.253
Die UK Parliamentary Human Rights Group, die mehrfach Delegationen in das Konfliktgebiet
gesandt hat, ist zu folgendem Schluß gekommen:
46
Die Entvölkerung der kurdischen Gebiete ist, wie wir meinen, Teil einer Strategie, die
nicht nur gegen ein paar tausend Guerilleros gerichtet ist, sondern die Auslöschung der
Identität des kurdischen Volkes zum Ziel hat.254
In Großbritannien und auch anderswo wird die Problematik von Türkisch Kurdistan
zumeist folgendermaßen dargestellt: eine vernünftige demokratische Regierung versucht
mit dem unlösbaren Problem des Terrorismus fertig zu werden.
Wir sind der Meinung, daß in Wahrheit das Militär mit terroristischen Methoden
versucht, die Identität eines Volkes zu zerstören. Und wir sind sehr beunruhigt über
die Ähnlichkeit dieses Falles mit dem Völkermord an den Armeniern, der von 1915 bis
1916 stattgefunden hat. Die PKK hat sich, wie einige Armenier während des Ersten
Weltkriegs, bewaffnet, weil sie die Hoffnung verloren hatte, ihre legitimen politischen
Rechte mit friedlichen Mitteln zu erlangen. Die Antwort des türkischen Staates, wie
schon 1915 im Falle der Armenier, war, nach außen hin Frieden zu schließen und in
Wahrheit eine gigantische Kriegsmaschinerie gegen eine praktisch unbewaffnete Bevölkerung
in Gang zu setzten, die angeblich mit den Separatisten sympathisierte. Wenn
man die Revolte der Untertanen gegen ihre Unterdrücker als Terrorismus bezeichnet,
dann ist dies ein tragisches Mißverständnis, das nur Ergebnis der Ignoranz gegenüber
den Tatsachen und der Vergangenheit sein kann.255
Im Spätsommer 1993, nachdem die Regierung von Ministerpräsidentin Tansu Çiller
an die Macht gekommen war, haben die Ministerpräsidentin, der Generalstabschef Dogan
Güres und der Staatspräsident Süleyman Demirel Verschärfungen des Vorgehens in den
kurdischen Gebieten und gegen vermeintliche Unterstützter der PKK auf eine Weise
angekündigt, die der Drohung mit einem totalem Krieg bzw. einer endgültigen Lösung
gleichkam. Çiller erklärte: Der Staat wird einen Schritt über den Punkt hinausgehen, bis
zu dem der Terror gegangen ist. Niemand kann gegen den Staat ankommen. ... Und wenn
das auch noch nicht genügt, wird der Staat alles tun, was nötig ist, damit es genügt.256
Am 28.10.1993 waren folgende Worte des Generalstabschef Güres Aufmacher der Zeitung
Hürriyet: Historische Entscheidung ... In diesem Winter werden wir die PKKEinheiten
liquidieren. Sie werden kaltgemacht und verschwinden. Sie werden vernichtet
und verschwinden. Auch ihr oberster Führer. ... Kalaschnikows und ähnliches reichen
nun nicht mehr aus. Wir werden wirksamere und modernere Waffen schicken. In der
gleichen Ausgabe pflichtete ihm der Staatspräsident Demirel mit einem Aufruf an das
Volk zum totalen Kampf gegen die PKK bei.257
Nach der erzwungenen Abreise des PKK-Vorsitzenden A. Öçalan aus Syrien, während
seines Aufenthalts in Italien im November 1998, nach seiner Entführung aus Kenia in die
Türkei im Februar 1999 und während seines Prozesses ist es in der Türkei zu einer Vielzahl
von Überfällen, Verwüstungen, pogromartigen Ausschreitungen gegen kurdische
Einrichtungen, polizeilichen bzw. staatlichen Gewaltaktionen gegen legale Einrichtungen
wie z.B. Büros der HADEP gekommen, daß einige Kommentatoren ihrer Befürchtung
Ausdruck gaben, daß es zu genozidalen Massakern kommen könnte.258
Die Mitverantwortung der Vereinten Nationen, der USA und Deutschlands
Während dieser ganzen Zeit haben es die Vereinten Nationen (UN) hingegen nicht geschafft,
wirksam zu intervenieren. Leo Kuper zufolge, war die UN sehr wohl in der Lage,
47
in verschiedenen Ländern erfolgreich einzugreifen. Trotzdem ist es oft vorgekommen, daß
die Vollstrecker des Völkermords ihre Aktivitäten unbehelligt fortsetzen können: Wenn
es um Völkermord geht, dann sind die Leistungen der UN mangelhaft. Genauso verhält
es sich bei Anklagen wegen politischem Massenmord. In beiden Fällen zieht sich die UN
aus ihrer Verantwortung zurück, die beschuldigten Regierungen werden beschützt und
Staatsinteressen und ideologische und regionale Allianzen erhalten den Vorzug.259
Auch sollte die Rolle der NATO und der US-Regierung kritisch betrachtet werden. Die
Militärjunta hatte die genozidalen Maßnahmen gegen die Kurden und andere Gruppen
nach ihrem Putsch, bei dem sie von den USA und der NATO unterstützt worden waren,
noch verschärft. Das US State Departement entschuldigte die Vergehen des Regimes mit
der Begründung, es hätte sich um Einzelfälle gehandelt und ermutigte es, die Wiederherstellung
der parlamentarischen Demokratie voranzutreiben.260 Nach Ansicht von Edward
Herman, hätten die USA, wenn sie gewollt hätten, mit einer Intervention den Terror des
Kriegsrechts in der Türkei entschärfen können.261 Doch anstatt große Vorbehalte gegenüber
den fortdauernden genozidalen Praktiken des NATO Partners zu haben, gaben die
US- Regierung und die NATO der Türkei aktive Schützenhilfe.
Die Reagan-Regierung erhöhte sogar die militärische und wirtschaftliche Hilfe. Die
Junta sollte in der Lage sein, Kürzungen auszugleichen, die aus disziplinarischen Gründen
von einigen europäischen Mächten vorgenommen wurden.262 Der amerikanische Verteidigungsminister
Weinberger versicherte gegenüber der türkischen Militärführung bei seinem
Besuch 1981, als die Gewalttaten gerade ihre Höhepunkt erreicht hatten, daß die
US-Regierung der Junta so gut beistehen würde, wie sie könne.263 Diese Junta hatte zum
damaligen Zeitpunkt bereits über 50.000 Bürger ins Gefängnis gebracht und eine Situation
geschaffen, in der 215 Menschen ermordet worden waren.264 Berch Berberoglu
zufolge steht es außer Zweifel, daß die NATO und die US Regierung das Regime unterstützt
haben: Es überrascht nicht, daß der Putsch von US General David Jones gebilligt
wurde. Der NATO-Oberbefehlshaber und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte hatte
die Türkei Anfang November besucht.265
Vera Beaudin Saeedpour, Forschungsdirektorin der kurdischen Bibliothek in Brooklyn,
kam zu dem Schluß, daß die NATO Partner der Türkei und besonders die USA den
genozidalen Prozeß vorsätzlich erleichtert hätten, weil sie vor den terroristischen Handlungen
des Staates die Augen verschlossen hielten:
Wenn die Türkei behauptet demokratisch zu sein, glauben es die USA ... Gleichzeitig
schaut die USA weg, wenn die Türkei die kurdische Bevölkerung unterdrückt. Dafür
gibt es einen guten Grund: Washington unterstützt die Türkei in ihrem Kampf gegen
die PKK militärisch, wirtschaftlich und mit Mitteln des Geheimdienstes ... Daß die
USA im Irak für die kurdischen Guerilleros und in der Türkei gegen die kurdischen
Guerilleros ist, macht deutlich, daß die amerikanische Kurdenpolitik von den regionalen
Verhältnissen abhängig ist: dem NATO Partner Türkei beistehen und Iran und Irak
schwächen. Trotz der barbarischen Behandlung der Kurden durch die Türkei hieß
Präsident Clinton [1994] die türkische Premierministerin Tansu Çiller mit den Worten
willkommen: Die Türkei ist der Welt ein leuchtendes Beispiel für die Vorzüge der
kulturellen Vielfalt.
Wenn Ankara lügt, steht die USA bekräftigend dahinter, wenn Ankara Mißbrauch
treibt, entschuldigt es die USA. Der Vize Präsident Al Gore lag auf derselben Linie als
48
er sagte, wir haben vor, mit der Türkei zusammen zu arbeiten. Es ist unfair, wenn wir
die Türkei drängen, sich zu demokratisieren und die Menschenrechte zu wahren und
der Regierung keinen Beistand leisten, wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus
innerhalb der eigenen Landesgrenzen geht. Und ich denke, daß Sie etwas mehr Kooperation
zwischen den beiden Nationen an dieser Front sehen werden. Als wenn Washington
nicht schon mit der Türkei kooperieren würde ... militärische Hilfe von hunderten
Millionen Dollar. Diese Hilfeleistungen werden ... gegen die türkischen Kurden
eingesetzt ... Ein höherer amerikanischer Diplomat erklärte, Wir haben die bewußte
Entscheidung getroffen, den Türken weniger kritisch gegenüber zu stehen als die
Europäer und der Kongress. Sie sind unsere NATO-Partner.266
Tatsächlich hat die US Regierung Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar an
die Türkei geliefert. Obwohl es klar war, daß es sich dabei um Kriegswerkzeug für einen
Völkermord handelte. Zwischen 1987 und 1991 kamen 77% der Waffenlieferungen an
die Türkei aus den USA.267 NATO-Staaten (inklusive USA, Großbritannien und Deutschland)
unterstützen türkische Streitkräfte, die direkt in den Völkermord an den Kurden
involviert waren, mit Geheimdienstinformationen sowie mit militärischer Ausbildung und
Ausrüstung.268 Mark Thomson hat festgestellt, daß das Pentagon ältere aber immer noch
funktionstüchtige tödliche Waffen buchstäblich an die Türkei verschenkt hat: Ankara hat
28 AH-1 Kampfhubschrauber, 822 M-60 Panzer und 72 Haubitzen mit Eigenantrieb
erhalten.269
Insgesamt hat die Türkei von der NATO militärische Ausrüstung in Milliardenhöhe
erhalten: Mehr als 500 Kampfflugzeuge, 500 Kampfhubschrauber, 5.000 Panzerfahrzeuge,
zehntausende Artilleriegeschütze, Maschinengewehre, und Sturmgewehre wurden
der Türkei seit 1980 überlassen.270 Allein 1993 wurden dem türkischen Staat als Teil
einer sharing and cascading Vereinbarung 1.017 Panzer geliefert, das ist fast der gesamte
britische Panzerbestand, darüber hinaus noch 600 bewaffnete Fahrzeuge und 70 Artilleriegeschütze.
271 Hierzu ein Human Rights Arms Watch Projektbericht:
Besonders die US- Regierung hat die Türkei mit Ausrüstungen versorgt und ihre
Kapazitäten in der Waffenproduktion erweitert. ... In seinem Brief an den Kongress
beschwor der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, John Shalikashvili, die US-amerikanischen
Gesetzgeber, nicht die Militärhilfe für die Türkei aufgrund der
Menschenrechtslage zu kürzen. ... Tatsächlich ... hat es den Anschein, daß in Ankara
Vertreter des Pentagons mehr denn je daran interessiert sind, der Türkei amerikanische
Waffen zu verkaufen. M-60 Panzer, Kampfhubschrauber, Streubomben, Boden-Boden-
Raketen, und Handfeuerwaffen gehören dazu.
Die Vereinigten Staaten haben darüber hinaus einen Kooperationsvertrag mit der türkischen
Verteidigungsindustrie geschlossen. Es geht u.a. um den Bau des F-16 Kampfbombers,
der, wie das US State Departement zugibt, möglicherweise willkürlich gegen
kurdische Zivilisten eingesetzt wurde ... Führende US-Repräsentanten weisen darauf
hin, daß die Türkei ein wichtiger Staat an der Außengrenze der NATO ist und somit ...
nicht für ihre systematischen Verstöße gegen Kriegs- und Menschenrechte bestraft
werden sollte ... Mit strategisch wichtigen Freunden muß Nachsicht geübt werden,
ganz gleich wie schlecht sie ihre eigenen Bürger behandeln ... Die NATO selbst hat
keine Überwachungsmechanismen eingerichtet, um den Handlungsspielraum der tür49
kischen Streitkräfte einzuschränken. Human Rights Watch hat bewiesen, daß Zivilisten
während der Zwangsumsiedlungen gefoltert und mißhandelt wurden. Wobei
gewöhnlich NATO- Ausrüstung zum Einsatz kam.
Die USA sind durch ihre militärische und politische Unterstützung tief in die
counterinsurgency Politik der türkischen Regierung verwickelt. Obwohl sie von den
Greueltaten wußten, haben die USA es aus strategischen Gründen vorgezogen, die
Verstöße der türkischen Regierung zu bagatellisieren ... Dadurch daß die Vereinigten
Staaten die Türkei jedes Jahr mit ausgeklügelten Waffensystemen überhäufen, werden
sie zu Komplizen einer Politik der verbrannten Erde, bei der die fundamentalen Grundsätze
des internationalen Rechts verletzt werden ... Die US-amerikanische Politik will
jedoch keinen Druck ausüben, damit die Türkei öffentlich über die Operationen ihrer
Streitkräfte Rechenschaft ablegt ... Die USA lehnen es auch ab, die ausländische Hilfe
mit Verbesserungen [hinsichtlich der Menschenrechte] in der Türkei zu verknüpfen.
Das Hauptanliegen der amerikanischen Militärs ist, Verträge für große US-amerikanische
Waffenlieferanten an Land zu ziehen ... amerikanische Offiziere in der Türkei und
in den USA haben erklärt, daß sie hofften, die Menschenrechtsleute würden sich
nicht in die Verhandlungen über große Waffenankäufe mischen ... Die Regierung
Clinton will nicht, daß Waffenverkäufe mit der Menschenrechtslage in der Türkei in
Verbindung gebracht werden.272
Auch der Beitrag des NATO-Partners Deutschland zum genozidalen Kriegsakt war
von Bedeutung: Fünfzehn Leopard-I-Panzer wurden 1992 quasi illegal in die Türkei
gebracht. Die Enthüllung dieses Skandals führte zum widerwilligen Rücktritt von Verteidigungsminister
Stoltenberg. In den 80er Jahren erhielt die Türkei von Deutschland
(BRD) militärische und polizeiliche Hilfe in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar. Debatten im
Bonner Parlament haben zutage gebracht, daß die Bundesrepublik Deutschland dem
türkischen Staat 250.000 Feuerwaffen, 5.000 großkalibrige Pistolen, 450 Millionen Schuß
Munition und verschiedene andere Waffen geschenkt hat, Waffen, die im kolonialen
Krieg der Türkei ... gegen das kurdische Volk eingesetzt wurden.273 Medico International,
die Grünen und einige Anwälte erhoben im Februar 1993 Anklage auf Völkermord
gegen die deutsche Regierung und die deutschen Behörden. Die Anklage wurde unter der
Klausel 220a des Deutschen Strafgesetzbuches eingebracht und enthielt:
Die BRD hat in der Vergangenheit die Türkei auch und gerade seit dem Militärputsch
systematisch hochgerüstet ... Es sind drei Bereiche, in denen Militärhilfe stattfindet:
Die NATO-Verteidigungshilfe, die Ausstattungs- und Ausbildungshilfe und sogenannte
Rüstungssonderhilfen. Dabei ist die Bundesrepublik Deutschland das einzige
Land im Bündnis, das ständig und fortlaufend seit 1964 den Partnern ... Ausrüstung
in Form von NATO Verteidigungshilfe, Materialhilfe und Sonderhilfe leistet, und
zwar im Unterschied zu den USA unentgeltlich. ... Die Gelder für die NATOVerteidigungshilfe
kommen direkt aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes. ... Die
Verteidigungshilfe besteht zu 80% aus Neumaterial und zu 20% aus gebrauchten
Materialien der Bundeswehr. Die NATO-Verteidigungshilfe ist in Trancen unterteilt,
seit 1989 hat eine Trance für die Türkei eine Laufzeit von 36 Monaten, vorher waren
es 18 Monate. Die jährlichen Beträge für die Türkei belaufen sich auf 86,66 Mio. DM.
... Neben der NATO-Verteidigungshilfe gewährt die BRD der Türkei eine sogenannte
50
Ausstattungs- und Ausbildungshilfe. Dieser Posten ist definiert als Lieferung von
Material an die Sicherheitskräfte Streitkräfte, wie auch gelegentlich Polizei des
Empfängerlandes, um ihnen die Durchführung ihrer Aufgaben zu erleichtern ...
Rüstungssonderhilfen werden von der Bundesregierung seit 1980(!) vergeben. Sie
umfassen vor allem Materiallieferungen an die Türkei, aber auch Lizenzen und Know
how ... 1988 wurde die Rüstungssonderhilfe II im Werte von 580 Mio. DM bewilligt.
Im Rahmen dieser Sonderhilfe wurden u.a. 150 Kampfpanzer Leo 1 aus Beständen der
Bundeswehr an die Türkei geliefert ... Für ihr Wohlverhalten im Golfkrieg erhielt die
Türkei im vergangenen Jahr schnell noch eine Rüstungssonderhilfe im Werte von
zwischen 700 Mio. (Angaben der Bundesregierung) und 1 Milliarde DM (lt. einem
Versprecher? des Pressesprecher(s) des Bundesverteidigungsministerium s). Diese Sonderhilfe
wurde u.a. in Form von NVA-Material, das als Zivilgut deklariert war, in die
Türkei geliefert ... Der Einsatz deutscher Waffen, u.a. Panzer aus NVA-Beständen
während der Newroz-Massaker im März 1992 ist vielfach belegt.274
Hierzu Amnesty International:
Regierungen, die über den meisten Einfluß auf die türkische Staatsführung verfügen
die Mitglieder der NATO und insbesondere der Europäischen Union nutzen nicht
einmal die von ihnen selbst zur Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen geschaffenen
Mechanismen, wie sie über den Europarat, die Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa und die Vereinten Nationen gegeben sind. Kritik an
ihrer Untätigkeit wehren die betreffenden Regierungen ab, indem sie sich die Argumentation
der türkischen Regierung zu eigen machen und darauf verweisen, daß
ihnen angesichts der terroristischen Bedrohung die Hände gebunden seien. Der wirkliche
Grund für ihre zögerliche Haltung ist jedoch kein Geheimnis. Die Türkei gilt als
geschätzter Verbündeter und Bollwerk gegenüber der Instabilität in Teilen des Nahen
Ostens und Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Darüber hinaus ist die Türkei ein
bedeutender Handelspartner und bietet einen lukrativen Markt für den Absatz militärischer
Güter.
Die Menschenrechte in der Türkei fallen nicht allein in den Zuständigkeitsbereich der
dortigen Regierung. Auch die internationale Staatengemeinschaft ist für sie verantwortlich
und hat die legitime Befugnis, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen
und anzumahnen.
Amnesty International drängt die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen
bereits seit Jahren, den Erkenntnissen und Empfehlungen ihrer Sachverständigen
Gremien folgend tätig zu werden. Doch auch auf der Sitzung der Kommission 1996
konnte sich die Türkei erneut einer genauen Prüfung ihres Handelns entziehen, weil
die Mitglieder der Kommission politischen Erwägungen den Vorrang vor menschenrechtlichen
Notwendigkeiten einräumen.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der
Europarat legen ein ebenso zögerliches Verhalten an den Tag. Die OSZE mit ihren 53
Mitgliedstaaten, zu denen neben europäischen Ländern, einschließlich der Türkei,
auch die USA und Kanada zählen, befaßt sich mit einer Reihe von Themen, unter
anderem mit Fragen der Sicherheit und Abrüstung, mit Menschenrechtsfragen und
mit Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet und im
51
Bereich des Umweltschutzes.
Die Mitgliedstaaten der OSZE haben sich ohne Ausnahme ausdrücklich zur Wahrung
der Menschenrechte verpflichtet. Sie haben betont, daß es für Folterhandlungen niemals
eine Rechtfertigung geben darf, auch nicht in Kriegssituationen oder bei anderweitiger
Bedrohung der Sicherheit. Sie haben ferner bekräftigt, daß das Recht der
Menschen, ihre Überzeugungen schriftlich oder mündlich frei zu äußern, ein grundlegendes
Recht darstellt, dessen Beachtung die Wahrnehmung vieler anderer Rechte
erst ermöglicht. Wenngleich es sich bei diesen Erklärungen der OSZE nicht um rechtsverbindliche
Dokumente handelt, so sind sie dennoch politisch bindend, weil die
Mitgliedstaaten ihnen in freier Entscheidung zugestimmt haben. Es ist einhellige Meinung,
daß ihnen in der Praxis nicht weniger Verbindlichkeit zukommt als förmlichen
Abkommen.
Die OSZE spricht gegenüber Regierungen keine Verurteilungen aus. Sie versucht, mit
ihren Mitgliedstaaten auf dem Wege der Verständigung zusammenzuarbeiten. Dies
entläßt sie aber nicht aus der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß die in der OSZE
vertretenen Regierungen ihre menschenrechtlichen Zusagen einhalten. Gegenüber der
Türkei ist die OSZE ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ... Das Ministerkomitee
des Europarats zeigt ebenfalls seit inzwischen mehr als einem Jahrzehnt keine ernsthafte
Bereitschaft, den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei entgegenzutreten, obwohl
eines seiner Menschenrechtsgremien, der Europäische Ausschuß gegen Folter,
mehrfach dokumentiert hat, daß die Folter in der Türkei weitverbreitet ist.275
11
Das Exekutivkomitee des Kurdischen Exilparlaments in Brüssel kam zu ähnlichen
Ergebnissen. Die NATO und die US-Regierung seien für den fortdauernden Völkermord
mitverantwortlich:
Diese Politik des Terrors, der Zerstörung, der Unterentwicklung und der brutalen
militärischen Operationen ist eine Strategie des Völkermords. Das Ergebnis ist die
Vernichtung der Hälfte des kurdischen Volkes. Was den Armeniern und den Griechen
angetan wurde, wird nun zum Teil an den Kurden wiederholt ... Unser Volk muß
großes Leid ertragen. Aufgrund der Repressionspolitik des Staates, der Assimilierungsmaßnahmen
und der Zwangsumsiedlungen muß ein großer Teil unseres Volkes im
Ausland leben. Zehntausende wurden abgeschlachtet, gefoltert und gefangen genommen.
Über 2.500 Dörfer wurden zerstört und die Einwohner deportiert. Unsere Naturschätze
wurden geplündert und unsere Wälder niedergebrannt. Die Identität unseres
Volkes wurde verletzt und zerstört. Der türkische Staat kann diesen barbarischen Krieg
nur Hilfe auswärtiger Staaten fortsetzen.276
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11
Das Exekutivkomitee des Kurdischen Exilparlaments in Brüssel kam zu ähnlichen
Ergebnissen. Die NATO und die US-Regierung seien für den fortdauernden Völkermord
mitverantwortlich:
Diese Politik des Terrors, der Zerstörung, der Unterentwicklung und der brutalen
militärischen Operationen ist eine Strategie des Völkermords. Das Ergebnis ist die
Vernichtung der Hälfte des kurdischen Volkes. Was den Armeniern und den Griechen
angetan wurde, wird nun zum Teil an den Kurden wiederholt ... Unser Volk muß
großes Leid ertragen. Aufgrund der Repressionspolitik des Staates, der Assimilierungsmaßnahmen
und der Zwangsumsiedlungen muß ein großer Teil unseres Volkes im
Ausland leben. Zehntausende wurden abgeschlachtet, gefoltert und gefangen genommen.
Über 2.500 Dörfer wurden zerstört und die Einwohner deportiert. Unsere Naturschätze
wurden geplündert und unsere Wälder niedergebrannt. Die Identität unseres
Volkes wurde verletzt und zerstört. Der türkische Staat kann diesen barbarischen Krieg
nur Hilfe auswärtiger Staaten fortsetzen.276
12
Schluß
Will man das Wesen des Völkermords an den Kurden in der türkischen Republik
verstehen, muß man sich über bestimmte Dinge im Klaren sein. Hierzu Ward Churchill in
seiner Studie über genozidale Maßnahmen auf dem amerikanischen Kontinent:
Es ist natürlich wahr, daß was passiert ist, nicht rückgängig gemacht werden kann.
Um die Tragweite des barbarischen Blutbads zu bewältigen ... reicht es nicht aus, nur
das Wesen des Horrors zu erkennen, der durch Auschwitz und die Operationen der
Einsatzgruppen im Westen der Sowjetunion verkörpert wird. Die Erkenntnis allein
ändert nichts am Völkermord, den die Nazis verübt haben. Man darf nicht versuchen
die Vergangenheit zu verdrängen ... sondern man sollte aus den Erfahrungen lernen
und konstruktiv eingreifen, damit dem Blutvergießen ein Ende gemacht wird.
Letzten Endes geht es darum, unser Verständnis neu zu definieren, indem wir unsere
Werte und unsere Prioritäten neu ordnen. Das ermöglicht eine gründliche und lebensnotwendige
Umgestaltung des Verhältnisses zu uns selbst als Einzelnen, als Volk und
in der Gesamtheit als Menschen. Jede dieser Umgestaltungen bereitet den Weg für eine
Zukunft, die sich von unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart grundlegend
unterscheidet. Wir können dies nur gemeinsam erreichen. Und wir sind dazu verpflichtet,
nicht nur wegen uns selbst und den anderen, sondern auch wegen unserer
Kinder, unserer Kindeskinder und der kommenden Generationen.277
In dieser Studie wird dargelegt, daß der türkische Staat für den fortdauernden Völkermord
an den Kurden verantwortlich ist. Der türkische Staat ist schuldig, weil er den
Völkermord an den Kurden und auch an den Armeniern leugnet.278 Er wird weiterhin
bei seinen genozidalen Maßnahmen von der amerikanischen Regierung und der NATO
unterstützt sogar in diesem Augenblick. Wenn nicht sofort internationaler Druck auf die
Türkei und deren Bündnispartner ausgeübt wird, werden die Grausamkeiten weitergehen.
Wie bei anderen stillen oder geleugneten Völkermorden wurden in der Türkei die
Vollstrecker dieser Verbrechen durch die nationalen und internationalen Machtverhältnisse
geschützt. Will man Völkermorde dieser Art verhindern oder einschränken, muß
man in Zukunft denen, die eine solche Tat rechtfertigen und legalisieren, die Stirn bieten
und sie öffentlich machen ... Man muß die Handlungen, die mit dem Völkermord in
Zusammenhang stehen, aufdecken und verurteilen, insbesondere wenn die Verantwortlichen
sich mit dem Mantel der Ehrbarkeit bedecken. Auch muß man sicherstellen, daß die
Vollstrecker unparteiisch und gerecht bestraft werden. Die Gesellschaft wird versuchen,
einen solchen Versuch mit Versprechungen und vernünftigen Erklärungen zum Schweigen
zu bringen. Wir haben die Wahl.
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Vergiss die Armen
Jesiden nicht!
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Vorgestern hat die Türkei 13 Kurden ermordet
Gestern wurden kurdische Demonstraton in der Türkei gewaltsam auf geläst,20 Kurden wurden verletzt darunter 7 Kinder 15 Kurden wurden fest genommen.
Und dies ist sicherlich nur die Spitze des Eisberges.
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Vorgestern hat die Türkei 13 Kurden ermordet
Gestern wurden kurdische Demonstraton in der Türkei gewaltsam auf geläst,20 Kurden wurden verletzt darunter 7 Kinder 15 Kurden wurden fest genommen.
Und dies ist sicherlich nur die Spitze des Eisberges.
jjjjjjjjjjaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa a und wieviel türken werden umgebracht ??? das sagt ihr aber nicht ne ist ya immer so "die armen kurden" wieviele solldaten umgebracht worden sind kommt leute es reicht schon das die politik so spinnt
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Vorgestern hat die Türkei 13 Kurden ermordet
Gestern wurden kurdische Demonstraton in der Türkei gewaltsam auf geläst,20 Kurden wurden verletzt darunter 7 Kinder 15 Kurden wurden fest genommen.
Und dies ist sicherlich nur die Spitze des Eisberges.
da kann ich nur kopf schütteln mehr nicht !!!!!!!!! ihr seid die besten ......
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Um mal auf deine frage zu antworten:
1.) Seit fast 30 Jahren kämpft die PKK für mehr Autonomie in den sogenannten Kurdengebieten, seit 1984 mit Waffengewalt
Seit August 1984 führt die PKK, in der Bundesrepublik mittlerweile verboten, einen Guerillakrieg gegen militärische und zivile staatliche Einrichtungen, aber auch gegen Kurden, die der Zusammenarbeit mit dem Staat bezichtigt werden.
2.) über 30.000 Menschen (also auch Türken) sind bisher bei diesem konflikt getötet worden
3.)falsch. Ich bin delber Türkin und habe auch kurdische Freunde und ich bin da keine Ausnahme. Leider gibt es aber auch solche, die sich hassen, weil sie sich u.a. von diversen Hetzparolen beeinflussen lassen.
4.)Bei den Kurden sind verschiedene Bekenntnisse vertreten. Die Mehrheit (ca. 8090 %) der Bevölkerung sind sunnitische Muslime überwiegend schafiitischer Richtung. Hanafiten gibt es vor allem in der Türkei. Im Nordirak sind die Hanbaliten eine weit verbreitete Rechtschule des Islam.
Die etwa 3 bis 5 % kurdischen Schiiten leben ganz im Süden des kurdischen Verbreitungsgebiets im Irak nahe der iranischen Grenze.
Daneben gibt es Aleviten und Schabbak, die aber früher ihre vom sunnitischen Islam abweichenden religiösen Überzeugungen nicht in die Öffentlichkeit getragen haben und deshalb als Muslime galten und oft noch gelten.
Des Weiteren gibt es Jesiden und im Iran auch Ahl-e Haqq. Die nicht allzu zahlreichen kurdischen Jesiden der Türkei sind heute fast vollständig ausgewandert und leben zum größten Teil in Nordwestdeutschland. Damit gehören praktisch alle Kurden der Türkei Religionsgemeinschaften an, die man zum Islam zählen kann.
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Um mal auf deine frage zu antworten:
1.) Seit fast 30 Jahren kämpft die PKK für mehr Autonomie in den sogenannten Kurdengebieten, seit 1984 mit Waffengewalt
Seit August 1984 führt die PKK, in der Bundesrepublik mittlerweile verboten, einen Guerillakrieg gegen militärische und zivile staatliche Einrichtungen, aber auch gegen Kurden, die der Zusammenarbeit mit dem Staat bezichtigt werden.
2.) über 30.000 Menschen (also auch Türken) sind bisher bei diesem konflikt getötet worden
3.)falsch. Ich bin delber Türkin und habe auch kurdische Freunde und ich bin da keine Ausnahme. Leider gibt es aber auch solche, die sich hassen, weil sie sich u.a. von diversen Hetzparolen beeinflussen lassen.
4.)Bei den Kurden sind verschiedene Bekenntnisse vertreten. Die Mehrheit (ca. 8090 %) der Bevölkerung sind sunnitische Muslime überwiegend schafiitischer Richtung. Hanafiten gibt es vor allem in der Türkei. Im Nordirak sind die Hanbaliten eine weit verbreitete Rechtschule des Islam.
Die etwa 3 bis 5 % kurdischen Schiiten leben ganz im Süden des kurdischen Verbreitungsgebiets im Irak nahe der iranischen Grenze.
Daneben gibt es Aleviten und Schabbak, die aber früher ihre vom sunnitischen Islam abweichenden religiösen Überzeugungen nicht in die Öffentlichkeit getragen haben und deshalb als Muslime galten und oft noch gelten.
Des Weiteren gibt es Jesiden und im Iran auch Ahl-e Haqq. Die nicht allzu zahlreichen kurdischen Jesiden der Türkei sind heute fast vollständig ausgewandert und leben zum größten Teil in Nordwestdeutschland. Damit gehören praktisch alle Kurden der Türkei Religionsgemeinschaften an, die man zum Islam zählen kann.
@ kurdistan2009
wenn du etwas beitragen, oder mich korrigieren willst, tu es in diesem thread, anstatt mir pns zu schreiben.
allein deine betreffzeile "Sorry aber deine "Antworten" sind getürkt" und dein pseudonym sprechen für sich.
ich lasse mich gerne eines besseren belehren, aber nicht von menschen wie dir, die aufs übelste verallgemeinern
("...und Ihr habt neben unzähligen Armeniern, Griechen, Aramäer auch unzählige Kurden grausam abgeschlachtet.") und alle türken über einen kamm scheren.
das wort "Ihr" ist schon schlimm genug, aber noch schlimmer finde ich, dass von deinen angeführten 40.000 opfern "nur" 8.000 türken waren.
wir sprechen hier von menschenleben und es ist sch...egal, welcher nationalität, religion etc. sie angehörten.
im gegensatz zu dir messe ich den wert eines menschenlebens nicht danach, ob er kurdisch, türkisch oder sonst was war.
"Die PKK wird zur Terror-Organisation dämonisiert und zum Sündenbock stigmatisiert."
damit meinst du wahrscheinlch auch wieder, dass die türken die pkk zu einer terror-organisation dämonisiert.
was ist sie denn dann, wenn ich fragen darf?
du bist in meinen augen ein kurdischer rassist und damit nicht besser, als alle anderen rassisten.
wie ich schon angedeutet hatte, unterscheide ich nicht zwischen türken und kurden und wäre glücklich, wenn es endlich eine FRIEDLICHE lösung gäbe, die auf GEGENSEITIGKEIT beruht.
und diese meinung können weder leute wie du, noch türkische rassisten beeinflussen!
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